Banner Full-Size

Musikalische Schulprofilierung als Wettbewerbsstrategie?

Untertitel
Einstellungen von Schulleitungen und Eltern zum Förderschwerpunkt „Jedem Kind ein Instrument“
Publikationsdatum
Body

Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) großzügige finanzielle Mittel für die empirische Begleitforschung eines musikpädagogischen Programms im schulischen Kontext bereitgestellt. Das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) hat auch aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen einen enormen Bekanntheitsgrad erlangt. Im aktuellen Schuljahr 2013/14 nehmen mehr als 58.000 Kinder in Nordrhein-Westfalen und mehr als 10.000 Kinder in Hamburg an den Programmen teil.

Auch wenn die Umsetzung der JeKi-Programme je nach Standort variiert, so weisen die Ziele doch eine gemeinsame Richtung auf. Neben der Vermittlung von Freude am Musizieren, der Vertiefung musikalischer Kompetenzen werden auch Ziele benannt, die auf interne Schulentwicklungsmaßnahmen abzielen, wie die Unterstützung der Schule bei der Entwicklung eines musikalischen Schwerpunkts (Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg 2011). Da in den vergangenen zwei Jahren bereits vielfach über die Befunde zu den Auswirkungen der JeKi-Teilnahme auf Schülerebene sowie über die Befunde zum JeKi-Unterricht und zur Kooperation berichtet wurde, sollen hier die wahrgenommenen Veränderungen durch die Teilnahme am JeKi-Programm aus der Sicht der Schulleitungen und der Eltern erörtert werden.

Die Implementierung von besonderen Profilen und Schwerpunktsetzungen wird von Schulen immer häufiger als Wettbewerbsstrategie genutzt (vgl. Nonte 2013). Die strategische Schulprofilierung hat dabei nicht selten zum Ziel, den eigenen Schulstandort zu sichern sowie Schülerinnen und Schüler aus bildungsnahen Elternhäusern für das eigene Konzept zu gewinnen. So berichten Altrichter, Prexl-Krausz und Soukup-Altrichter (2006), dass Schulen besonders dann erfolgreich sind, wenn sie aus einem großen Pool an Bewerberinnen und Bewerbern wählen können. Verfügt eine Schule nicht (mehr) über ausreichend hohe Schülerzahlen, dann läuft sie unter Umständen Gefahr, mit einer Nachbarschule zusammengelegt oder gar ganz geschlossen zu werden. Dieser Wettbewerbsdruck führt zu einem Anstieg an schulischen Profilierungsmaßnahmen, wobei Schulen zunehmend auch auf verschiedene kommerzielle (Yamaha-Bläserklassenkonzept), aber auch nicht-kommerzielle Angebote (Jedem Kind ein Instrument, Bewegte Schule etc.) zurückgreifen können. So hat sich die Anzahl an allgemeinbildenden Schulen mit einem musikalischen Schwerpunkt im Zeitraum von 1986 bis 2008 mehr als verdoppelt, bei einer allgemein rückläufigen Anzahl an allgemeinbildenden Schulen (Statistisches Bundesamt 2014). Für andere Profilierungsbereiche existieren keine verlässlichen Zahlen, aber vermutlich haben auch sportliche Schwerpunktsetzungen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen (vgl. Laging/Schillack 2007).

Eine der wenigen Studien, die nach der Veränderung durch eine musisch-kulturelle Schwerpunktsetzung fragt, ist die vom BMBF geförderte „Studie zur musisch-kulturellen Bildung in der Ganztagsschule“ (MUKUS). Sie wurde im Zeitraum von 2007 bis 2009 an der Universität Bremen durchgeführt. Insgesamt beteiligten sich 29 Sekundarschulen aus drei Bundesländern. Anhand der standardisierten Befragung der Schulleitungen wurde deutlich, dass die Veränderung durch eine musisch-kulturelle Schwerpunktsetzung insbesondere für die Außendarstellung (Rang 1), die Attraktivität der Schule (Rang 2) und die Identifikation der Schülerschaft mit der Schule sowie die regionale Einbindung der Schule (Rang 3) beschrieben wurde, weniger jedoch für Aspekte der individuellen Förderung (Lehmann-Wermser et al. 2010, S. 79). Es zeigt sich erneut der hohe Stellenwert der musikalischen Schwerpunktsetzung, auch wenn dieser, möglicherweise anders als erwartet, nicht in erster Linie auf den Aspekt der individuellen Förderung bezogen wird.

