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Pop und Kultur. Foto: Hufner
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Medienkompetenz vom Plattenteller

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Interaktionsprozesse zwischen DJs und Publikum – ein Studie und ihre musikpädagogischen Aspekte
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DJs wie David Guetta, Calvin Harris und Avicii gelten als die „neuen Superstars im Musikgeschäft“1, die für einen Auftritt sechsstellige Gagen erhalten und Facebook-Likes im zweistelligen Millionenbereich vorweisen können. Das Thema DJing ist dabei längst auch in der Musikpädagogik angekommen: Spezielle DJ-Schulen vermitteln abseits der klassischen Ausbildung an Musikschulen Jugendlichen Spieltechniken, Aspekte der Harmonielehre und Gehörbildung und den Umgang mit digitalen Musikprogrammen.

Im Bereich des schulischen Musikunterrichts existieren vielfältige Kooperationsprojekte mit DJs als Musikervermittlern, die zum Teil in übergreifende Zielstellungen (Schule ohne Rassismus etc.) eingebettet sind. Schülerinnen und Schüler musizieren mit Smartphones und Tablets, produzieren und mixen eigene oder fremde Songs. Zeitschriften wie „Musikunterricht und Computer“ geben erste Impulse und Hilfestellung bei der Vermittlung. Trotzdem steckt das Fach „DJ“ im Bereich der (Instrumental-)Didaktik noch in den Kinderschuhen. Auch vor dem Hintergrund von Nachwuchswettbewerben wie dem „New Spinning Award“ oder „Jugend musiziert“ – die Kategorie „DJ“ wurde 2006 in den traditionsreichen Wettbewerb eingeführt – erscheint eine wissenschaftliche Erforschung der DJ-Tätigkeit lohnenswert. Was sind Einflussfaktoren beziehungsweise Gelingensbedingungen einer DJ-Performance? Wie gehen DJs mit Fehlern, technischen Problemen und Störungen um? Wie interagieren sie mit dem Publikum?

Diesen Fragestellungen wurde im Rahmen einer empirischen Untersuchung nachgegangen. In Anlehnung an die Methode des Episodischen Interviews2 wurden 35 semiprofessionelle DJs (30 männlich, 5 weiblich) aus Deutschland zu allgemeinen Aspekten einer DJ-Performance (etwa Überzeugungen zu gelungenen Performances) sowie zu konkreten Episoden oder Erfahrungen, also Orten, Akteuren und Events schriftlich befragt.

Die Befragten äußern in den Interviews vier Einflussvariablen: Publikum, DJ, Rahmenbedingungen im Club und Musik. Die DJs illustrieren die vier Kategorien durch zahlreiche Beispiele. Entscheidend sind ein ausreichend großes Publikum, Reaktionen und Interaktionen wie tanzen, kreischen, lächeln, das eigene Empfinden und die eigene Stimmung, ein Spielen im „Flow“, eine saubere beziehungsweise fehlerfreie Spieltechnik, eine Musikauswahl, die den eigenen Präferenzen entspricht, eine funktionierende, die angeforderte Soundanlage und Technik, das Lineup des gesamten Abends, ausreichend Freigetränke und Platz auf der Gästeliste, (keine) Lautstärkenbegrenzungen, stimmige Trackauswahl, Dramaturgie und Zusammensetzung der Playlist. Die genannten Aspekte in den drei Kategorien DJ, Club und Publikum werden von den DJs hinsichtlich ihrer Bedeutung jedoch unterschiedlich bewertet: Während ein „gutes Set“ beispielsweise nach Ansicht von Befragtem Nr. 11 „klar von der Technik abhängt“, betrachtet Proband Nr. 19 technische Probleme hingegen eher als „kreative Herausforderung“. Auch ist für DJ Nr. 4 die eigene Wahrnehmung entscheidender als die des Publikums: „Es gibt Sets, von denen ich sage, dass sie super waren, obwohl das Publikum damit eventuell nicht übereinstimmt.“ Da jeder DJ im Durchschnitt drei der vier genannten Kategorien äußerte, ist davon auszugehen, dass sich eine gelungene Performance im Zusammenspiel der verschiedenen Einflussvariablen ereignet.

