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Kinder sind unkorrumpierbar und gnadenlos

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Constanze Wimmer im Gespräch mit den Komponisten Christian Muthspiel, Hannes Löschel und Christoph Cech
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Musik für Kinder zu komponieren ist (k)eine Selbstverständlichkeit. Auf der einen Seite gibt es den Markt an Musikproduktionen für Kinder im Grenzbereich zwischen U- und E-Musik: Im Stil der Liedermacher wird ein erfolgreiches Kinderbuch nach dem anderen vertont und auf Tonträger gebannt. Auf der anderen Seite bemühen sich arrivierte Orchester, ihre Konzertzyklen auch für Kinder zu erschließen und suchen neben „Peter und der Wolf“ nach neuen Werken. Daneben entsteht eine kleine feine Szene von jungen Komponisten aus dem Bereich Neue Musik, die weder kommerziell motiviert noch „pädagogisch wertvoll“, sondern wie selbstverständlich ein Musikangebot für die Generation ihrer eigenen Kinder gestalten.

Musik für Kinder zu komponieren ist (k)eine Selbstverständlichkeit. Auf der einen Seite gibt es den Markt an Musikproduktionen für Kinder im Grenzbereich zwischen U- und E-Musik: Im Stil der Liedermacher wird ein erfolgreiches Kinderbuch nach dem anderen vertont und auf Tonträger gebannt. Auf der anderen Seite bemühen sich arrivierte Orchester, ihre Konzertzyklen auch für Kinder zu erschließen und suchen neben „Peter und der Wolf“ nach neuen Werken. Daneben entsteht eine kleine feine Szene von jungen Komponisten aus dem Bereich Neue Musik, die weder kommerziell motiviert noch „pädagogisch wertvoll“, sondern wie selbstverständlich ein Musikangebot für die Generation ihrer eigenen Kinder gestalten.Constanze Wimmer hat dazu drei österreichische Komponisten befragt, die stilistisch aus ähnlichen Richtungen kommen und doch mit ihren Projekten im Bereich „Musik für Kinder“ in der Umsetzung und in der Erwartungshaltung unterschiedliche Strategien verfolgen: Christian Muthspiel (geb. 1962), Christoph Cech (geb. 1960) und Hannes Löschel (geb. 1963) sind Vertreter des Jazz und der Improvisierten Musik im Grenz- und Überschneidungsbereich zur Neuen Musik. Alle drei realisieren für die „Jeunesse Österreich“ Kinderprojekte. „Taste – ein symphonisches Erlebnis für Kinder“ ist eine elektronische Sinfonie mit einem lebendigen Konzertmeister und Christoph Cech als Komponisten und Dirigenten in einer Person. Im November 2000 haben insgesamt mehr als 3.000 Wiener Grundschüler im Klangtheater GanzOhr des RadioKulturhauses zu Ihrer Symphonie live improvisiert. Was reizt Sie an der Arbeit mit und für Kinder?
Kinder sind ein ganz spezielles Publikum: unkorrumpierbar und gnadenlos, aber fähig, Emotionalität direkt wahrzunehmen. Mit „Taste“ wollte ich Musik über die Geste offerieren und dabei den Kindern ein symphonisches Erlebnis bieten. Ich habe ein 16-minütiges Musikstück komponiert, das sich in groben Zügen an der Sonatensatzform eines Symphonieecksatzes orientiert. Die Schüler wurden aufgefordert, zum Workshop einfache Instrumente wie Blockflöten, Rasseln, Triangel oder Plastiksaxophone mitzubringen.
Die Interaktion war für Sie ein selbstverständliches Element?
Ich träume schon lange davon, mit Kindern in einem symphonischen Rahmen zur arbeiten, sie mit speziellen Instrumenten in den Klang von Ensembles oder Orchestergruppen zu integrieren. Bei „Taste“ waren es eben Triangel und Spielzeug-Keyboards, die zu einem elektronischen „Playback“ dazu gespielt wurden.
Wie haben Sie die Kinder zum Mitspielen animiert?
Es gab sechs Ziffern, die unterschiedliche einfache Improvisationsanleitungen darstellten, wie das Aushalten langer Bläserklänge oder das Schlagen eines 4er-Taktes. Vor dem Beginn der Komposition erzählte ich den Kindern eine assoziative Geschichte zur Musik und probte mit ihnen die Einsätze. Ich durfte mich als Entertainer auf keinen Fall hängen lassen. Man wischt sich zwar immer nachher den Schweiss von der Stirn, aber musikalisch ist etwas entstanden.
Christian Muthspiel, Ihre Produktion „Prinz ärgere Dich nicht“ stellt musikalisch und darstellerisch die vier Temperamente dar: ein Choleriker, ein Melancholiker, ein Phlegmatiker und ein Sanguiniker wollen eine Prinzessin heiraten, die dies allerdings gar nicht möchte. Was war für Sie der Impuls, diese Geschichte zu vertonen?

Christian Muthspiel: Kinder sind für mich ein ganz „normales“ Publikum, ich nehme sie so ernst wie die Zuhörer meiner Konzerte für Erwachsene. Künstlerisch war es einfach spannend, die vier Temperamente mit vier Instrumenten musikalisch zu beschreiben: Querflöte, Bratsche, Percussion und Cello. Ich wollte erreichen, dass geschulte, also erwachsene Hörer etwas darin finden, es aber trotzdem auch für die Kinder spannend bleibt. Abgesehen von diesem Kinderkonzert habe ich etliche Workshops zur Improvisation mit Kindern gemacht, meistens dort, wo ich mit eigenen Projekten länger vor Ort war, etwa für den „steirischen herbst“. Dort habe ich zusammen mit einer Band, einem Laienorchester und einem Kinderchor eine Woche lang musiziert. Die Kinder zeichneten sich selbst die Partituren und erfuhren daneben zum ersten Mal das freie Improvisieren.

