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Individuelle Fähigkeiten ausschöpfen: das Projekt „Zack Bumm Gstaad“ des Menuhin Festivals. Foto: Gert Bauer
Individuelle Fähigkeiten ausschöpfen: das Projekt „Zack Bumm Gstaad“ des Menuhin Festivals. Foto: Gert Bauer
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Lustvolles Widerlegen der Leichtigkeitslüge

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In Hamburg wurde der junge ohren preis 2012 verliehen, flankiert von einer Tagung zur Musikvermittlung
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Das Bessere ist des Guten Feind. Das durch Voltaire überlieferte Sprichwort gilt auch für die unzähligen Aktivitäten der Musikvermittlung: Sie alle sind generell begrüßenswert, doch Anspruch, Qualität und Nachhaltigkeit von Kinderkonzerten, Tanzprojekten und medialer Ansprache neuer Hörerschichten unterscheiden sich durchaus deutlich. Deshalb will der junge ohren preis jene „Best Practice“-Projekte identifizieren und auszeichnen, die hernach hoffentlich zur Nachahmung anstacheln. Bereits zum siebten Mal wurde der Preis jetzt in mehreren Kategorien vom netzwerk junge ohren vergeben, diesmal in Hamburg. Eine Tagung flankierte die Verleihung, um die sich wandelnde Rolle junger Künstler in der Gesellschaft und die neuen Anforderungen an die Ausbildung zu reflektieren: Ist jeder Musiker auch Vermittler?

Bevor der junge ohren preis in Hamburgs Rolf-Liebermann-Studio verliehen wurde, fand die Präsentation der nominierten Projekte statt. Man blieb dabei indes weitgehend unter sich, mehr als eine Messe der Beteiligten entstand kaum. Wenigstens wurde so ein Gedankenaustausch der Musikvermittler möglich, der angesichts kaum ausgeprägter Kooperationen ja auch Not tut. Es folgten einmal mehr die wohlfeilen Bekenntnisse aus Politikermund über die doch so positiven Folgen des Musizierens auf das Sozial- und Lernverhalten. Kultursenatorin Barbara Kisseler ergänzte glücklicherweise aber auch Menuhins Diktum: „Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance.“

„Authentizität des Clips“

Solche Chancen werden heutzutage natürlich längst auch durch die Medien eröffnet. Die Preiskategorie „Musik & Medien“ trägt dem Rechnung. Für preiswürdig befand die Jury den Clip „Nineteenseventyfive“, der die Ästhetik von Popvideos aufgreift. Die Jugendlichen einer Musikschule in Mönchengladbach widmen sich in klassischer Streichorchesterbesetzung der Rockmusik. Sie produzierten über ihre Arbeit nun unter professioneller Anleitung einen Werbefilm, der gleichaltriges Publikum in ihre Konzerte locken soll. 2000 Aufrufe innerhalb eines Monats auf Youtube gelten als Erfolg. „Klassische Instrumente erhalten hier einen Imagewechsel“, befand die Jury über die „Authentizität des Clips“. Doch spiegelt er in seiner zeitgeistigen Anbiederung und seiner Behauptung, klassische Instrumente seien ganz schön cool, deren ureigene Authentizität überhaupt wider? Nominiert wurde auch ein deutlich konservativeres Format, die CD mit Musikbilderbuch „Die Hexe und der Maestro“ des Dirigenten Howard Griffith. Über ein Märchen wird umfassend in das Orchester und seine Instrumentenfamilien eingeführt, ergänzendes Orchestermaterial macht die Aufführung der Geschichte als Kinderkonzert möglich. Das ist zwar weniger innovativ als der schicke Clip, aber doch deutlich wirkungsvoller.

Weit experimentellere Formate konnten in der Kategorie „Labohr“ eingereicht werden. Unter dem synästhetisch anmutenden Titel „Hörst Du Rot?“ hat Lotte Schwarz ein begehbares Hörspiel auf den Spuren von Rotkäppchen erfunden. Märchenhafte Naturerfahrung und kriminalistischer Hörspaziergang werden gekoppelt und regen die Fantasie von Kindern sinnlich an. Weder das Hörspiel aus Hildesheim noch das „Klangsprungballspiel“ aus Leipzig, mit dem Kinder Alltagsgegenstände und Klangobjekte Erwin Staches auf ihre akustischen Eigenschaften untersuchen können, überzeugte indes die Jury. Hier wurde „aus Innovationsmangel“ 2012 keine Auszeichnung vergeben. Es hieß, man wolle hier aber einen kritischen Diskurs über die dramaturgische Konzeption der Kategorie einleiten.

Einfacher war in der Tat im „Best practice“-Bereich „partizipativ“ zu urteilen. Gewinner ist das Projekt „Zack Bumm Gstaad“ des Menuhin Festivals Gstaad in der Schweiz. Nach dem Vorbild englischer Education-Ansätze, die auf die körperliche Aktivierung junger Menschen setzen, konnten hier 44 Schüler verschiedener Altersgruppen und unterschiedlicher sozialer Herkunft, alle stammen jedoch aus ländlicher Gegend abseits jeder Großstadtkultur, über sieben Monate zusammenarbeiten und dabei Musik wie Choreographie großteils selbst gestalten. Das hohe Niveau der abschließenden öffentlichen Veranstaltung und die Entwicklung der Kinder waren nachweislich enorm: „In der abschließenden Aufführung wandeln sich in fliegendem Wechsel Tänzer zu Musikern und umgekehrt – geschickt die jeweils individuellen Fähigkeiten ausschöpfend. Die Begeisterung, der Ideenreichtum und die Präzision, mit der dabei zu Werke gegangen wird, sind ebenso vorbildlich wie preiswürdig“, befand die Jury zu Recht über das integrativ partizipative Projekt. Auf absolute Aktivierung von Kindern mit und ohne instrumentale Vorkenntnisse kann auch „Das große Kinder-Mitmach-Orchester ‚Peter und der Wolf‘“ der Festspiele Baden-Baden stolz sein. Das spielerische Erfahren von eigenem Instrument und orchestralem Kollektiv mündet in eine Aufführung des Prokofiev-Klassikers – ein wiederum nicht ganz neuer, aber letztlich auch preiswürdiger Ansatz, der indes leer ausging.

