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Kristin Bäßler: Kulturagenten sind keine Notfalleinsatztruppe. Foto: Archiv
Kristin Bäßler: Kulturagenten sind keine Notfalleinsatztruppe. Foto: Archiv
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Kulturagenten arbeiten niemals undercover

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Kristin Bäßler im Gespräch über die „Kulturagenten“, eine Initiative zur kulturellen Bildung an Allgemeinbildenden Schulen
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Kristin Bäßler ist für die Kommunikation des Modellprogramms „Kultur­agenten für kreative Schulen“ verantwortlich. Von 2004 bis 2006 war sie Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Musikrat. Von 2006 bis 2011 arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Kulturrat und war dort insbesondere zuständig für den Bereich Kulturelle Bildung. Anlässlich des Hamburger Kulturagentenprojektes an der Erich-Kästner-Schule (siehe oben stehender Artikel von Tom R. Schulz) sprach nmz-Chefredakteur Andreas Kolb mit der Agentin.

Andreas Kolb: Was ist ein Kulturagent oder eine Kulturagentin?

Kristin Bäßler: Kulturagenten sind Künstler, Musiker, Regisseure, Bildende Künstler oder Schauspieler, die große Erfahrungen mit der Vermittlung von Kunst und Kultur in Schulen haben. Die Aufgabe dieser Kulturagenten ist es, in fünf Bundesländern gemeinsam mit den beteiligten 138 Schulen künstlerische Projekte zu initiieren und ein kulturelles Profil zu entwickeln.

Kolb: Sind Kulturagenten für den geheimen und temporären Kriseneinsatz gedacht, oder sind sie Teil einer lang angelegten Kulturförderung?

Bäßler: Der Kulturagent arbeitet natürlich nicht undercover, aber – um im Agenten-Bild zu bleiben – er verfolgt eine bestimmte Mission. Sein Auftrag ist es, gemeinsam mit den Schulen zu überlegen, wie man Kunst und Kulturstärker im Schulalltag verankern kann und mit welchen Kultureinrichtungen vor Ort dieses Ziel umgesetzt werden kann. Das hat nichts mit undercover zu tun, sondern ist im Gegenteil eine sehr transparente Geschichte.

Kolb: Können Sie ein Beispiel für die Arbeit von Kulturagenten nennen?

Bäßler: Die Aufgabe der Kultur­agen­ten ist es, künstlerische Projekte zu initiieren, Vermittlungsformate für die Schule zu entwickeln und Kontakte zu Kultureinrichtungen aufzubauen, mit denen die Schulen längerfristig zusammenarbeiten können. Nehmen wir Hamburg: Die Erich-Kästner-Schule arbeitet zum Beispiel zusammen mit dem Ensemble Resonanz,  die Stadtteilschule Niendorf möchte ein Schulorchester aufbauen und arbeitet dafür mit dem Jungen Orchester Hamburg zusammen. In Berlin erarbeitet ein Schulnetzwerk aus dem Märkischen Viertel zusammen mit dem Bode Museum ein kulturelles Vermittlungsformat für die Schüler, und entwickelte mit der Schaubühne Berlin ein Tanztheaterstück zum Thema Leben im Märkischen Viertel.

Kolb: Die Schule öffnet sich zur Gesellschaft hin, man gibt das Klassenzimmer als geschützten, aber auch künstlichen Lernraum auf. Das ist das Positive. Aber vielleicht sind heute die Schulen von ihrer personellen Ausstattung her gar nicht mehr in der Lage, selber ausreichend kulturelle Bildung zu betreiben? Sind Kulturagenten nicht doch eine Notfalleinsatztruppe?

Bäßler: Nein, es geht nicht darum, zu sagen „Wir brauchen keinen Musikunterricht mehr, denn wir arbeiten jetzt mit einem Orchester zusammen und haben das damit quasi abgehakt.“ Im Gegenteil, es geht darum zu schauen, welche Potenziale hat die Schule und wo möchte sie stärkere Akzente setzen, die gemeinsam mit Künstlern oder Kultureinrichtungen umgesetzt werden können. Die ästhetischen Fächer stellen eine Grundvoraussetzung für Kunst und Kultur in Schule und für die Arbeit der Kulturagenten dar. Ziel ist es, die Schule zu öffnen und tatsächlich stärker als einen Kulturort sichtbar werden lassen. Die Kultur­agenten sind daher keine „Notfalleinsatztruppe“, sondern Berater und strukturelle „Umsetzer“.

Kolb: Warum gerade 138 teilnehmende Schulen in fünf Bundesländern?

Bäßler: Das Programm wurde allen Bundesländern bei der Kultusminis­terkonferenz vorgestellt. Es waren dann die fünf Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Thüringen, Berlin und Baden-Württemberg, die das Modellprogramm in ihrem Bundesland umsetzen wollten. Die Schulen konnten sich in einem Netzwerk von je drei Schulen bewerben. Gemeinsam mit den zuständigen Minis-
terien wurden dann in jedem Bundesland 24 beziehungsweise 30 Schulen ausgewählt.

