Im großen Schwung der Vorbereitungen auf die (multikulturelle) „Kulturhauptstadt Ruhr“ ist auch im Bereich der musikalischen Bildung einiges in Bewegung geraten. Einen Teil dieser Bewegung spüren seit eineinhalb Jahren die Schüler vieler Grundschulen im Ruhrgebiet: „Jedem Kind ein Instrument“, kurz: JeKi hat begonnen, Bundespräsident Horst Köhler überreicht an einer Gelsenkirchener Grundschule kostenlose Musikinstrumente und viele Menschen hoffen, Musik werde unsere Kinder für den nächsten Pisa-Test stärken.
Auch in Hessen, Hamburg und andernorts sind durch mannigfaltige private und öffentliche Initiativen zahllose Projekte und Programme entstanden, die das musikalische Leben an deutschen Grund- und Musikschulen mehr und mehr verändern. Die Städte Münster und Neuss fördern intensiv die Singstimmen ihrer Grundschüler. Das Monheimer Modell „Musikschule für alle“ (MoMo) versorgt mittlerweile sämtliche Grundschulen im niederrheinischen Monheim mit Instrumentalunterricht. Die Universität Paderborn und die nahe gelegene Detmolder Musikhochschule erforschen und lehren unter dem Kürzel SMS – Singen macht Sinn, welche Stellung das Singen in den Kooperationen zwischen Musik- und Grundschulen haben kann. Und dies ist nur die Spitze eines riesigen, kreativen Eisbergs.
Betrachtet man diese Vielfalt, so kann man feststellen, dass all die genannten Modelle und Programme zweierlei gemeinsam haben: Sie stecken noch in den Kinderschuhen und bedürfen zudem der intensiven Zusammenarbeit verschiedener Institutionen. Pädagogen und Künstler aus den Bereichen Grundschule, Musikschule, Sonderpädagogik, Kirchenmusik und aus dem privaten Sektor müssen sich also treffen und lernen, mit dieser Situation umzugehen. Doch nicht immer erschließt sich das bildungspolitische Ziel der genannten Initiativen und Projekte direkt. Daher ist es sehr zu loben, dass viele Beteiligte auf gemeinsame Initiative der Stiftung Jedem Kind ein Instrument und der Gesellschaft für Musikpädagogik vom 14. bis 16. November in der Rohrmeisterei in Schwerte ein Forum finden konnten. Erfreulicherweise wurden verschiedenste Aspekte der kulturellen Bildung in Deutschland musik- und erziehungswissenschaftlich, philosophisch und auch praktisch beleuchtet.
Dabei lässt sich deutlich erkennen, dass grundlegende Diskussionen der vergangenen Jahrzehnte noch lange nicht zu Ende geführt sind. Gerade beim frühen Instrumental- und Vokalunterricht, wie er in den Projekten an vielen Grundschulen stattfindet, gilt die Forderung, die Barbara Busch von der Würzburger Musikhochschule aufstellte. Einfaches Musizieren darf nicht allein als Bereitstellung technischen Rüstzeugs für ein erst später einsetzendes, künstlerisches Tun verstanden werden. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, Kindern die Musik als Kommunikationsmedium zur Verfügung zu stellen und einen differenzierten Umgang aus freier, subjektiver Motivation heraus zu ermöglichen. Damit wird sich auch die Diskussion um einen Qualitätsverlust erübrigen. Die Erfahrung zeigt, dass Kinder an für sie selbst bedeutsamen Aufgaben konzentriert und diszipliniert arbeiten.
Ebenso ist die Fragestellung „Musikalischer Kompetenzerwerb in der Grundschule. Ein Anfang oder Ende ästhetischer Bildung?“, wie sie Frauke Heß von der Universität Kassel aufwarf, in diesem Zusammenhang zu beantworten: Der instrumentale Kompetenzerwerb darf weder Selbstzweck werden, noch darf er sich dem Diktat der reproduzierenden Tradition des 19. Jahrhunderts unterwerfen. Verknüpfte man die anspruchsvollen Themen der wissenschaftlichen Kompetenzforen mit der praktischen Arbeit in den Workshops, so kamen auch die Wünsche der Lehrer, die „vor Ort“ mit neuen Aufgaben kämpfen, zum Tragen. Denn hier wurden Methoden angeboten, die bevorzugt im Klassenunterricht und im instrumentalen Gruppenunterricht Anwendung finden können.
