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Im Rahmen des Vivaldi-Projekts geben Musikstudenten der Robert Schumann Hochschule Kindern aus sozial benachteiligten Familien kostenlos Geigenunterricht. Foto: Susanne Diesner
Im Rahmen des Vivaldi-Projekts geben Musikstudenten der Robert Schumann Hochschule Kindern aus sozial benachteiligten Familien kostenlos Geigenunterricht. Foto: Susanne Diesner
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Nach der Anfangseuphorie wird Bilanz gezogen

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Zum Symposium „Musikvermittlung wozu?“ an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf
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„Musikvermittlung wozu?“ Um diese Frage zu beantworten, strömten die „Altvorderen“ und die „Neuen“ Anfang Juni 2013 an die Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule und diskutierten aktuelle Probleme der Musikvermittlung. Dieser Begriff wurde trotz seiner zunehmenden Akzeptanz nochmals klar definiert, denn seine inflationäre Nutzung stellt eine Gefahr für das relativ junge Arbeitsfeld dar.

Die Umrisse und Perspektiven legte Reinhard von Gutzeit, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg, in seinem grundlegenden Eingangsreferat „Musikvermittlung – was ist das nun wirklich?“ souverän dar und legte den Finger auf die Wunde: „Kunst muss Wahrheitssuche bleiben, kein Event!“ Gelungene Musikvermittlung zeichnet sich durch einen hohen künstlerischen Anspruch – durchaus mit Aufwand gestaltet – aus. Sie gehört auf die Bühne, sucht die persönliche Ansprache von „Mensch zu Mensch“. Es handelt sich also um künstlerische Projekte, die nicht mit pädagogischen Zielen im Klassenzimmer gleichzusetzen sind. Genau daran knüpfte Ernst Klaus Schneider – Begründer des ersten Ausbildungsganges zur Musikvermittlung in Deutschland an der Hochschule für Musik Detmold und „Pionier“ dieses Arbeitsfeldes – im Folgereferat „Kann man Musikvermittlung lernen?“ an und stellte Unterrichtsfächer vor, die im heutigen Masterstudiengang „Musikvermittlung/Musikmanagement“ an der HfM Detmold auf diese Aufgaben vorbereiten: Bühnenpräsenz, Rhetorik, Interviewtechniken, Planung und Durchführung von Konzerten et cetera. Die Erschließung von Musik und ästhetische Erfahrungen stehen seiner Ansicht nach an zentraler Stelle. Die Intention einer gelungenen Musikvermittlung sollte Offenheit sein.

Um weitere Aspekte der Qualität von Musikvermittlung ging es am Nachmittag mit Holger Noltze, der sich mit seinen jüngeren Veröffentlichungen „Die Leichtigkeitslüge“ und „Musikland Deutschland? Eine Verteidigung“ in der „Szene“ einen Namen gemacht hat. Er brachte die heutige Problematik in seinem Referat „Zur gelegentlich unerträglichen Leichtigkeit der Musikvermittlung“ auf den Punkt und machte Vorschläge für die Bewahrung der einzigartigen Potenziale des „Musiklandes Deutschland“, das wie kein anderes Land der Welt über Orchester, Chöre und Opernhäuser verfügt. Seinen aufschlussreichen Ausführungen folgte die Darstellung der Forschungserfahrungen der österreichischen Kollegin Constanze Wimmer zur „Qualität der Musikvermittlung“. Aus den Ergebnissen der Studie „Exchange – Die Kunst, Musik zu vermitteln“ gab sie interessante Anregungen, wie Musikvermittlung gelingen kann.

Fortgesetzt wurde die Tagung am folgenden Tag mit dem Referat „Musikvermittlung im Musikschulkontext“ von Prof. Bianka Wüstehube – wie ihre Vorrednerin von der Bruckner Universität Linz. Die vorgestellten Möglichkeiten einer künstlerischen Inszenierung von Vortragsabenden im Instrumentalunterricht eröffnen auch für die Musikschulen neue Dimensionen. Sie überzeugte mit zahlreichen Beispielen, wie sich aus einem traditionellen Klassenvorspiel mit „Nummerncharakter“ ein ästhetisch-künstlerisches Ereignis gestalten lässt.

