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Was bringen neue Konzertorte und neue Formate? Die Camerata Goltz probierte es mit einem Clubkonzert im Rahmen des Kammermusikfestivals Regensburg 2021 aus. Foto: Juan Martin Koch

Was bringen neue Konzertorte und neue Formate? Die Camerata Goltz probierte es mit einem Clubkonzert im Rahmen des Kammermusikfestivals Regensburg 2021 aus. Foto: Juan Martin Koch

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Nachdenken über das europäische Konzertleben

Untertitel
Beim Symposium „The Future of the Classical Concert“ fehlten wichtige Perspektiven
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Der Ausgangspunkt ist altbekannt: Das klassische Konzert ist in der Krise. Ist es das? Oder ist diese konstatierte Krise einfach ein hochwillkommener Hebel, um alles Mögliche in Bewegung zu setzen, je nachdem von welchem Aussichtsturm man sie beobachtet? Um mehr Investition ins Audience Development und in die Musikvermittlung zu legitimieren oder mehr Aufmerksamkeit für Konzertdesign und multidisziplinäre Konzert-Inszenierungen zu erwecken? 

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Oder um ein großangelegtes Forschungsprojekt zu initiieren, das ein lange bestehendes Desiderat zu fassen bekommen und die Antwort auf folgende Frage geben möchte: Was geht im Publikum vor, während es an einem Konzert teilnimmt? Ein Team von Forscher*innen der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, der Universität Bern, dem Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main, der TU Dortmund, der Gustav-Mahler-Privatuniversität Klagenfurt und der University of York hat das mehrjährige Forschungsprojekt „ECR – Experimental Concert Research“ mit rund 700 Konzertbesu­cher*innen im Radialsystem und im Pierre Boulez Saal in Berlin durchgeführt. Dabei wurden Daten zu physiologischen Auswirkungen wie Herz- und Atemfrequenz oder (teils synchronen) Bewegungen des Publikums während des Hörens der Musik erhoben, aber auch Fragen zu sozialen Motivationen für den Konzertbesuch und individuellen ästhetischen Erfahrungen während der Veranstaltung gestellt. Am 29. und 30. November 2023 wurden die Ergebnisse der Studie auf einer internationalen Konferenz „The Future of the Classical Concert“ an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen vorgestellt.

Melanie Wald-Fuhrmann, seit 2013 (Gründungs-)Direktorin der Musikabteilung am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt a.M., und Martin Tröndle, Professor für Kulturproduktion an der Zeppelin Universität, betteten die transdisziplinäre Forschung, in deren Zentrum die quantitative und qualitative Erhebung von Daten der Proband*innen stand, in einen musiksoziologischen und philosophischen Kontext von Erving Goffman bis Christopher Small und von Walter Benjamin bis Hans Ulrich Gumbrecht, aus dem einige der Hypothesen für das Forschungssetting generiert wurden, um subjektive ästhetische Erfahrungen quantifizierbar zu machen und subtile Momente des Erlebens einzufangen.

Im Zentrum der Forschung stand eine Reihe von Konzerten im Radialsystem und im Pierre Boulez Saal in Berlin. Das Programm bestand aus Kammermusik-Werken von Brett Dean (ein australischer Komponist, geboren 1961), Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms, mal gespielt vom arrivierten Ensemble Epitaph, mal vom jungen Yubal Ensemble. Was Veränderungen wie Lichtwechsel, Moderation oder die Reihenfolge der Werke für physiologische Auswirkungen auf das Publikum hatte, wurde mittels Fingerklemme und Kameras beobachtet und ausgewertet. Interviews mit den Proband*innen vor und nach dem Konzert lieferten zusätzlich qualitative Daten zum subjektiven Erleben.

Abseits der vielen physiologischen Ergebnisse, die sicherlich sattes Material für weitergehende Forschung im Bereich der Musikpsychologie bieten, überrascht die Dürftigkeit des Outputs, was seine Relevanz für das gegenwärtige Konzertleben betrifft. Vier unterschiedliche Besuchergruppen wurden identifiziert: Musikenthusiastinnen, Konzertbegleiter, Social-Event-Besucherinnen und Musik-Liebhaber. Die subtilen dramaturgischen Änderungen im Ablauf des Konzerts hatten einen überraschend geringen Einfluss auf die ästhetische Erfahrung im Konzert. Alles in allem kamen die Studienautor*innen zu dem Schluss, dass es für die Weiterentwicklung des Konzertlebens notwendig sei, möglichst verschiedene Konzertformate für unterschiedliche Konzertbesucher*innen und ihre Bedürfnisse anzubieten, da es die eine überzeugende Format-Idee nicht gibt, die für alle Gruppen gelten könnte. 

Wie gut, dass auf der Tagung auch andere Forschungsergebnisse vorgestellt wurden, die in ihrem Überblickscharakter tatsächlich einen Einblick über den Stand des Nachdenkens zum europäischen Konzertleben der Gegenwart geben konnten. Themen waren dabei die Wahrnehmung digitaler Konzertangebote (Wien und Köln), Resonanzerfahrungen im Konzert (Linz), (digitale) Innovation im Orchesterkonzert (Maastricht, Basel, Bifröst und Ludwigshafen), Festivalgestaltung (Bonn), Dramaturgie (Feldkirch) und diverse internationale Ansätze, um der Beforschung des Publikums näher zu kommen.

Das Thema der Tagung lockte eine breite Gruppe an Besuchern an. Musik- und Kulturwissenschaftlerinnen, Vermittler, Festivalgestalterinnen – und Musiker. Letztere fühlten sich zunehmend irritiert, da in keinem der Vorträge ihre Perspektive Platz fand und sie in keinem Forschungssetting zu ihrer Sichtweise befragt wurden. Gleichzeitig wurde aber den Hochschulen aufgetragen, für die Zukunft des Konzerts anders und besser auszubilden. 

So bleibt als Gesamteindruck der Befund, dass es zwar erfreulich viele Ansätze gibt, über die Dramaturgie von Konzertformaten, über Leadership im Orchester und bei Festivals nachzudenken. Aber um dem Titel der Tagung gerecht zu werden, fehlte nicht zuletzt die Perspektive der Kulturpolitik und des Kulturmanagements völlig. Denn vielleicht gibt es gar keine Krise des Konzertlebens, das sich ohnehin ganz von selbst munter weiterentwickelt – allerdings inmitten kapitaler gesamtgesellschaftlicher Veränderungen in Europa, die für ein florierendes Kulturleben in Europa tatsächlich eine krisengeschüttelte Zukunft bereithält.

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