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Kraftwerk und Modul motivieren Klavierschüler

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Ein Bericht über wirksame Perspektiven in der aktuellen Klavierdidaktik
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Kinder und Jugendliche von heute sind anders als noch vor 20 Jahren (Oder hat sich die Sichtweise nur geändert?). Diese leicht zu glaubende Theorie beweist sich auch täglich für die leidgeprüften Klavierlehrer in Deutschland. Doch das war nicht das letztendliche Ergebnis des Seminars der deutschen Sektion der EPTA (European Piano Teacher Association), das vom 8. bis 11. Mai in Soest stattfand. Immerhin waren für das Motto „Klaviermusik nach 1950“ fast 100 Mitglieder dieses Verbandes nach Soest gereist, um Anregungen zu erhalten, Ideen zu entwickeln und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Neben der Vorstellung neuer Unterrichtsliteratur aus unterschiedlichen europäischen Ländern war das Augenmerk besonders auf oben angesprochene Problematik gerichtet: Wie kann man einen von der heutigen Medienflut überfrachteten Schüler noch mit dem Klavierspiel begeistern? Eines war schnell klar und wurde von vielen Seiten bestätigt: Im allgemeinen geht es mit dem traditionellen Lehren von Klassikern nicht ganz so leicht. Günter Wiepking aus Hildesheim versucht seit Jahren der Neigung seiner Klavierschüler zur Rock- und Popmusik zu entsprechen. Schnell wurde den Workshop-Teilnehmern klar, daß auch im Spiel von Popmusik durchaus Sinnvolles gelehrt werden kann: Kadenzen werden ebenso erprobt wie das Transponieren in andere Tonarten. Denn nur selten sind die den Popsongs nachempfundenen Songbooks, die allein für das Spiel der Stücke auf dem Klavier gedacht sind, in der originalen Tonart geschrieben. „Scheinbar denkt man nur an Anfänger“, konstatierte Wiepking sichtlich erbost über solches Denken der Verlage derartiger Literatur. Dennoch zeigte er auch gute Beispiele und erklärte daneben, daß gerade das Hören der Originale wichtig sei, um das entsprechende Klangergebnis auf das Klavier zu transportieren, da allein das Notenspiel dieses nicht ermöglichen könnte. Fast war man soweit und wollte Rückschlüsse auf die Klassiker ziehen, die vielleicht auch im Spiel ihrer eigenen Kompositionen durchaus anders geklungen haben mochten. Daß jedenfalls viele der Klavierschüler begeistert von dem Spiel ihres Lieblingssongs auf dem Lerninstrument Klavier sein dürften, steht wohl außer Frage. Einen anderen Weg nahm Stefan Dettlinger aus Berlin. Er war durch das stete Hören von Techno-Musik eines seiner Schüler auf die Idee gekommen, derartige Musik für das Klavierspiel zu transkribieren. Schnell merkte er, daß ein Spiel dieser Musik allein mit zwei Händen nur unzureichend darstellbar ist. Also setzte er auf vier Hände, wobei der wichtige Nebeneffekt des Zusammenspiels mit dem Schüler auftrat. Stücke wie „Roboter“ oder „Model“ von Kraftwerk sind auf diese Weise in einer ebenso interessanten wie wiedererkennbaren Version auf das Klavier gekommen; ebenso Jugend-Lieblingsstücke wie „Kleine Maus“ von Das Modul. Die Workshop-Teilnehmer waren nicht nur begeistert, sondern ließen auch erkennen, daß diese Werke oftmals erst etwas für den Fortgeschrittenen-Unterricht sind. Daß aber rhythmisches Durchhaltevermögen ebenso beim Spiel dieser Werke gelernt werden kann wie dynamisches Empfinden stand bald außer Frage. Techno fürs Klavier - vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung - interessant jedenfalls dann, wenn es an das Präparieren des Instrumentes geht, um stärker technisch wirkende Sounds hervorzubringen, mit einem schier unglaublichen Ergebnis, das weit entfernt von Cage ist. Ebenfalls um Präparationen des Flügels kümmerte sich Hermann Keller in seinem Vortrag zu neuen Spieltechniken. Doch sind dies wirklich neue Techniken, wenn das Klavier in bestimmten Vorgaben präpariert wird? Da schienen doch interessante Clustertechniken und das Spiel mit den unterschiedlichsten Gegenständen „im“ Flügel eher schon in die Rubrik „neu“ im Bereich der Spieltechnik zu fallen. Eines wurde bei dem EPTA-Seminar sichtbar: Die Klavierlehrer von heute machen sich Sorgen wie sie ihre Schüler zu neuen Höchstleistungen anfeuern können. Daß dabei unter Umständen neue Motivationsmethoden angesagt sind, zeigte sich überdeutlich. Der klassisch-traditionelle Klavierunterricht wird darunter nicht leiden: Im Gegenteil, die Schüler werden stärker motiviert und kommen von selbst auf die Klassiker - oder die Moderne. Es schien jedoch beruhigend, daß die jungen Klavierlehrer trotz der antiquierten Ausbildungsmethoden in den Hochschulen über ihren Tellerrand schauen und sich nicht zu Klavierstunden-Tyrannen entwickeln, die weder Ahnung von zeitgenössischer Musik haben, noch besonderes Interesse dafür entwickeln.

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