Kolb: Seit eineinhalb Jahren ist das Programm Kulturagenten für kreative Schulen tätig. Was hat sich in dieser Zeit getan?

Bäßler: Zunächst sind die Kultur­agenten in den Schulen angekommen, haben das Programm im Lehrerkollegium und bei den Schülern bekannt gemacht, es wurden Steuerungsgruppen eingerichtet, die sich mit dem Thema Kultur befassen. Zudem wurden im ersten Jahr über 250 künstlerische Projekte entwickelt und umgesetzt. Im ersten Jahr wurde deutlich, dass bestimmte Ziele nicht von jetzt auf gleich umzusetzen sind. Daher erstellen die Schulen nun einen Kulturfahrplan, anhand dessen sie die kommenden zweieinhalb Jahre strukturieren und ihre kulturellen Ziele umsetzen werden.

Kolb: Wenn am 29. November die Aufführung Tanztheater „Momo“ mit Ensemble Resonanz an der Erich-Kästner-Schule über die Bühne gegangen ist, was passiert dann danach?

Bäßler: Wir erhoffen uns, dass diese Zusammenarbeit fortgeführt werden kann und dass daraus Ideen und Strukturen für neue weitere Projekte entstehen, die auch nach dem Ende des Programms genutzt werden können. Wichtig ist uns, dass die Schulen sich im Rahmen des Programms auf den Weg für künstlerische Angebote machen, die auch Bestand haben werden, wenn der Kulturagent nicht mehr an der Schule tätig sein kann oder das sogenannte Kunstgeld nicht mehr zur Verfügung steht. Dafür ist es wichtig, bereits heute Kooperationspartner wie Theater oder Museen und Möglichkeiten zur Kofinanzierung von Projekten zu finden.

Kolb: Was ist denn Kunstgeld?

Bäßler: Kunstgeld ist Projektgeld, das die Schulen im Rahmen des Programms beantragen können. Das „Momo“-Projekt ist beispielsweise auch ein solches Kunstgeldprojekt. Das heißt jedes Schulnetzwerk hat die Möglichkeit, pro Jahr 40.000 Euro für künstlerische Projekte zu beantragen.

Kolb: Wie geht es nach der Aufführung von „Momo“ ganz konkret an der Erich-Kästner-Schule weiter? War’s das?

Bäßler: Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil, denn die Erich-Kästner-Schule hat bereits ähnliche Projekte in dieser Art durchgeführt und wird gerade diesen Tanz-Musik-Bereich durch den verantwortlichen Lehrer, der da sehr engagiert ist, weiterverfolgen.
Kolb: Wie funktioniert die Finanzierung?

Bäßler: Die Kulturstiftung des Bundes und die Stiftung Mercator haben dieses Programm initiiert und fördern es mit jeweils zehn Millionen Euro. Zudem zahlen die Ministerien die Hälfte der Kulturagentengehälter und ermöglichen den Kulturbeauftragten ein bis zwei Freistellungsstunden pro Woche. Die Aufgabe der sogenannten Kulturbeauftragten ist es, die künstlerischen Ideen, Projekte und Visionen an die Schulleiter und an das gesamte Kollegium heranzutragen, damit diese dann wirklich in der breiten Masse der Schulen aufgenommen werden. Für ihre Arbeit werden die Kulturbeauftragten im Rahmen des Programms fortgebildet. Von dem gesamten Etat des Programms geht ein ganz großer Teil in die Kunstgeldprojekte.

Kolb: Wie viele Personen arbeiten in der Berliner Geschäftsstelle?

Bäßler: In der Berliner Geschäftsstelle arbeiten derzeit sechs Personen. Zudem gibt es insgesamt fünf Länderbüros, die von unseren Kooperationspartnern der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V., der conecco UG – Management städtischer Kultur, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der LKJ Baden-Württemberg  unterhalten werden.

Kolb: Das Institut für Kulturforschung untersucht kommunale Gesamtkonzepte für kulturelle Bildung. Der Deutsche Musikrat veröffentlicht über ein Papier „Musikalische Bildung in Deutschland“. Alle „machen auf“ kulturelle Bildung? Sind die Kulturagenten die Avantgarde, oder eher ein Baustein unter vielen?

Bäßler: Natürlich baut dieses Programm auch auf den Erfahrungen anderer Programme auf. Neu an dem Programm ist allerdings die Funktion des Kulturagenten. Interessant an diesem Programm ist, dass tatsächlich langfristige Strukturen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen aufgebaut werden und dadurch ein Weg für Kunst und Kultur in Schule geebnet wird. Das Neue dabei ist der Agent, als Vermittler zwischen den Kultureinrichtungen und den Schulen.

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