Ein enthusiastisches „yeah!“ ist momentan wahrscheinlich das Letzte, was einem beim Blick nach Europa auf der Zunge liegt. Aber in Osnabrück ist die Welt noch in Ordnung, die sichtlich um eine Schärfung ihres Profils bemühte Stadt zeigte sich als Gastgeberin des ersten europaweit ausgeschriebenen Musikvermittlungspreises von ihrer besten Seite, öffnete Schulen und Konzertsäle für ein fünftägiges Festival (siehe unten stehenden Artikel) und lud abschließend ins Schloss, in die frisch renovierte Aula der Universität. Und siehe da, es stellte sich beinahe so etwas wie Premierenstimmung ein, denn vom frischen Wind, der aus manchen der tagsüber präsentierten Nominierungen durch die Szene der üblichen Verdächtigen wehte, blieb ein Hauch von Spannung für den Abend der Preisverleihung übrig.
In unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen „YEAH! Young EARopean Award“ hatte es der mit sechs Jahren fast schon alteingesessene, diesmal parallel vergebene „junge ohren preis“ (jop) naturgemäß nicht leicht. Zwar profitierte auch er von der Atmosphäre der Abendveranstaltung – die moderierende Andrea Thilo spielte mit ihrer Formulierung, man bewege sich „in Richtung einer Würde, die dieser Preis verdient“, auf die trübe Stimmung des vergangenen Jahres an (nmz 12/2010) – die Vorstellung der Nominierten in einem notdürftig neonbeleuchteten Hörsaal hatte indes den Glamour eines Blockseminars zur niedersächsischen Musikgeschichte. Und weil sich das eine oder andere herausragende Projekt aus dem deutschsprachigen Raum um den YEAH! und nicht um den jop beworben haben dürfte, wirkte die Auswahl – gerade im Vergleich zu den europäischen Kandidaten – nicht allzu üppig.
So gab es in der nach wie vor unscharf umrissenen Kategorie „LabOhr“ für die köstliche Umfunktionierung einer Turnhalle in einen „Klangsport“-Raum (theaterformen in Kooperation mit dem Landessportbund Nordrhein-Westfalen und der Sportjugend Nordrhein-Westfalen) ebenso wenig ernsthafte Konkurrenz wie für die Kompositionsklasse des Ensembles „L’ART POUR L’ART“, die mit „Haltbar gemacht“ die Kategorie „Musik und Medien“ für sich entschied. Hier nahmen die handfesten Kommentare der auf Augenhöhe mit den Profis ihre Werke einstudierenden und für CD produzierenden Jungkomponistinnen („die haben das nie so gespielt, wie ich es eigentlich wollte“) ebenso für das Projekt ein wie die chaotisch-sympathische Liveschaltung im Rahmen der Preisverleihung.
Die Auszeichnung in der Kategorie „Best practice Konzertfomat“ bekam die Voralberger „Kreativkompagnie XTHESIS“ für ihr musikalisch-szenisches Bewegungstheater „Die verlorenen Schritte“ zugesprochen, wobei der kurze Filmausschnitt die Qualität des Programms möglicherweise nicht adäquat abzubilden vermochte. Das beste partizipative Projekt war für die Jury, die ihre Wahl diesmal nach einem neuen und offenbar deutlich verbesserten Verfahren traf, eine ästhetisch sehr anspruchsvolle Auseinandersetzung mit Schuberts „Winterreise“, aus der das Konzerthaus Junior im Rahmen des Berliner Netzwerk-Neue-Musik-Projekts ohrenstrand.net eine „Hörsituation“ namens „Rückspiegel“ geformt hatte.
Erfreulich, dass das trotz langjährigen Engagements immer ein wenig im Schatten der opulenten Zukunft@BPhil-Aktivitäten agierende Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), das mit seiner komplett aus den Reihen der Musiker gestalteten „Speedvariante eines partizipativen Projekts“ (Präsentator Markus Lüdke) nicht zum Zuge kam, wenigstens an einem Sonderpreis Anteil hatte: Die vom ATZE Musiktheater in Auftrag gegebene, Orient und Okzident verknüpfende Geschichte „Keloglan und die Räuberbande“ von Sinem Altan und dem Ensemble Olivinn, bei dem Musiker des RSB mitwirken, darf sich über ein Engagement in Bregenz freuen.
Europäische Qualitätsdichte
Eine höhere Qualitätsdichte hatte es zuvor bei der Präsentation der YEAH!-Nominierungen gegeben. Schwer zu sagen, von welchem Projekt die größte Faszination ausging. Wobei gleichzeitig deutlich wurde, welch hoher Aufwand vielerorts von institutioneller Seite betrieben wird. So schaffte es die moderierte, mit Videoeinspielungen und zusätzlichen Stücken zum Mitsingen ergänzte Fassung von Theo Loevendies Komposition „Der Reiche und die Nachtigall“ für Orchester, Chor und Kinderchor vom Muziekcentrum van den Omroep ins Niederländische Fernsehen. In der in Zusammenarbeit mit dem Grand Théâtre Luxemburg entstandenen Produktion des Traffik Theaters „Mausemärchen und Riesengeschichte“ übernimmt der ausgezeichnete 16-köpfige A-Cappella-Chor „Company of Music Vienna“ als Kollektiv oder in personifizierte Gruppen aufgeteilt die singende Rolle des Erzählers oder bestimmter Figuren. Die Konzentration auf Elisabeth Naskes die Möglichkeiten der Stimme auslotenden Komposition wird dadurch verstärkt, dass kein Bühnenbild notwendig ist, stattdessen aber die Körper der Sänger als Projektionsfläche dienen. Weitere nominierte Großprojekte waren die professionell getanzte und mit urbanem Slang gewürzte Aufbereitung des Romeo-und-Julia-Stoffes, das vom Nordic Black Theatre zusammen mit dem Oslo Philharmonic Orchestra zu Prokofjews Originalmusik ausgearbeitet wurde, das deutlich an Royston Maldooms Arbeit gemahnende „Brussels Requiem“ (Théâtre Royal de la Monnaie und belgisches Département du Développement culturel) sowie das Chorprojekt „Cantània“ aus Barcelona. Das dort angesiedelte Konzerthaus „L’ Auditori“, das seit langer Zeit Vorbildliches im Bereich der Musikvermittlung für Kinder und Familien leistet, war außerdem für das in der Präsentation etwas disparat wirkende Programm „Ma, me, mi… Mozart!“ nominiert.
