Kooperationen allgemeinbildender Schulen mit externen Projektpartnern sind „in“. Neben Vermittlungsprojekten von Orchestern und Opernhäusern bereichern seit vielen Jahren verschiedene Kompositionsprojekte den Musikunterricht: In Berlin bringen „QuerKlang“ und „Klangradar“ Komponistinnen und Komponisten in die Schule, laden Kinder und Jugendliche zum kreativ-experimentellen Musik-erfinden ein und ermöglichen die öffentliche Aufführung ihrer Stücke. Die Denkwerkstatt „Experiment – Komposition – Schule“ gibt Anlass zum Nachdenken über das Verhältnis von Kompositionsprojekten und schulischem Musikunterricht.
Im September fand in Berlin unter der Überschrift „Experiment – Komposition – Schule“ eine Denkwerkstatt statt, zu der das netzwerk junge ohren in Zusammenarbeit mit den Kompositionsprojekten „Klangradar“ und „QuerKlang“ eingeladen hatte. Dieses Forum versammelte Musikpädagogen und Komponisten, um über „innovative Konzepte der Kompositionsdidaktik“ nachzudenken: Hans Schneider von der Hochschule für Musik Freiburg, den Projektleiter und Instrumentenbauer Stefan Roszak aus Berlin, den Musiklehrer und Schulleiter Thomas Frey aus Hamburg, den Musikpädagogen und Lehrplanautor Tobias Hömberg vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg sowie die Komponist/-innen Burkhard Friedrich, Ute Wassermann und Heinz Weber. Die Akteure einte der Wunsch, Projekte zum experimentellen Komponieren stärker im Musikunterricht zu verankern. Doch welchen Nutzen, welche Bedeutung hat das Erfinden von Musik im Unterricht überhaupt? Wie vertragen sich traditionelle Musikvorstellungen und radikal neuartige Ausdrucksmöglichkeiten, standardisierte schulische Lernziele und kreative Prozesse miteinander? Und welche Rolle kommt externen Kompositionsprojekten im streng strukturierten Schulalltag zu?
Komponieren bedeutet, sich selbst in Klängen ausdrücken. Wer komponiert, muss seine Ohren öffnen, sich auf klangliche Feinheiten konzentrieren, probieren und verwerfen, Formen, Verläufe und Entwicklungen bewusst gestalten. Mit der Erfahrung, selbst zu komponieren, verändert sich die eigene Haltung gegenüber Musik: Musik ist nicht einfach „von selbst“ da, um gehört, nachgesungen und nachgespielt zu werden – man kann und muss sie kreativ erfinden und gestalten.
Ein Randphänomen
So selbstverständlich diese Erkenntnisse sein mögen: Komponieren ist im Musikunterricht noch immer eher ein Randphänomen. Während es im Kunstunterricht selbstverständlich ist, dass Kinder und Jugendliche selbst Kunst gestalten, spielt das Musikerfinden in der Schule nur eine untergeordnete Rolle. Eine 2014 vorgestellte repräsentative Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit dem Titel „Produktive Methoden im Test“, die sich mit dem Stellenwert produktiver Tätigkeiten im Musikunterricht beschäftigt, zeigt, dass Komponieren im Unterricht der meisten befragten Schülerinnen und Schüler nach deren Aussage „selten“ oder sogar „nie“ vorkommt. Auf der anderen Seite sind die Konzepte, Schülerinnen und Schüler selbst komponieren zu lassen, zahlreich – ebenso wie die Ziele, die damit verfolgt werden. Denn Komponieren ist anschlussfähig an viele Themen des Musikunterrichts: Mal geben bestehende Werke den Anlass zur Neugestaltung („Unsere Wassermusik“), mal können Kompositionstechniken durch eigene Kompositionsversuche nachvollzogen werden („Ein Menuett-Thema à la Mozart“). Überhaupt wird Musiktheorie für Schülerinnen und Schüler dann nützlich, wenn sie ihr Wissen in eigenen Stücken umsetzen können. Und auch mit dem Einsatz des Computers ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten zwischen Fugenkomposition, Pop-Produktion und Klangcollage. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass dem Musikerfinden in den Lehrplänen der Bundesländer mittlerweile oft ein zentraler Platz zugewiesen wird, wenn auch die Unterrichtsrealität (noch) anders aussehen mag.