Ergebnisse der SIGrun-Studie

Die Studie zum Instrumentalunterricht in Grundschulen (SIGrun) ist ein Verbundprojekt der Universitäten Bremen und Hamburg aus den Jahren 2009 bis 2013. SIGrun wurde als Begleitstudie der JeKi-Programme in Nordrhein-Westfalen und Hamburg konzipiert und vom BMBF finanziert. Eine Besonderheit des SIGrun-Studiendesigns beinhaltet die Möglichkeit, JeKi-Schulen mit Schulen zu vergleichen, die ein Sportprofil (nach dem Konzept „Bewegte Schule“) aufweisen. Insgesamt wurden im Rahmen der quantitativen Teilstudie von SIGrun 1.143 Grundschülerinnen und Grundschüler, 914 Elternteile, 158 Lehrkräfte und 29 Schulleitungen mithilfe standardisierter Fragebögen zu insgesamt vier Erhebungszeitpunkten (Ende erste bis Ende vierte Klasse) befragt.

In diesem Beitrag soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung die Implementation eines musikalischen Schulprofils aus Sicht der Schulleitungen hat und welche Veränderungen aus Sicht der Eltern mit der Teilnahme ihrer Kinder an JeKi einhergehen. Die Perspektive der Eltern ist insbesondere aus Gründen des schulischen Wettbewerbs bedeutsam, da sie bei positiver Bewertung der Profilierungsmaßnahmen als „Werbeträger“ für die Schule agieren werden.

Sicht der Schulleitungen

Die Schulleitungen der an der Studie teilnehmenden Schulen wurden gefragt, welche Ziele mit der Einführung der Musikklassen verfolgt werden (s. Abb. 1). Fast alle befragten Schulleitungen (n ≤ 19) verfolgen das Ziel, die musikalischen Fähigkeiten und die musisch-ästhetische Bildung zu fördern. Aber auch das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler sowie die individuelle Schülerförderung stehen weit oben bei den Zielvorstellungen. Die Förderung und Entwicklung von Begabungen ist für 16 der befragten Schulleitungen eine Veränderung, die aus der Teilnahme am JeKi-Programm resultiert. Vergleichsweise weniger (n ≤ 12) geben an, dass die Musikklassen auch eine Möglichkeit bieten, selbstgesteuertes Lernen und die Selbstständigkeit von Schülerinnen und Schülern zu erhöhen. Das Ziel, Schulmüdigkeit zu vermeiden und sich psychosozialen Problemen der Schülerinnen und Schüler zuzuwenden, wird von weniger als der Hälfte (n ≤ 10) der Schulleitungen an JeKi-Schulen verfolgt.

Fast alle Schulleitungen (n ≤ 18) verfolgen mit der Teilnahme an JeKi das Ziel, die Schule dem Umfeld gegenüber zu öffnen und Gemeinschaftserfahrungen sowie soziales Lernen zu fördern (s. Abb. 2). Die Teilnahme soll weiterhin dazu beitragen, das schulische Leistungsniveau zu steigern. Vergleichsweise etwas weniger Zustimmung (n ≤ 13) erhielten die Ziele, mithilfe von JeKi herkunftsbedingte Ungleichheiten auszugleichen und die Lehrerkooperation und Teamarbeit zu fördern. Etwas mehr als die Hälfte (n ≤ 12) der Schulleitungen gibt an, Musikklassen als Instrument zur Weiterentwicklung der unterrichtlichen Lernkultur zu nutzen. Ebenso viele Schulleiterinnen und Schulleiter stimmen der Zielvorstellung zu, dass Musikklassen die Elternbeteiligung am Schulleben steigern. Die Möglichkeit, die Schülerbeteiligung und Mitverantwortung durch die Musikklassen zu erhöhen, sehen acht der befragten Schulleitungen.

Da in SIGrun auch Schulleitungen befragt wurden, an deren Schulen eine sportliche Schwerpunktsetzung erfolgte, können deren Angaben zu den Zielvorstellungen mit denen der Schulleitungen der JeKi-Schulen verglichen werden. Im Hinblick auf die in Bezug auf die Schulentwicklung verfolgten Ziele zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Angaben der Schulleitungen an den jeweiligen Programmschulen. Im Bereich der Förderung der Kinder unterscheiden sich die Schulen im Hinblick auf zwei Zielsetzungen: An Schulen mit Sportprofilklassen wird signifikant häufiger das Ziel verfolgt, Schulmüdigkeit zu vermeiden und sich psychosozialen Problemen der Schülerinnen und Schüler zuzuwenden.