Der nachfolgende Versuch einer Chronik des jungen Arbeitsfeldes ist Barbara Stiller in ihrem Referat „Musikvermittlung in Konzerten für Kinder“ hervorragend gelungen. Systematisch, prägnant, überschaubar erklomm die einstmalige Leiterin der „Initiative Konzerte für Kinder“, die von Oktober 2000 bis April 2003 von der Jeunesses Musicales Deutschland mit dem Ziel durchgeführt worden war, das Konzertleben für Kinder im gesamten deutschsprachigen Raum institutionell besser und stabiler zu verankern, mit den Zuhörern nochmals die kleinen und großen Stufen der Musikvermittlungsleiter. Oben angekommen sind wir noch nicht, aber wo stehen wir heute?

Befindet sich die Musikvermittlung in einer gewissen Stagnation nach der Anfangseuphorie der Jahrtausendwende? Positiv ist, dass das Arbeitsfeld grundlegende Anerkennung gefunden hat und kaum eine Institution ohne Musikvermittlung auskommt.

Um „Musikvermittlung für erwachsene Laien und Liebhaber“ ging es am Nachmittag mit Christoph Richter, der an der Universität der Künste Berlin auf langjährige positive Erfahrungen mit dieser Zielgruppe zurückblicken kann und ermunterte, auch die lernbegierigen Älteren im Rahmen der Musikvermittlung nicht aus den Augen zu verlieren. 

„Ganz Ohr“ waren die Zuhörer auch beim abschließenden Referat von Michael Schmidt, der als Koordinator des BR-Klassikportals über die Pers-pektiven Multimedialer Musikvermittlung sprach. Die Informationen waren so interessant, dass der ein und andere Zuhörer einen Zug später nahm. Die Bildungsangebote im Internet nehmen rasant zu. Ein virtueller Konzertbesuch wird zur Normalität. Noch überwiegen die Live-Musikvermittlungsangebote, aber wie lange noch? Was wird die jüngere Generation bevorzugen?

Ein großer Dank gilt Wolfgang Rüdiger für die hervorragende Organisation und Gestaltung dieses Symposiums, das nicht nur im wunderbaren Kammerkonzertsaal der Robert Schumann Hochschule einen geeigneten Raum für den so notwendigen Gedankenaustausch bot, sondern zudem auch in der zeitlichen Gestaltung sinnvolle Gliederungsabschnitte bot: Auf je zwei Referate zu ähnlichen Themenkomplexen folgten jeweils Diskussionsrunden, die das Gesagte reflektieren und die Erfahrungen des Publikums einbeziehen konnten.

Der Verfasserin fiel auf, dass viele „Macher der ersten Stunde“ heute nicht mehr hauptberuflich in der Musikvermittlung tätig sind. Obwohl es kaum noch eine Institution gibt, die sich nicht öffentlich zur Notwendigkeit der Musikvermittlung bekennt, fehlen offensichtlich verlässliche Zukunftsperspektiven auf diesem Gebiet, die sich in langfristig gesicherten Anstellungsverhältnissen äußern. Ein Arbeitsfeld, was dringender Kontinuität bedarf, um nachhaltige Wirkung zu erzielen, ist von Spenden- und Stiftungsgeldern abhängig und unterliegt demzufolge einer starken personellen Fluktuation.

Im Diskussionsgespräch verwies die neue Geschäftsführerin des „netzwerk junge ohren“, Lydia Grün, auf die enormen Potenziale all der kleineren Orchester und Initiativen, die nicht aus den finanziellen Töpfen der „Hochkultur“ schöpfen können und sich mit ehrenamtlichem Engagement dennoch dieser wichtigen Sache verschreiben. Wie lange können diese Idealisten das noch durchhalten?
Hier sollten die kulturpolitischen Entscheidungsträger die derzeitige Situation genau analysieren und den Worten einer Notwendigkeit qualitativ hochwertiger Musikvermittlung konkrete Taten folgen lassen. Der Millionen Euro verschlingende Bau großer Konzerthäuser ist unverantwortlich, wenn auf der anderen Seite die Basis- und Breitenarbeit immer dünner wird oder zum Teil gar nicht mehr stattfinden kann. Für alle diejenigen, die nicht dabei sein konnten: Eine Veröffentlichung sämtlicher Referate ist geplant.

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