Im Nikolaisaal Potsdam fand am 7. Oktober die Preisverleihung zum 15. Junge Ohren Preis statt. Erstmals konnte das Publikum – vor Ort und per Livestream – auch die Jurysitzung und somit die Entscheidungsfindung mitverfolgen. Eine Nachlese ist somit auch im Nachhinein vor dem heimischen Rechner möglich.
Doch keine Angst, die Aufzeichnung der Preisverleihung dauert nicht über fünf Stunden: Wer sich das Video auf dem YouTube-Kanal des Netzwerk Junge Ohren noch einmal zu Gemüte führen will, kann zunächst gut 100 Minuten lang die Präsentationen der Nominierten begutachten. Nach übersprungener Pause folgen weitere 90 Minuten mit der Jury-Diskussion und der Kür der Preisträger*innen. Das lohnt aus zweierlei Gründen: Zum einen geben die Showcases der fünf für die Shortlist ausgewählten Projekte einen guten Einblick in deren jeweils besondere Qualitäten, zum anderen kann man zusammen mit der Jury darüber nachdenken, in welchen Kriterien des diesmal unter dem Motto „Künstlerische Musikvermittlung – digital!“ stehenden Wettbewerbs welches Projekt am meisten überzeugt.
Da wäre zunächst einmal die – am brillantesten präsentierte – Webplattform „Sound_Tracks“ des Ensembles DieOrdnungDerDinge, die sich als digitales Konzert, Spiel und interaktives Musikvermittlungsformat zugleich versteht. Wie Ensemblemitglieder Ausschnitte daraus live performten, ist auch in der Aufzeichnung noch genussreich zu erleben. Dennoch war nachvollziehbar, dass die Jury – Cathy Milliken, Hanna Klimpe und Kay Voges – hierin bei aller Bewunderung für die künstlerische Klasse den Aspekt Partizipation unterbelichtet sah.
Die „Orchesterbox“ des Konzerthauses Berlin wird zum Klingen gebracht, indem darauf 16 nach realen Musiker*innen des Konzerthausorchesters Berlin geformte Kunststoff-Figuren platziert werden. Dank eines Chips wird jeweils die vorab separat aufgenommene Einzelstimme eines Arrangements aus Debussys „Children’s Corner“ hörbar. Grundschulkinder können so das Stück zusammensetzen und erfahren, wie sich der Klang verändert, je nachdem welche Stimmen hinzukommen oder weggelassen werden. Auch eine App mit Augmented Reality-Elementen gibt es, doch hatte es der Jury vor allem das haptische Element der Figuren angetan. Kay Voges monierte allerdings zu Recht den eher didaktischen Grundzug der Idee, die ihn andererseits sichtlich zum Weiterspinnen anregte.
In Sachen Partizipation, im Sinne von Mitmachen auf Augenhöhe, sah die Jury zwei Projekte vorn und verlieh ihnen den geteilten zweiten Preis: Mit „Things Fall Apart – Diggin’ Opera II“ gelang es dem Festspielhaus Baden-Baden, Jugendliche aus Offenburg und Limmerick dazu zu animieren, einen eigenen virtuellen Opernraum zu erschaffen und diesen kreativ zu „annektieren“, wie es Voges kommentierte. In der „Werkstatt“ des Ensemble Quillo wiederum hatten Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Kontexten die Möglichkeit, gemeinsam mit Profis Musiktheaterproduktionen in verschiedenen, überwiegend digitalen Modulen zu entwickeln. Dass diese dann auch leibhaftig die Bühne des Nikolaisaals bevölkerten und bespielten, war umso erfreulicher.
Am Ende sehr einig war sich die Jury auch bei der Entscheidung, das Zafraan Ensemble mit dem ersten Preis auszuzeichnen. Zusammen mit LOUDsoft hat es das Konzertformat „SCHRUMPF! Like Tears in Rain“ entwickelt, bei dem das Publikum – auch Erwachsene machen offenbar gerne mit – über ein Mischpult das Spiel der Musiker*innen in Echtzeit in verschiedenen Parametern verändern darf. Cathy Milliken lobte die zugrundeliegende, für die Modifikationen offene Komposition von Yoav Pasovsky, Hanna Klimpe die „Einfachheit“ des Konzepts, das zu einem erstaunlichen Ergebnis führe.
Die Jury-Runde hätte gerne noch etwas lebendiger ausfallen können; Milliken, Klimpe und Voges beantworteten mehr die Fragen von Moderatorin Annekatrin Hentschel, als dass sie miteinander redeten oder gar stritten. Vielleicht weht beim nächsten Mal ja ein Hauch Klagenfurter Bachmannpreis durch die Veranstaltung.