Anfang Oktober trafen sich einmal mehr die Mitglieder des Saarbrücker Gesprächskreises, das heißt Professoren und Dozenten für Klaviermethodik an bundesdeutschen Musikhochschulen und Akademien, unter der Leitung von Prof. Dr. W. Müller-Bech in der Musikhochschule Saarbrücken, um wieder interessierende Fachthemen voranzutreiben und zu diskutieren.
Zum Thema „Metrik/Rhythmik in Klassik und Romantik“ referierte K. Meister. Er gliederte seinen Vortrag in drei Blöcke: „Metrik der Taktgruppen“, „Deklamatorische Akzente“ und „Die Problematik der Agogik“. Mit verschiedenen Klangbeispielen von Bach bis Berg erläuterte er das Metrum als Gestaltungsprinzip. Eine Zitatenliste zu „Rhythmik-Metrik“ von K. Börner wurde an die Mitglieder verteilt und erläutert. U. Hench stellte vor allem eigene Materialien zur „Musiktheorie im Klavierunterricht“ vor. Er plädierte dafür, neben den gebräuchlichen Höreindrücken der Pentatonik chromatische Klangeindrücke möglichst frühzeitig und vor dem Erlernen der Tonleiter zu vermitteln. Auch in den Schulen werde die Chromatik zu spät eingeführt. Das Bauen der Tonleiter mit Legosteinen, zwei Tonleiter-Lineale in Dur und Moll und Spielkarten sollten den Kindern an die Hand gegeben werden, „... damit sie auch zu Hause etwas machen können“.
Zum immer wieder bewegenden Problemkreis „Fokale Dystonie beim Klavierspiel“ (Kontrollverlust der Koordinationsfähigkeit) referierte an Stelle des diesmal verhinderten Musikermediziners E. Altenmüller H.C. Jabusch. Er führte aus, dass beim Klavierspiel ein Höchstmaß an zeitlicher und räumlicher Präzision mit sofortiger genauester Kontrolle durch das Gehör unumgänglich sei, deren Koordination bei der fokalen Dystonie gestört sei. Er stellte Therapieansätze vor und befand, dass die vielversprechendsten der derzeit angebotenen Therapien in einen interdisziplinären Ansatz unter Einschluss eines Klavierpädagogen zu verschmelzen seien. An die Pädagogen gerichtet betonte er die große Wichtigkeit einer Prävention gegenüber allzu großer Emotionalität, Perfektionismus, Überlastung durch radikales Üben und Angstzuständen bereits des Schülers, die bei einem Zusammentreffen mit anderen Trägerfaktoren und Persönlichkeitsstrukturen in einer Person das Krankheitsrisiko entscheidend erhöhen. Hier sei der Klavierpädagoge eindeutig und intensiv mit pädagogischer Analytik und präventivem Handeln gefordert. Übehygiene und Hellhörigkeit gegenüber Schüleraussagen seien in Anbetracht dessen, dass falsche Bewegungsmuster und auch starke Emotionalität im Üben und im Spiel nicht wieder vergessen werden, das Mindeste, was von Seiten der Klavierpädagogen zu erwarten sei.
Zum Thema „Improvisation im Klavierunterricht“ setzte G. Stenger-Stein ihren in der vorangegangenen Sitzung ausführlich diskutierten Projektbericht mit Videobeiträgen fort. R. Reinhold stellte zu Beginn seines Referates „Autograph als Urtext“ fest: „Einem authentischen Text nahe zu kommen ist nahezu unmöglich“. Die auf dem Markt erhältlichen Urtextausgaben dokumentierten zwar Unantastbarkeit, würden jedoch vielfach gar nicht benutzt und ersetzten auch nicht den Blick in den Autograph. Schon auf dem Wege zur Urtextausgabe würden sich Aussagen einschleichen, die aus dem Urtext nicht immer eine echte Urtextausgabe machten. Hierzu hatte er aufschlussreiche Beispiele von Beethoven, Schubert, Schumann und Chopin mitgebracht.
P. Heilbut hielt ein Plädoyer zur Aktualität von Margit Varró: „eine der bedeutendsten Klavierpädagoginnen des 20. Jahrhunderts“, und machte sich – ebenso wie B. Vergara-Pink, K. Runze und R.-I. Frey-Samlowski, die sich seit dem dieser Musikpädagogin gewidmeten Kongress der EPTA Ungarn in Budapest einmal mehr um die Revitalisierung ihrer für die Klavierpädagogik wegweisenden Erkenntnisse kümmern – dafür stark, dass Varró in allen Fachlexika präsent sein müsse. R.-I. Frey-Samlowski wurde beauftragt, für den Saarbrücker Gesprächskreis eine Empfehlung an die Herausgeber derartiger Werke zur Verabschiedung in diesem Kreis vorzubereiten.
W. Müller-Bech stellte in seinem Beitrag „Gedanken zur Ästhetischen Erziehung“ in einer Reihe von „Thesen oder Hypothesen – grundsätzliche Überlegungen zur Musikhochschul-Welt“ die Forderung nach mehr Bildung, nicht nur Ausbildung, an den Anfang. „Optimale Fähigkeiten“ auf dem Spezialgebiet müssten eingebettet sein in ein breites Bildungsfeld im Sinne polyästhetischer Erziehung unter Einschluss der Beschäftigung mit Literatur und philosophischen Fragestellungen, da sonst jene Fähigkeiten ohne weiteres Verständnis oder gar Kreativität als „isolierte Elemente im Netzwerk des Lebens“ hingen. Bildung erscheine zwar als fachlicher Luxus, sei aber notwendig. Im weiteren Verlauf erläuterte er seine Pyramide des Bildungsprozesses in der Vernetzung von Bildungsziel, Lehrstoff und Methode in Bezug auf den Lehrenden, den Lernenden und das Umfeld, in dem der Bildungsprozess stattfindet. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf seinen Beitrag in der Veröffentlichung der D-A-CH-Tagung 1980 „Zur Ästhetik der Musikerziehung“ (Bosse-Verlag). Nach der Darstellung weiterer Gedanken zum Thema entwickelte er 11 Thesen, die zu reger Diskussion im Gesprächskreis führten.