Umgang mit Fehlern und Störungen

Die von den DJs geäußerten Strategien zum Umgang mit Fehlern, Störungen und technischen Problemen können mit den beiden Begriffen „Fehlerfreundlichkeit“ und „Fehlervermeidung“ umschrieben werden3. Im Sinne einer „Fehlerfreundlichkeit“ sind fast alle Strategien, die das Fehlermanagement betreffen, positiv konnotiert. Neun Probanden ignorieren Fehler, sieben passen die Musik dahingehend an (zum Beispiel Lautstärke ändern, einen neuen Track oder Mix spielen, unerwünschte Soundeffekte mit dem Equalizer ausgleichen). Die Befragten nutzen Fehler auch, um gezielt Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen (n=6). Sechs Probanden versuchen technische Probleme (im Vorfeld) durch Gespräche mit Technikern oder Clubbesitzern zu lösen (Fehlervermeidung).

Interaktion mit dem Publikum

Die Interviewten messen der Interaktion mit dem Publikum eine unterschiedliche Bedeutung zu. 18 Teilnehmende bewerteten diese als (sehr) bedeutend, 10 DJs nehmen eine neutrale Position ein. Drei Probanden werten sie als nicht (so) bedeutend. Um die Breite der Aussagen zu verdeutlichen, wurden repräsentative Beispiele ausgewählt und kontrastiv gegenübergestellt.

Jeder DJ nannte im Schnitt 1,8 verschiedene Signale, mit denen er oder  sie mit dem Publikum interagiert. Insgesamt konnten 64 verschiedene (außer-)musikalische Interaktionssignale wie Lächeln, Tanzen, Singen und Pfeifen ermittelt werden. Aus der Perspektive der DJs wird jedes Signal in beide Richtungen gesendet (DJ und Publikum als Sender bzw. Empfänger). Diese können in Anlehnung an Kawase et al.4 in insgesamt neun Interaktionskanälen zusammengefasst werden. Am häufigsten wurden dabei Signale des Kanals Musik beziehungsweise musikalischer Sound genannt; danach folgten Party Buzz, Körperbewegung, Sprache, Blick, direkte Kontaktaufnahme, Gesichtsausdruck, Jubeln bzw. Hören sowie Attitüde/Performance. Welche Signale in den Kanälen zusammengefasst sind, soll exemplarisch erläutert werden: „Party Buzz“ etwa enthält eine Vielfalt von Signalen, die für Pop- und Clubkultur spezifisch erscheinen. Dazu gehören beispielsweise Spaß haben, Feiern und Werfen von Eiswürfeln. „Direkte Kontaktaufnahme“ fasst physische Kontakte wie umarmen, küssen oder Hände schütteln zusammen. Die DJs nennen dabei auch Signale, die „unerwünscht“ oder negativ konnotiert sind. Diese umfassen beispielsweise das Äußern von Songwünschen (Interaktionskanal „Sprache“, n=5) oder das Betreten der Bühne durch das Publikum (Interaktionskanal „Direkte Kontaktaufnahme“, n=4).