Das Besondere am Komponieren im Rahmen von „Klangradar“ und „QuerKlang“ ist die Idee, Neue und experimentelle Musik aktiv zu vermitteln. Weil es dafür nicht unbedingt auf das kompositorische Handwerk, sondern eher auf die Lust am Entdecken und Ausprobieren ankommt, prinzipiell jeder Klang zu Musik werden kann und so auf ganz elementare Weise innovative Stücke entstehen können, handelt es sich – wie die Projektleiterinnen und Projektleiter zurecht gerne betonen – um besonders niedrigschwellige Angebote, Musik zu erfinden. Dass der sehr weite Musikbegriff der Neuen Musik aber nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen ist, wird deutlich, wenn Schülerinnen und Schüler sich auf den gewünschten Bruch mit Hörgewohnheiten nicht einlassen wollen und lieber auf poppige Melodien, groovende Rhythmen und bekannte Harmoniefolgen setzen, anstatt ihre Instrumente zweckzuentfremden oder mit Sprachfragmenten, Alltagsmaterialien und Live-Elektronik zu experimentieren. Schließlich hat auch „Neue Musik“ implizite Normen, und seien sie auch noch so vage, vielleicht durch die Hinterfragung traditioneller Ausdrucksmittel, umrissen. Gelingt aber die Loslösung von Bekanntem, eröffnen sich den Schülerinnen und Schülern ganz neue Gestaltungsspielräume. Ausgehend von Klangexperimenten und Improvisation müssen gemeinsame Konzepte entwickelt und miteinander ausgehandelt werden. Dabei kann eine Komponistin oder ein Komponist der zeitgenössischen Musik natürlich besonders authentische Impulse geben, und dies besser als Lehrerinnen und Lehrer, die vielleicht selbst eher der Klassik oder dem Pop verbunden sind.
Der didaktische Trend seit PISA geht dahin, Lernziele zu standardisieren und damit noch stärker als zuvor planbar zu machen. Auch der Musikunterricht nimmt sich von dieser Entwicklung nicht aus. Kreative Vorgänge widersetzen sich einer solchen Planbarkeit zum Glück weitgehend – erst recht, wenn es um das experimentelle Erfinden von Musik geht.
Für die meisten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer ist es ungewöhnlich, in ein Projekt zu starten, dessen Ausgang offen ist. Der übliche Wissensvorsprung der Lehrenden entfällt, wenn die Kinder und Jugendlichen ihre eigenen Wege suchen und finden sollen. Das Experiment erstreckt sich dann nicht nur auf das Erforschen von Klängen und Ausdrucksmitteln, sondern auch auf die Didaktik. Um aber Unterrichtsgewohnheiten aufzubrechen, braucht es ein verändertes Format. Bei Kompositionsprojekten mit externen Kooperationspartnern definieren Lehrerinnen und Lehrer in Teams mit professionellen Musikerinnen und Musikern ihre Rolle neu. Ob – und wenn ja welche – Vorgaben den Schülerinnen und Schülern gemacht, welche Hilfen und Problemlösungen von ihnen gefordert werden, hängt von der Gruppe ab und ergibt sich im Prozess. Statt penibler Planung sind Flexibilität, Offenheit und Vertrauen in das gemeinsame Ziel gefragt, denn nur dann kann etwas in jeder Hinsicht Neues entstehen.
Möglichkeitsräume
Ein solcher Prozess braucht Zeit und Raum. Beides ist im Musikunterricht angesichts ständiger Kürzungen in den Stundentafeln und notorischen Raummangels in vielen Schulen oft knapp. Kooperationen mit Projekten wie „QuerKlang“ und „Klangradar“ schaffen vor Ort einen organisatorischen Rahmen, in dem Kinder und Jugendliche in Ruhe experimentieren und miteinander Musik erfinden können. Was im Schulalltag oft als Luxus abgetan wird, ist hier realisierbar: die durchdachte Gestaltung der Arbeitsumgebung, eine ästhetisch anregende Inszenierung von Instrumenten und Material, multimediale Arbeitsmethoden. Damit entsteht ein Möglichkeitsraum, in dem zeitgemäße, auch kunstspartenübergreifende Ausdrucksformen zwischen Musik, Performance und Installation ihren Platz haben können.
Die Qualitäten, die experimentelle Kompositionsprojekte von außen in den Musikunterricht bringen können, liegen also insgesamt auf der Hand. Die Berliner Projekte „Klangradar“ und „QuerKlang“ sind durch klare künstlerisch-pädagogische Leitlinien profiliert und haben sich durch langjährige Erfahrungen, wissenschaftliche Begleitung und permanente Evaluierung professionalisiert. So wird auch mit der Denkfabrik nach Wegen gesucht, die Konzepte konsequent weiterzuentwickeln, das Angebot auszubauen, neue Zielgruppen zu erreichen, Qualität zu sichern und experimentelles Komponieren fest im Musikunterricht zu etablieren. Mit Folgeprogrammen wie „QuerKlang – Nachhall“ sollen langfris-tige Kooperationen mit Schulen aufgebaut werden, um über einmalige Projekthighlights mit Ausnahmecharakter hinauszuwirken. Dafür brauchen die Projekte eine dauerhafte Finanzierung, die jedoch, wie so oft in der kulturellen Bildung, nicht gesichert ist.
Auf der anderen Seite ist deutlich, dass externe Projekte nicht ersetzen können, was im Musikunterricht offenbar häufig zu kurz kommt: Gelegenheiten für alle Kinder und Jugendlichen, Musik selbst kreativ zu erfinden – sei sie experimentell, traditionell oder populär. Wenn es um eine vielseitige musikalische Bildung geht, beansprucht das Komponieren in der Schule im Zusammenspiel mit anderen Themen und Methoden einen festen Platz. „Klangradar“, „QuerKlang“ und andere Projekte beweisen, welches künstlerische und didaktische Potenzial schulisches Komponieren hat und tragen ihren Teil dazu bei, das Selbstverständnis von Musikunterricht ein Stück weit zu verändern.