Hannes Löschel, Ihr Kinderkonzert steht noch bevor, was sind Ihre ersten Überlegungen dafür?

Hannes Löschel: Zwischen Kompositionen für Kinder und Erwachsenen gibt es formale Unterschiede. Ich muss mich dem Alter von Kindern anpassen, was ihre Konzentrationsfähigkeit betrifft, aber ich muss sie nicht für dumm verkaufen und irgendeinen Kasperl auftreten lassen, damit es kindgerecht wird. Das beste Beispiel dafür ist auch mein dreijähriger Sohn Leo: Ich habe ihm ein Buch über Meeresfische gekauft – der „platte Teles-kopaugenfisch“ purzelt ihm voll Stolz aus dem Mund – das ist für ihn viel geiler als „Fisch“ oder „Kuh“. Dieses Phänomen möchte ich gerne in Musik übertragen.

Sich den kindlichen Zugang zur Musik vorzustellen, ist mir sehr wichtig, weil Kinder ein Recht darauf haben, nicht kleine Erwachsene sein zu müssen. Ich will ihnen ein Ventil bieten, wo sie Kind sein dürfen, wobei es ohnehin möglich ist, mit extremen Klangbildern zu arbeiten, bis sie sechs, sieben Jahre alt sind, dann übernehmen die Kinderkassetten oder die sogenannte „Quatschindustrie“ das Kommando, bis die Kinder mit elf oder zwölf von Britney Spears abgeholt werden.
Komponieren Sie für Erwachsene anders als für Kinder? Hemmt Sie das beim Komponieren oder eröffnet es neue Möglichkeiten?

Ich würde einem Kind nie zumuten, meine Stücke für ein erwachsenes Publikum zu hören. Dagegen würde auch eine Geschichte wie „Prinz ärgere Dich nicht“ für Erwachsene nicht funktionieren, ohne verschlüsselt zu werden. Kinder wollen immer eine Geschichte, sie begeistern sich nicht an einem Klang: Einer muss gewinnen, gerettet werden oder sich zumindest entwickeln.

Haben Sie dabei das Gefühl, sich künstlerisch zu beschränken?
Mir war es immer wichtig, die Inhalte nicht zu verkindlichen. Der Weg zum Ziel soll kindgerecht sein, hinsichtlich des emotionalen Gehalts kenne ich keinen Unterschied. Da sollen die Kinder all das erfahren, was ein Erwachsenenstück auch hat. Wenn sie es gut serviert bekommen, dann können sie es gut nehmen.
Was soll Ihrer Meinung nach musikalisch und inhaltlich bei den Kindern ankommen?
Ich wünsche mir für Kinder Zeit, sich mit Kunst zu beschäftigen und den Mut zu haben, Kunst wahrnehmen zu können. Ich habe bei „Taste“ die Form der Symphonie fast als Provokation gewählt. Was ist überhaupt eine Symphonie? Der Besuch von „Musik zum Angreifen“ ist gratis, so kamen viele Klassen mit unterschiedlichem Background – wenn Sie da nach Komponisten fragen, bekommen Sie „Britney Spears“ als Antwort.

Ich würde gerne mein Konzept durchhalten, Kinder mit Klängen zu konfrontieren. Es kann durchaus ein Grundkonzept von einer Geschichte da sein, wenn es pragmatisch darum geht, sie 50 Minuten bei der Stange zu halten. Trotzdem will ich die Abstraktion ausprobieren.

Ich glaube nicht an die totale Abstraktion, an das reine Hören.

Ich kann aber nur etwas vermitteln, hinter dem ich stehe. Ich kann in meinen Improvisationsstunden meinem Schüler nicht sagen: „Stell dir vor ...!“ So würde es mich auch bei diesem Kinderkonzert nicht reizen, eine besonders trickreiche Geschichte zu erzählen. Vielleicht kann man das Resultat nicht gleich versprachlichen, vielleicht graust auch jemandem – Musik soll ja nicht in erster Linie etwas Schönes sein. Ich möchte nicht, dass die Kinder nach dem Konzert glauben, dass ich sie auf Musik neugierig machen wollte, indem ich ihnen eine Geschichte vertont habe.

Das Grundlegende ist doch, dass physisch vorhandene Menschen für andere eine Form von Zauberei gestalten. Ich habe bei Kindern die Erfahrung gemacht, dass sie die abstrahierten Klänge, die von der Melodie oder dem Groove weggehen, schon zur Genüge von Serien und Soundtracks wie Pokémon oder Sailormoon kennen. Es ist sehr schwer, als Mensch dieser unglaublichen Perfektion der Illusion entgegenzutreten.

Könnten diese für „Erwachsenenkonzerte“ unüblichen Konzepte langfristig dazu führen, den Konzertbetrieb generell zu verändern?

Wenn sich die Konzertprogrammierungen aufgrund der Erwartungshaltungen der Kinder, die erwachsen werden, ändern, dann halte ich es für höchste Zeit. Ich kann diese Programme, bei denen einfach drei Stücke hintereinander gespielt werden, nicht mehr ertragen. Und ich frage mich: Warum erklären sich nur so wenige bereit, Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen?

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