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„Flächengold“ mit dem Heeresmusikkorps Hannover. Foto: Vision Kirchenmusik
„Flächengold“ mit dem Heeresmusikkorps Hannover. Foto: Vision Kirchenmusik
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Musikvermittlung im öffentlichen Raum

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„Flächengold“ – ein partizipatives Format bei der Fête de la Musique in Hannover
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Der 21. Juni – das ist längst nicht mehr nur der offizielle Sommerbeginn und längster Tag des Jahres, sondern seit 1982 die Fête de la Musique. Weltweit präsentieren sich Städte in ihrer musikalischen Vielfalt. Straßen und Plätze verwandeln sich zu offenen Bühnen und musikalischen Flaniermeilen. Die Fête de la Musique Hannover ist die zweitgrößte Fête in Deutschland mit 39 bespielten Bühnen. Sie zog in der Landeshauptstadt 2016 rund 3.000 Musiker und 80.000 Besucher an. Die Musikland Niedersachsen gGmbH setzte 2016 mit „Flächengold“ einen thematischen Schwerpunkt auf Blasmusik und bespielte unter diesem Motto gemeinsam mit der vielfältigen Blasmusikszene Niedersachsens den Opernplatz in Hannover.

Die offizielle Eröffnung der Fête de la Musique gestalteten rund 250 Schülerinnen und Schüler aus Bläserklassen unter Anleitung des Teams der Musikland Niedersachsen gGmbH. Sie holten symbolisch Luft in der extra für sie geschriebenen Komposition „Atemholen“. Ein spielerisches Stück mit Experimenten am eigenen Blasinstrument, mit selbstkomponierten Signalen und einer Phase, in der die Schüler selber zu Dirigenten wurden. Auch das Publikum wurde durch eine akustische Suche nach fünf Solotrompetern herausgefordert. Diese versteckten sich in verschiedenen Himmelsrichtungen rund um den Opernplatz und gaben sich mittels Beethovens berühmtem Fidelio-Signal zu erkennen. Den Abschluss der Eröffnung bildete eine „Fête Fanfare“ als Vorbote für einen Nachmittag voller Blasmusik.

Keine „Main Stage“, sondern mehrere publikumsnahe Podestbühnen brachen die übliche Bühnensituation der Fête de la Musique auf und erforderten ein präzises Timing und fließende Taktstockübergaben von den auftretenden Ensembles. Auch dem Publikum kam eine besondere Rolle zu, denn es agierte flexibel. Mal stand es vor den Podesten, mal dahinter. Mal saß es selber auf der Bühne, mal drehte es sich um 45 Grad zum nächs-ten Auftritt. Immer wieder jedoch wurde es selber zu aktiven Bläsern: im Schlauchinstrumentenworkshop auf dem Weg zum ersten Blasinstrument auf dem Gartenschlauch oder im „Groovuzela“-Workshop gemeinsam in musikalischer Interaktion mit Blechbläsern und Vuvuzela-Liebhabern.

Den Musiktruckparcours gestaltete das Musikland Niedersachsen gemeinsam mit zahlreichen Musikpartnern der Region. Das Nützliche verband sich mit dem Praktischen: Institutionen und Initiativen vernetzten sich, planten und diskutierten gemeinsam über Musikvermittlung im öffentlichen Raum und entwickelten ein unglaublich abwechslungsreiches Workshopprogramm. Sechs umfunktionierte Busse luden zu einem Parcour ein, seine eigenen musikalischen Vorlieben zu entdecken. Frei nach „Sit in and hang out“, nach „You kulele?!“ oder „Beats, Breakes and Scratches“ konnte das Publikum den Parcours von Bus zu Bus durchqueren. Instrumentenkarusselle verschiedenster Instrumentengattungen rundeten das Programm ab. Die einzigen Voraussetzungen waren Offenheit, Neugier und ein kleines bisschen Mut, den einen oder anderen Bus tatsächlich zu betreten.