Im Bereich „Best Practice, Konzert“, dem rezeptiven Gegenpol zur partizipativen Kategorie, überzeugte die Jury das niederländische Projekt „Die Musikfabrik“ des Produktionshauses Oorkaan in Kooperation mit dem Calefax Reed Quintet aus Amsterdam. Spaßig, aber mit zum Teil auch etwas schlichten Erkenntnisgewinnen wird in einem theatralischen Konzert die Geschichte von fünf Mitarbeitern einer PVC-Fabrik erzählt, die versehentlich ein Musikinstrument erfinden. Die Jury befand: „Musikfabrik gibt en passant einen faszinierenden und spritzig präsentierten Blick in die Geschichte, Bauweise und Spieltechnik der Holzblasinstrumente und in musikalische Kommunikationsformen. Die Strukturen der eingebundenen Kompositionen und Musikstile werden nonverbal in einer spannenden Bühnenhandlung für Kinder erfahrbar gemacht. Das Projekt regt zum Staunen und Experimentieren an und ist darin modellhaft.“ Die gut gemachte, anspruchsvolle wie verständliche Kinderoper „Der kleine Häwelmannn“ aus Düsseldorf, in dem zeitgenössische Musik über eine fantastische Geschichte vermittelt wird, wurde nicht bedacht. Mit dem nicht dotierten Sonderpreis zeichnete die Jury dafür „Drumblebee“ des Percussion-Quartetts „Quatuor Beat“ aus. Hier überzeugte in der Tat die „elaborierte Auseinandersetzung mit musikimmanenten Bewegungsmus­tern“, ganz ohne sprachliche Erklärung wird erfahrbar, wie Musik Bewegung auslösen kann und umgekehrt.

„Musik als Beziehungskunst“

Als am Tag nach der Preisverleihung aktuelle Tendenzen der Musikvermittlung und die Konsequenzen daraus für die Hochschulausbildung von Nachwuchskünstlern diskutiert wurden, war auffällig, wie deutlich und einhellig angemahnt wurde, dass es gelte, „Anbiederung aufzudecken“ und der von Holger Noltze in seinem Buch aufgedeckten „Leichtigkeitslüge“ zu begegnen, wie Beatrix Borchard bei der Vorstellung ihrer musikalischen Salons ausführte. Der Musikwissenschaftsprofessorin geht es darum, „Musik als Beziehungskunst“ erfahrbar zu machen. Das Zusammenspiel von Wissenschaft und künstlerischer Praxis, beispielsweise in den dem Künstlerpaar Clara und Robert Schumann gewidmeten Salons, oder im schönen, wie intimen historischen Ambiente des Fanny Hensel-Saals der Hochschule, ermögliche sowohl den teilnehmenden Studierenden als auch dem Publikum den Erwerb von Kontextwissen. Der Transfer des Konzepts in Schulen, dann über für Jugendliche relevante Themen wie Liebe, Freundschaft oder Geschwisterkonstellationen aufgezogen, funktioniert im übrigen bestens.

Zu den wichtigsten Anregungen der Tagung gehörte das Plädoyer von Elmar Lampson, der dezidiert die Vereinbarkeit von „künstlerischem Spezialistentum“ und einer „Anschlussfähigkeit von Musikern an die Gesellschaft“ vor einem weiten geistigen Horizont anmahnte. Der Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hamburg meinte, eine Hochschule müsse eine Kultur und entsprechende Angebote schaffen, damit „Studierende mit ihrem Spezialwissen ganz Unterschiedliches leisten“ könnten. Die Lebensentwürfe und Berufsbilder junger Musiker müssten sich pluralisieren, ergänzte Steven Walter vom PODIUM Festival.

Konkret regte Lampson an, man müsse das Thema „Musikvermittlung“ nun auch an die Schulen zurückspielen. Schließlich können die Musikvermittlungsaktivitäten der Kultureinrichtungen die schulischen Bildungsdefizite nicht auffangen, sondern nur ergänzende Angebote generieren. Die Integration oder zumindest doch die Vernetzung von Schule und Projekt, von langfristiger Arbeit und dem kurzfristigen Setzen von Impulsen bleibt als Perspektive und dringender Arbeitsauftrag an alle Beteiligten im Raum stehen. Hingegen, die angeblich so drögen Musiklehrer gegen die mutmaßlich so inspirierenden Spaßmacher der Musikvermittler auszuspielen, war auch bei diesem Anlass eine leider nicht zu überhörende Polemik, die hoffentlich bald verstummt. Kultur- und Bildungseinrichtungen müssen aufeinander zugehen, sich verzahnen und bereichern. Musikvermittlung und Musikpädagogik haben nur gemeinsam eine Chance. Ohne eine Renaissance – und eine damit einhergehende notwendige Reform – des schulischen Musikunterrichts bleiben die noch so schönen Projekte der Musikvermittler ein bald verdampfender Tropfen auf dem heißen Stein. So manche Hamburger Praxisbeispiele bestätigen klar die erfolgreiche Symbiose beider Welten.

Eine Übersicht zu allen Preisträgern mit Jury-Begründungen und Video-Ausschnitten finden Sie unter: www.jungeohren.com/jop.htm

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