Ist von Kooperationsprojekten zwischen Orchestern und Schulen die Rede, landet man schnell bei Zukunft@BPhil: Den Berliner Philharmonikern ist es mit ihrer groß angelegten Initiative binnen weniger Jahre auf beeindruckende Weise gelungen, bundesweit zu demonstrieren, dass eine intensive Förderung, Betreuung und Pflege des eigenen Publikumsnachwuchses nicht nur sinnvoll ist, sondern auch als Selbstverständlichkeit zum Aktivitätskanon zahlreicher Orchestermitglieder gehören kann. Zeitgleich entstehen aber auch bei anderen Orchestern immer neue Ansätze für eine engmaschigere Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen. Alle haben gemein, dass die Darstellungsebenen Musikhören, Instrumentalspiel und -improvisation, experimentelle Stimm- und Sprachaktionen sowie szenisches Spiel zunehmend als gleichberechtigte Aktionsformen „ins Spiel“ gebracht werden. Wie vielfältig die Konzepte dabei ausfallen können, zeigen zwei weitere Beispiele aus Berlin und Kassel.
Brandenburgische GesamtSchule Glöwen beim RSB
Mit der Gesamtschule im brandenburgischen Glöwen, eine Kleinstadt eineinhalb Stunden von Berlin entfernt, pflegt das RSB seit einem Jahr intensive Kontakte. Anfangs besuchten Musiker im vergangenen Herbst die Schule und stellten Kindern der 6. Klassen ausgewählte Musikstücke, ihre Instrumente und ihre Arbeit als Orchestermusiker vor.
Im Gegenzug besuchten die Schüler eine Probe mit dem Chefdirigenten Marek Janowski und führten ein eigenes Stück zur Musik von Ludwig van Beethoven auf.
Nun ging es weiter mit diesem Bildungsprojekt. Schüler der 10. Klassen aus Glöwen besuchten eine Probe zu unserer Konzertreihe „Die großen Violinkonzerte der 30er-Jahre“ mit dem Weltklasse-Violinisten Frank Peter Zimmermann im Haus des Rundfunks in der Masurenallee. Chefdirigent Marek Janowski leitete dieses Konzert. Während der geschlossenen Arbeitsprobe konnten die Schüler zwischen den Musikern auf dem Konzertpodium, zwischen Pauken, Hörnern oder Geigen, Platz nehmen und die Musik von Alban Berg hautnah erleben. Im Anschluss kam es zu einer weiteren Begegnung mit Marek Janowski. Lange hatten sie sich auf diesen Tag vorbereitet. In den Fächern Musik, Ethik, Religion, Kunst und Deutsch haben die Glöwener Schüler das Violinkonzert von Alban Berg „Dem Andenken eines Engels“ kennen gelernt und sich mit dem Thema „Junges Leben – Früher Tod“ auseinandergesetzt. Alban Bergs Konzert entstand nach dem Tod von Manon, der Tochter Alma Mahlers, die 1935 an Kinderlähmung starb. Ihr Tod im Alter von 19 Jahren löste im Kreis der Wiener Musik-, Literatur- und Kunstszene große Betroffenheit aus. So bezieht sich auch die Erzählung Franz Werfels „Manon“ auf diese tragische Geschichte. Die Schüler der Gesamtschule Glöwen bereiteten im Unterricht eigens entwickelte Szenen mit Texten, Bühnenbild und Kostümen vor, die sich dem Thema widmen.
Anschließend führten die Glöwener Schüler die vorbereiteten Szenen zu Alban Berg im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Berlin vor den RSB-Musikern, Schülern und Eltern aus Glöwen auf. Am selben Abend spielte das RSB im Konzerthaus die Violinkonzerte von Alban Berg und von Paul Hindemith sowie die Sinfonie Nr. 4 von Ludwig van Beethoven.
Musiker und Chefdirigent fühlen sich ihrem Bildungsauftrag als Rundfunkorchester sehr verpflichtet. Seit längerem gibt es Projekte mit Schulen und Musikpatenschaften einzelner Musiker in Berlin und Brandenburg, wie die unseres Flötisten Rudolf Döbler mit einer 3. Klasse der Kreuzberger Lenau-Schule. Die szenische Aufführung der Glöwener Schule ist ein sehr anspruchsvolles Projekt, das das RSB besonders – auch finanziell – gefördert hat.
Zwei Kinder- und Jugendprojekte in Kassel
Es muss nicht immer Berlin sein! Lange hat man über die Notwendigkeit gesprochen, mit neuen, mit originellen, mit professionellen Mitteln Kindern und Jugendlichen die Tür zur klassischen Musik zu öffnen. Aber erst Simon Rattles Berliner Aktivitäten haben, so scheint es, dem Notwendigen überall eine Bresche geöffnet. Zwar ist das gute, alte Kinderkonzert nicht tot, doch sind es nun neue, kreativere Veranstaltungsformen, die an Bedeutung zulegen.