Handlungsansätze für die Musikpädagogik

Der DJ-Unterricht an privaten Musik- oder allgemeinbildenden Schulen trägt vermutlich wenig dazu bei, die Street-Credibility der DJs zu erhöhen. Solche Vermittlungskonzepte können aber dazu dienen, Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Jugendliche mit dem Equipment bekannt zu machen, Beats zu zählen, Übergänge auszuprobieren und die Wirkung eines bestimmten Stücks auf das Publikum abzuschätzen5. Eine systematische Vermittlung kann auch verhindern, „falsche“ Spieltechniken zu erwerben, die in einem selbstgesteuerten Lernprozess mühsam umgelernt werden müssen. Aus den beschriebenen Ergebnissen lassen sich im Sinne einer (Instrumental-)Didaktik verschiedene allgemeine Handlungsansätze für die Musikpädagogik ableiten: Erstens sollte das Publikum im Sinne eines „Einflussfaktors“ auf Performances bei der Konzertvorbereitung stets mitgedacht werden. Dazu gehört beispielsweise das „Üben“ von Konzertsituationen ebenso wie die zielgruppen- und situationsgerechte Anpassung des Konzertprogramms im Vorfeld und/oder spontan während der Performance. Zweitens sollte auch das Üben eines „freundlichen“ Umgangs mit Fehlern, wie er von den befragten DJs mehrheitlich beschrieben wird, Teil der Vorbereitungen für Auftritte sein. Drittens sollte das systematische Üben der Bewertung der eigenen Performance in den Übeplan integriert werden. Da das Verarbeiten und Bewerten der eigenen Performance häufig unbewusst stattfindet, liegt hier ein bisher ungenutztes Potenzial für die eigene musikalische Entwicklung6. In Hinblick auf die eingangs benannten Wettbewerbe erscheint es als lohnenswert, die Interaktion mit dem Publikum als transparentes Bewertungskriterium einzuführen. Für den schulischen Musikunterricht enthält das Thema DJing darüber hinaus ein enormes Potenzial, das sich neben dem Erwerb von DJ-Skills, also spieltechnischen Fertigkeiten und den Möglichkeiten eines kreativen Umgangs mit Musik unabhängig von dem Erwerb teurer Instrumente auf vielfältige Kompetenzbereiche wie zum Beispiel Medienkompetenz oder Sprechen beziehungsweise Nachdenken über Musik erstreckt7.

Anmerkungen:

1 Schipper, L. (2015). Hey, Mr. DJ: Früher schubsten sie Regler rauf und runter, heute verdienen sie Millionen: DJs sind die neuen Superstars im Musikgeschäft. Dem Internet sei Dank. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, (32), 21
2 vgl. Flick, U. (2000). Episodic Interviewing. In M. W. Bauer & G. Gaskell (Hg.), Qualitative Researching with Text, Image and Sound (S. 75–92). London: Sage
3 vgl. dazu Spychiger, M. (2003). Lernforschung. Ein Blick in ihre Grundlagen und Anwendungen im Wechsel der psychologischen Paradigmen. Diskussion Musikpädagogik, (19), 3–27; Wehner, T. (1992). Sicherheit als Fehlerfreundlichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag
4 vgl. Kawase, S., Nakamura, T., Draguna, M. R., Katahira, K., Yasuda, S., & Shoda, H. (2007). Communication Channels Performers and Listeners use: A Survey Study. In E. Schubert, K. Buckley, R. Eliott, B. Koboroff, J. Chen, & C. Stevens (Hg.), Proceedings of the Inaugural International Conference on Music Communication Science (ICoMCS) (S. 76–79). Sydney: ARC Research Network in Human Communication Science (HCSNet). URL: http://marcs.uws.edu.au/links/ICoMusic/Full_Paper_PDF/Kawase_Nakamura_D…
5 Alisch, S. (2012). DJing, Radio, Karaoke. Conviviality als Nebenprodukt transkultureller Musikvermittlung. In S. Binas-Preisendörfer, M. Unseld, & S. Arenhövel (Hg.), Transkulturalität und Musikvermittlung (S. 285–303). Wien: Lang.
6 McPherson, G. E., & Schubert, E. (2007). Measuring performance enhancement in music. In A. Williamon (Hg.), Musical excellence: strategies and techniques to enhance performance (S. 61–82). Oxford: Oxford University Press.
7 vgl. dazu Niedersächsisches Kultusministerium. (2012). Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5–10. Musik. URL: http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_musik_gym_i.pdf

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