Elternbefragung

Im Rahmen von SIGrun wurden die Eltern der teilnehmenden Kinder unter anderem gefragt, welche Veränderungen sich aus ihrer Sicht für ihre Kinder durch die Teilnahme am Instrumentalunterricht in der Schule ergeben haben (s. Abb. 3). Es zeigt sich, dass die Teilnahme an JeKi die Beziehung von Eltern und Kindern verändert. Besonders deutlich wird dies hinsichtlich der Gefühle der Eltern. Weitere Veränderungen betreffen die Freizeitgestaltung von Eltern und Kindern. So besuchen Eltern öfter mit ihren Kindern Konzerte innerhalb und außerhalb der Schule und betätigen sich häufiger gemeinsam musikalisch. In Bezug zum Schulalltag, zum Beispiel hinsichtlich der Informiertheit über den Schulalltag oder die Kontakthäufigkeit zu den Lehrkräften, hingegen stellen vergleichsweise wenige Eltern Veränderungen fest.

Auch die Eltern der Kinder, die eine Sportschwerpunktschule besuchten, wurden im Rahmen der Studie SIGrun zu den Veränderungen befragt, die sich für ihre Kinder ergeben haben. Bei fast allen Angaben ähneln die Antworten der Eltern denen der Kinder, die Instrumentalunterricht erhielten. Einzig bei der gemeinsamen Freizeitgestaltung mit dem Kind unterschieden sich die Angaben der Eltern signifikant. Die Eltern der Kinder in den Sportklassen nahmen hierbei eine größere Verbesserung wahr als die Eltern in den Instrumentalklassen.

Fazit

Die Angaben aus den Schulleiterfragebögen und den Elternfragebögen von SIGrun verdeutlichen den Stellenwert der musikalischen Schwerpunktsetzung und die von Seiten der Beteiligten wahrgenommenen Veränderungen, die sich durch diese ergeben. Die Implementation von JeKi dient, anders als es für die Studie MUKUS beobachtet werden konnte, in erster Linie nicht dem Ziel, die Außendarstellung beziehungsweise die Attraktivität der Schule zu verbessern. Obgleich ein übergeordnetes Ziel von JeKi die Unterstützung der Schulen bei der Implementation eines musikalischen Schwerpunkts darstellt, so wird das Programm vordergründig als eine Möglichkeit der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler gesehen. Der Vorwurf der Instrumentalisierung musikalischer Schwerpunktsetzung zum Zwecke eines schulübergreifenden Wettbewerbs scheint aufgrund dieser Datenbasis nicht gerechtfertigt.

Literatur

  • Altrichter, H./Prexl-Krausz, U./Soukup-Altrichter, K. (2006). Was verändert sich durch Schulprofilierung? Qualifikation und Selektion an Schulen mit dem Schwerpunkt „Informations- und Kommunikationstechnologien“. Die Deutsche Schule, 98 (3), 285–300.
  • Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg (2011). Jedem Kind ein Instrument. Ziele des JeKi-Unterrichts in Hamburger Schulen. Hamburg (Jedem Kind ein Instrument – BSB Hamburg Newsletter 05/2011). http://bildungsserver.hamburg.de/content-blob/3564472/data/download-pdf…
  • Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg (2013). Jedem Kind ein Instrument. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung. Hamburg (Jedem Kind ein Instrument – BSB Hamburg Newsletter 06/ 2013). http://bildungsserver.hamburg.de/contentblob/4126304/data/download-pdf-…
  • Jedem Kind ein Instrument. Zahlen und Fakten (Stand Februar 2014). https://www.jedemkind.de/programm/mediathek/pdf/140224_zahlen_und_fakte…
  • Laging, R./Schillack, G. (Hg.), (2007). Die Schule kommt in Bewegung: Konzepte und Untersuchungen zur Bewegten Schule mit praktischen Beispielen aus der Sekundarstufe I (2. Aufl.). Hohengehren: Schneider Verlag.
  • Lehmann-Wermser, A./Naacke, S./Nonte, S./Ritter, B. (Hg.) (2010). Musisch-kulturelle Bildung an Ganztagsschulen. Empirische Befunde, Chancen und Perspektiven (Studien zur ganztägigen Bildung). Weinheim: Juventa.
  • Nonte, S. (2013). Entwicklungen und Auswirkungen der Schulprofilierung an allgemeinbildenden Schulen in ausgewählten europäischen Ländern und Implementationsperspektiven für Deutschland. International Review of Education, 59, 243–262.
  • Statistisches Bundesamt (2014). 15 % weniger allgemeinbildende Schulen als vor zehn Jahren. Pressemitteilung vom 24. April 2014 – 146/14. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014…

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!