Perspektivwechsel
Die Improvisation, wie sie Karl-Heinz Zarius vorstellte, lässt sich für Lehrende im Unterricht am ehesten realisieren, wenn es gelingt, vor dem Hintergrund eigener Kompetenz den Denkwegen der Schüler zu folgen. Den hierfür erforderlichen Perspektivwechsel ermöglichte fachlich fundiert und engagiert Ulrike Kranefeld von der Universität Bielefeld auf dem Weg der Interpretationswerkstatt. Der Forderung nach stilistischer und ästhetischer Vielfalt, wie sie Frauke Heß stellte, kamen Werner Rizzi und Marianne Steffen-Wittek nach, indem sie in ihren beiden Workshops „Singen mit Kindern – aber wie?“ und „Rhythmus mit Körper und Instrument“ eine Brücke auch zur Popularmusik schlugen. In anregender Weise konnten dabei verschiedene Blickwinkel auf die Musik teilweise auch schon in methodischer Aufbereitung erlebt werden. Dennoch muss diesen verschiedenen Angeboten eine eigenständige, praktische Umsetzung folgen. So bleibt zu hoffen, dass hier tatsächlich ein Funke übergesprungen ist, der diese Umsetzung motiviert.
Da das deutsche Bildungssystem – leider – nach wie vor behinderte Menschen an gesonderten Förderschulen ausbildet, liegt es nahe, dass auch dort einige der Modelle Einzug halten. Vor allem im Ruhrgebiet, wo die flächendeckende Versorgung angestrebt wird, müssen meines Erachtens auch den Förderschulen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um eine musikalische Förderung zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund, dass momentan nur an drei nordrhein-westfälischen Förderschulen JeKi angeboten wird, war es sicherlich sinnvoll, unter Leitung von Irmgard Merkt den Wunsch nach JeKi an Förderschulen in einem Gesprächsforum zur Diskussion zu stellen. Die Frage nach der Abgrenzung künstlerischen Tuns von musiktherapeutischer Arbeit war dabei nur eine von vielen. Und schließlich wäre es sicherlich möglich, dass der fachliche Austausch zwischen Grundschullehrern, Instrumentalpädagogen und Sonderpädagogen für die Entwicklung einer neuen Fachmethodik Anregungen bringt.
Quo vadis, JeKi?
Eine letzte nicht unwichtige Frage sei zum Schluss gestellt: In welchem gesellschaftspolitischen Umfeld stehen nun eigentlich die zahlreichen Kultur- und Bildungsprogramme in den verschiedenen Städten, Regionen und Bundesländern? Gedanken in diese Richtung und weitere grundlegende Fragen ergaben sich aus einer abschließenden Podiumsdiskussion des Westdeutschen Rundfunks. Unter der Überschrift „Wo geht es hin? Musikalische Bildung in der Grundschule?“ trafen sich Vertreter von JeKi, der Grundschulen, der Musikschulen, der Hochschulen und der Politik. Viele Fragen zur Organisation von JeKi wurden dort beantwortet. Dennoch bleiben nicht wenige offen: Inwieweit beeinflussen gesellschaftliche Veränderungen und marktwirtschaftliches Denken die Bildungspolitik? Wer bestimmt eigentlich die Ziele, nach denen hier so emsig gestrebt wird? Der Einfluss privater Stiftungen macht sich hier sicherlich bemerkbar. Haben die genannten Programme genügend Unterstützung, um nachhaltig funktionieren zu können? Können die vielen für JeKi benötigten Lehrer tatsächlich mit angemessenen Arbeitsbedingungen rechnen?
Doch trotz dieser Fragezeichen und Unwägbarkeiten bleibt deutlich eine positive Stimmung und viel kreative Energie zu spüren. Weitere solcher Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxis sollten folgen, da auf dem Weg zum Ziel noch zahlreiche „Kulturelle Bildungsgipfel“ erklommen werden müssen.