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Die Vermessung des Publikums: Ascan Mergenthaler vom Architekturbüro Herzog & de Meuron erläutert die akustischen Planungen für die Hamburger Elbphilharmonie. Foto: Koch
Die Vermessung des Publikums: Ascan Mergenthaler vom Architekturbüro Herzog & de Meuron erläutert die akustischen Planungen für die Hamburger Elbphilharmonie. Foto: Koch
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Körber-Stiftung und Elbphilharmonie beleben den Dialog zur Rolle der Musikvermittlung an Konzerthäusern

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Als Luxemburg im Jahr 2007 den Titel Kulturhauptstadt Europas tragen durfte, beauftragte die Philharmonie Luxemburg im Rahmen des Großprojekts „Babel 2007“ Violeta Dinescu mit einer Komposition für Orchester und zwei Amateurchöre. In der Mitte ihres Werkes „An den Strömen Babylons“ ließ die Komponistin einen Leerraum. Diesen füllten Schüler aus vier Nachbarregionen Luxemburgs in Workshops mit ihrer eigenen Kreativität. Es entstanden vier Varianten des Stücks, dem somit das Paradox einer vierfachen Uraufführung zuteil wurde.

Kinder und Jugendliche am Entstehungsprozess von Musik teilhaben zu lassen, sie gar aktiv an ihrer Komposition zu beteiligen, gehört zu den erprobten Mitteln dessen, was man heute unter dem mehr und mehr im Nebel inflationären Gebrauchs verblassenden Begriff Musikvermittlung versteht. So war es nicht bloß die Sehnsucht nach internationalem Flair, welche die Verantwortlichen von Elbphilharmonie und Körber-Stiftung dazu bewogen hatte, ihrer Hamburger Tagung zur Rolle von Musikvermittlung an Konzerthäusern den englischen Titel „The art of music education“ zu geben.

Die Hoffnung, auf diese Weise der babylonischen Sprachverwirrung zu entkommen, in die sich Diskussionen über diesbezügliche Begrifflichkeiten und ihre Inhalte gerne zu verzetteln pflegen, erfüllte sich fast. Die mit einiger Berechtigung eingeforderte Abgrenzung der Bereiche „education“, Vermittlung, „audience development“, Bildung oder Marketing voneinander mögen auf künftigen Veranstaltungen geleistet werden, das Anliegen der Hamburger Kongressplaner war ein anderes: die Verantwortlichen von Konzerthäusern darüber miteinander ins Gespräch zu bringen, wie diese einem sozial und altersbezogen möglichst breitem Publikum zu öffnen wären.

Zur Belebung dieses Dialogs nahm die Tagung einen Verlauf, der jener Luxemburger Reise nach Babel nicht unähnlich war: Am zweiten der drei Tage wurden die Teilnehmer in eine Art kontrollierte Improvisation entlassen, die der Gesprächskreativität, welche die Kaffepausen solcher Unternehmungen häufig dem eigentlichen Programm voraus haben, Entfaltungsspielraum geben sollte – eine Methode, die nicht umsonst den Namen „World Cafe“ trägt.

Die in immer neuen Konstellationen zusammengewürfelten Kaffeekränzchen entwickelten zwar nicht durchweg die gewünschte zielgerichtete Eigendynamik, doch brachten die Zufallsbekanntschaften mit Sicherheit Horizonterweiterungen, die anders nicht zu bekommen gewesen wären. Vielleicht hatten die Gastgeber auch unterschätzt, welche Anziehungskraft das Thema auf viele Interessierte ausübte, denen es mehr um die Sache „education“ als um die Institution Konzerthaus ging. Bei der Vielfalt der Perspektiven, die sich in den kleinen Rotationsrunden auftaten, konnte die Tageszusammenfassung nicht mehr zum Ergebnis haben als eine Liste virulenter Themen, die jeder vermutlich auch alleine vorab hätte erstellen können. Entscheidend dürften die individuellen Ausprägungen solcher Bereiche wie „Zielgruppen“, „Nachhaltigkeit“, „Schulkooperationen“ oder „Ressourcen“ gewesen sein, die jeder Einzelne aus den Gesprächen mitgenommen hatte.

Das zweite Kernstück neben dieser originellen und unter modifizierten Vorzeichen sicher noch effektiver einsetzbaren Tagungsmethode waren die Präsentationen von Konzerthäusern aus Deutschland, dem europäischen Ausland und den USA. Sie alle machten die Voraussetzungen plastisch greifbar, die der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Körber-Stiftung Klaus Wehmeier ebenso lapidar wie zutreffend als essenziell für eine erfolgreiche Öffnung von Konzerthäusern durch Vermittlungsarbeit benannt hatte: „Herz, Verstand und Geld“. Wo sich diese drei Ressourcen glücklich vereinen, können solche Zentren entstehen wie die Philharmonie Luxemburg, wo Generaldirektor Matthias Naske mit einem eigenen Team und qualitätvollen Gastspielen seine Definition von Musikvermittlung umsetzt: die „Förderung der individuellen Lust an der Wahrnehmung im Zusammenhang mit Musik“. Wo von 340 jährlichen Konzerten über 130 im Sinne einer solchen Förderung stattfinden, ist die Abkehr vom Konzertsaal-Verständnis als einer „Hall of Fame“, so Naske, erfolgreich vollzogen.