In Kassel, der mittleren Großstadt ohne Ballungsgebiet, nach der Wiedervereinigung plötzlich ins Zentrum des Landes gerückt, tut sich etwas. Im Sog der (gescheiterten) Bewerbung um den Titel der „Kulturhauptstadt Europas“ haben sich mehrere Initiativen gegründet, die nun ihre Früchte tragen. Eine davon sind die „Nordhessischen Kindermusiktage“, das Projekt einer Ärztin aus der Region unter dem Dach des Kammermusikvereins der Stadt. In fast zweijähriger Vorbereitungszeit hat sie auf drei Projekttage im Sommer hingearbeitet, in denen vor vollen Sälen die Ergebnisse präsentiert wurden.
Die Idee ist einfach: Große Schüler schreiben Stücke für kleine. Leistungskurse aus der gymnasialen Oberstufe bekamen als Aufgabe, ein Grimm’sches Märchen so zu komponieren, dass Kinder aus der vierten oder fünften Klasse es umsetzen konnten. Und die Übung gelang. Die Oberstufenschüler verstanden es, sich bei den Bremer Stadtmusikanten und Frau Holle auf einfachere musikalische Fähigkeiten einzustellen: Lieder, Orff’sches Instrumentarium, Lautmalereien et cetera. Ein munterer Eklektizismus irgendwo zwischen Avantgarde und Musical ist so entstanden. Den roten Faden spann mit dem bekannten Vogler Quartett ein professionelles Ensemble, das nicht nur den jeweils obligaten Streichquartettpart übernahm, sondern auch bereits bei den letzten Proben anwesend war und auch einen Streichquartett-Workshop betreute.
Das zentrale Abschlusskonzert, dem anschließend Vorträge und ein „normales“ Konzert des Vogler Quartetts folgten, hatte noch eine weitere Komponente. Zwei Kasseler Jungkomponisten – Stephan Peiffer und Malte Mekiffer – hatten neue Werke geschrieben, die nun uraufgeführt wurden. Peiffer schrieb ein kurzes, sehr dichtes Quartett für die Voglers, Mekiffer eine rhythmisch betonte Suite für das Vororchester seines Gymnasiums mit Streichquartett. Der Erfolg der Kindermusiktage zeigt, dass solche Initiativen in einer innerstädtischen Kooperation zwischen einem Veranstalter, mehreren Sponsoren und den örtlichen Medien funktionieren können, wenn man nur will. Die Fortsetzung ist auf dem Weg.
Und dann kam „Plim“. Auch das Staatstheater Kassel, derzeit wegen Renovierung im Exil an verschiedenen Stätten, setzt verstärkt auf musikalische Kinder- und Jugendarbeit. Nicht nur passiv, sondern mit einer für die Stadt neuen Initiative sollen Nachwuchsmusiker aktiv an das Theater herangeführt werden. Für ein Opernprojekt in der Documenta-Halle wurde das TJO, das „Theaterjugendorchester“ gegründet. Nach einer Auswahl wurden etwa 50 Musikerinnen und Musiker im Alter zwischen 11 und 22 aus Kassel und der Region angenommen, die in einer durchaus intensiven Probenphase stark gefordert und dadurch gefördert wurden. Kapellmeister Andreas Wolf brauchte nur eine Probe, um sich vom Staatsorchester auf die bunte Truppe umzustellen.
Das Ergebnis, das man dann in sechs Aufführungen Ende des Sommers hören und sehen konnte, war mehr als passabel.
Aus dem zusammengewürfelten Haufen war ein durchaus leistungsbereites und -fähiges Orchester geworden. Sinnvollerweise hatte das Theater keine der bekannten Opern ausgesucht, sondern eine unbekannte Kabarettoper aus dem Jahr 1932: „Rufen Sie Herrn Plim“ von Mischa Spoliansky, das im weltberühmten Kaufhaus Wertheim spielt, wo sich die Beschwerden häufen.
Um den Kunden Tatkraft zu beweisen, stellt man Herrn Plim ein, der immer dann gerufen wird, wenn sich wieder einer aufregt. Die Hausfrauenfunktionärin etwa, die Rabatz macht, weil es keinen grünen Nachttopf gibt oder die halbseidene Dame, die darauf besteht, dass ihr der soeben erworbene Knopf nach Hause spediert wird. Das ist Plims Stunde. Die Vorgesetzten machen ihn vor der Kundschaft zur Schnecke und entlassen ihn zum Schein. Doch Plim überzieht seine Rolle, setzt sich mehr in Szene, als dem Direktor lieb ist. Bis er wirklich gekündigt wird. Doch keine Sorge, alles wird gut. Ein witziger Stoff also und eine nicht minder sprühende Musik voller Opernzitate und -persiflagen.
Und nicht zu schwer für das Jugendorchester, für dessen Mitglieder das Projekt zum Erlebnis wurde. Auch hier hieß es: Fortsetzung folgt. Es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es…