Der rote Faden „Flächengold“ leitete über zum nächsten Format und großen Experiment am 21. Juni: ein zweistündiges großes „Brass-Along“ mitten auf dem Opernplatz. „Jeder, der Atem hat“, konnte mitmachen – es gab vier sogenannte Referenzorchester, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Ihre Aufgabe bestand darin, jeweils für eine halbe Stunde Repertoire mitzubringen, sich offen auf dem Platz zu positionieren und sich aktiv jeder zwei weitere Musiker an das eigene Notenpult zu holen. Das Experiment lag vor allem darin, verschiedene Blasmusikszenen wie die weltliche und die kirchliche zusammen zu bringen und gemeinsam zu spielen. Logistische Herausforderungen zwangen vorab zu einer intensiven Auseinandersetzung  mit verschiedenen Intonationssystemen der Blasmusik.

Ein besonderer Moment zum wortwörtlichen Durchatmen war die solistische Einlage von Startrompeter Markus Stockhausen, zu dessen Komposition „Abendglühen“ für Solotrompete und Bläsermeer sich dann bei untergehender Sonne auch mehrere hundert Bläserinnen und Bläser versammelten. Gemeinsam entstand eine Symbiose aus flächigen Klängen, virtuosen Akkordfolgen, solistischer Strahlkraft und emotionaler Tiefe.

Musikvermittlung im öffentlichen Raum ist ein Experiment. Die Aktionen lassen sich in der Regel nicht proben und sind nur begrenzt planbar. Zu viele Variablen sind im Spiel: Mit wie vielen Mitwirkenden ist zu rechnen? Wie spielt das Wetter mit? Wie reagiert das Publikum? Das erfordert Flexibilität, Spielfreude und Vertrauen auf allen Seiten. Der Ausgang ist meistens ungewiss, und in der Regel begibt man sich in einen zunächst ungewöhnlichen und nicht auf künstlerische Aktivitäten ausgelegten Raum. Die „einfachen“ Spielregeln und musikalischen Interaktionsformen, die derlei Aktionen erfordern, lassen vielleicht zunächst keine „Kunst“ vermuten. Erst die Haltung, mit der sie ausgeführt werden, können intensive Klangmomente entstehen lassen – oder auch nicht. Eine Grundvoraussetzung für Musikvermittlung im öffentlichen Raum ist deshalb, auch in den offenen, lebendigen, bunten, quirligen Situationen eine Konzentration herzustellen, die zum Lauschen anregt.

Daneben liegt die große Chance und das Potenzial solcher Mitmachaktionen in der Begegnung: Ganz verschiedene und sich zunächst wildfremde Menschen finden in und über die Musik zusammen und agieren gemeinsam – ganz unabhängig von Alter, Herkunft oder Erfahrung. Die Musikland Niedersachsen gGmbH nutzt die Fête de la Musique Hannover als Experimentierfeld, um immer wieder neue innovative musikalische Formate der Interaktion zu erproben und darüber ihre eigene Expertise im Bereich Musikvermittlung auszubauen – wie etwa in diesem Jahr über das szenenübergreifende „Brass-Along“.

Über die inhaltliche und methodische Arbeit lernt man aber auch im Austausch mit den Partnern und angesprochenen Szenen. Denn Kooperationen fordern zum Perspektivwechsel heraus. Da gilt es Missverständnisse aufzuklären und Probleme zu erkennen, wo man selbst vielleicht keine vermutet hätte. Selbst kleine Unterschiede in den Stimmungen, Transpositionen und Lesarten etwa zwischen Posaunenchören und Blasorchestern, entpuppen sich dann als mitunter echte Herausforderungen. Doch genau in diesem Austausch werden Prozesse in Gang gesetzt. Man beginnt, Selbstverständliches zu hinterfragen, dem Gegenüber zuzuhören, sich für ihn zu interessieren – und am Ende teilt man eine Begeisterung.
 

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