Auch das 2004 eröffnete „Sage Gateshead“ im Nordosten Englands hatte den Vorteil, dass das architektonisch spektakuläre Gebäude das Ergebnis eines Prozesses war, in dessen Mittelpunkt die Bedürfnisse des „education departments“ standen. Als „main engine“ des Gebäudes, so der Leiter der Abteilung Joan-Albert Serra, ist es nicht ein Anhängsel an den normalen Konzertbetrieb, vielmehr prägen die Maximen „learning and participation“ die Philosophie des ganzen Hauses. 70 Prozent der Vermittlungsarbeit findet außerhalb des Gebäudes statt, die somit weit in die gesamte Region ausstrahlt.

In diesem Sinne versteht sich auch das Konzept „Philharmonie Veedel“ der Kölner Philharmonie, das aus der Not eines einzigen für viele Konzertformate zu großen Saales eine Tugend macht und zu neuen Spielstätten in den für das Kölner Selbstverständnis so wichtigen Stadtvierteln aufgebrochen ist.

Der gemeinhin schwer erreichbaren Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich das Leipziger Gewandhaus erfolgreich geöffnet. Nicht umsonst erhielt die Idee der „Hörbar“ mit ihrer Aufhebung der Grenzen zwischen Konzerthaus- und Clubkultur eine Sonderauszeichnung im Rahmen des „Junge Ohren Preises“ 2006 (nmz 3/2007, Seite 32).

Ausführlicher hätte man gerne das Gesamtkonzept von „L’Auditori“ in Barcelona kennen gelernt. In der Blitzpräsentation beeindruckte aber die Stringenz der konzertbegleitenden Workshopreihen, bei denen auch interessierte Eltern zusammen mit ihren Kindern für das Musikhören sensibilisiert werden. Auch die Fotos aus den Kinder- und Familienkonzerten strahlten eine sensible künstlerische Atmosphäre aus. Einen nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragbaren Sonderfall stellt die Boston Symphony Hall dar, die mit ihren Schulbesuchen, Lehrerfortbildungen sowie ausführlichen Materialsammlungen auf Papier und im Internet nicht nur das Konzertprogramm begleitet, sondern im Grunde Teile des schulischen Musikunterrichts übernimmt.

Welche Schlüsse wären nun für die zukünftige Arbeit der Elbphilharmonie aus der Tagung zu ziehen? Da mit dem Neubau nicht wie in Gateshead das Musikleben einer Region neu zu erfinden ist, wird wohl die Einbindung der schon vorhandenen Strukturen musikalischer Bildung von entscheidender Bedeutung sein. Hoffnung machte hier die starke Präsenz der Hamburger Musikszene in den Räumen der Körber-Stiftung. Nachdenklich stimmte aber, dass Vertreter der allgemein bildenden Schulen auch auf den Diskussionspodien des Abschlusstages fehlten. Wie überhaupt die Neudefinition des Verhältnisses von Konzertvermittlungsarbeit einerseits und schulischem Musikunterricht andererseits ein Schlüssel für die Öffnung des Hauses in die Stadt hinein sein dürfte.

Hier gilt es die Diskrepanz aufzuheben zwischen dem mantrahaft wiederholten Bekenntnis zur Bedeutung der Schulkooperationen auf der einen und den latent bis aggressiv wahrzunehmenden Berührungsängsten mit pädagogischer Arbeit auf der anderen Seite. „Wir wollen nicht pädagogisieren“ lautete eine harmlosere Formulierung. Elmar Lampson, Hamburger Musikhochschulpräsident, fuhr mit dem Credo „Wir müssen die Musikvermittlung aus der Umklammerung durch die Pädagogik befreien“ schon schwerere Geschütze auf. Eine vertiefende Diskussion ließ die Abschlussrunde leider nicht zu.

Auch Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant der Elbphilharmonie und Laeiszhalle Betriebsgesellschaft, war zur künftigen Ausrichtung des Hauses noch wenig Konkretes zu entlocken, bis auf die Ankündigung, Laienensembles als „Vorgruppen“ berühmter Künstler auftreten zu lassen. Aber – und dies ist das durchweg positive Signal, das vom Hamburger Kongress ausging – hier arbeitet ein Haus ernsthaft daran, eine über die Repräsentations- und Museumsfunktion hinausgehende Rolle im Kulturleben der Stadt zu spielen und zeigt sich offen für Anregungen und Diskussionen.

Im Grunde genommen stehen und fallen jedoch alle Bemühungen nicht zuallererst mit der Qualität der Vermittlung, sondern mit der Qualität dessen, was zu vermitteln ist, oder – so zeigte die faszinierende Begegnung mit den Improvisationen Gabriela Monteros – der Künstlerpersönlichkeit. Sie allein ist Garant dafür, dass der Konzertsaal als „Resonanzraum der öffentlichen Würdigung“ seine entscheidende Bedeutung für die Aura des Kunstwerks behält, die der Soziologe Gerhard Schulze in Abschwächung des Benjaminschen Pessimismus als eine ungebrochene beschwor.

www.elbphilharmonie.de
www.koerber-stiftung.de

 

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