Erfreut nahm man schließlich aber die Entscheidung der Jury zur Kenntnis, gerade auch die kleineren Formationen auszuzeichnen und damit ein Signal der Ermutigung für die freie Szene zu setzen. So gingen zwei gleichberechtigte Preise (sie sind beim YEAH! mit je 8.000 Euro um 3.000 Euro höher dotiert als die junge ohren preise) in der Kategorie „Performance“ an das belgische Percussion Ensemble „Triatu + 1“ und an das österreichische Sonus Brass Ensemble. Letztere spielten allein schon bei ihrem Kurzauftritt im Rahmen der Preisverleihung ein derart betörendes Blech und illustrierten durch kleine, aber aufs Feinste durchgearbeitete choreografische Elemente die Struktur ihrer Stücke auf so einleuchtende und unprätentiöse Weise, dass ein komplettes Konzert mit ihnen – „Rocky Roccoco“ heißt das prämierte, E-und U-Musik zueinander in Spannung setzende Programm – einfach gut sein muss. Und der Clou, der hinter den Schulauftritten von „Tratu + 1“ steckt, ist schlichtweg brillant: Unangekündigt ergreifen die Guerilleros in Sachen Musik für ein paar Minuten von einem Klassenzimmer Besitz, verwandeln mangels mitgebrachter Klangerzeuger alles, was sie dort vorfinden, in Rhythmus und verschwinden dann so überraschend, wie sie gekommen sind. Ob das tatsächlich als Einführung zu einem im Konzept inbegriffenen Abendkonzert mit zeitgenössischer Musik ausreicht, war aus der Präsentation nicht zu erkennen. Egal, man muss die vier Herren, die zum Abschluss der Feierlichkeit die Festgäste mit Cages „Third Construction“ nebst Muschelhorn-Tröten in den Stehempfang entließen, für ihre rhythmischen Übergriffe einfach lieben.
In der Kategorie „Process“, jener also, in der nicht nur das Konzert als Endprodukt, sondern vor allem auch der Weg dorthin mit seinen partizipativen Möglichkeiten im Fokus steht, gab es gleich drei Gewinner: Einen davon, das einzige ausschließlich an Erwachsene gerichtete Projekt „Von Sternen, Nebeln und Galaxien“, wurde in der nmz (Ausgabe 9/2010) ausgiebig vorgestellt. Neben der ambitionierten, das Thema Holocaust auf menschlich wie künstlerisch angemessene Weise thematisierenden Arbeit „VOID“, bei dem sich im Rahmen der Hamburger Klangwerktage Schüler mit Daniel Libeskinds architektonischen Konzepten und mit Kompositionen von Nikolaus Brass auseinandersetzen, wirkten die „Small Composers“, ein Kompositionsworkshop des dänischen FIGURA Ensembles, vergleichsweise unspektakulär. Entscheidend für die Wahl war hier offenbar die Intensität, mit der den musikalischen Inspirationen der Kinder auf den Grund gegangen wurde, und die Ernsthaftigkeit beim Versuch, deren akribische grafische Notationen adäquat umzusetzen.
Über den Sonderpreis der Deutschen UNESCO-Kommission durften sich Marc Sinan und die Dresdner Sinfoniker freuen. Mit „Hasretim – eine anatolische Reise“ ist ihnen unter Einbeziehung von Dokumentarfilmelementen und durch das Zusammenspiel mit anatolischen Musikern offensichtlich ein wahrhaft transkulturelles Gesamtkunstwerk gelungen.
Erhebliches Potenzial
Mit dem von Hans Christian Schmidt-Banse initiierten, von der Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte und anderen Förderern finanzierten und vom netzwerk junge ohren bestens auf die Beine gestellten YEAH! nebst Festival hat die europäische Musikvermittlerszene zweifellos ein attraktives Forum für die Außenwirkung ihrer Arbeit erhalten. Wenn in Zukunft – derzeit ist ein dreijähriger Rhythmus fest geplant, mit einem zweijährigen wird aber liebäugelt – die Verzahnung von Festival und Preisverleihung durch eine kompaktere Terminplanung noch mehr Publikum, Fachleute und Multiplikatoren anlockt, hat der YEAH! das Potenzial für eine Dauereinrichtung mit erheblicher Ausstrahlung.
Für den junge ohren preis wiederum sollten nun die dazwischen liegenden Jahre zur eigenen Profilierung genutzt werden. Dass er unter Wert verkauft wird, sollte nach Osnabrück eigentlich nicht mehr passieren.