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„Response“ – Komponisten im Musikunterricht

Untertitel
Komponieren mit Kindern einer 7. Klasse – eine Projektbeschreibung · Von Burkhard Friedrich · Teil II
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Ausübende Künstler und Komponisten besuchen die allgemeinbildenden Schulen und präsentieren im jeweiligen Fachunterricht sich selbst und ihre künstlerische Arbeit. Die nmz setzt den Artikel von Burkhard Friedrich über das Komponieren mit Kindern (nmz 10/02, Seite24) in dieser Ausgabe fort:

Ausübende Künstler und Komponisten besuchen die allgemeinbildenden Schulen und präsentieren im jeweiligen Fachunterricht sich selbst und ihre künstlerische Arbeit. Die nmz setzt den Artikel von Burkhard Friedrich über das Komponieren mit Kindern (nmz 10/02, Seite24) in dieser Ausgabe fort: Der nächste Schritt lag darin, die verschiedenen Klänge der Aufnahmen auf den jeweiligen Instrumenten zu imitieren. Die drei Aufnahmegruppen verteilten sich auf unterschiedliche Räume, in denen sie die Klänge des „Spaziergangs“ instrumental umzusetzen übten. Der Verlauf der Imitation war so strukturiert, dass erst zwei Minuten nur gehört wurde, dann sollte zwei Minuten das Band imitiert werden und schließlich nach Ausblendung des Bandes noch zwei bis drei Minuten ohne Zuspielband die Imitation fortgesetzt werden. Das Hören stand also im Zentrum der Übung. Jede Gruppe hatte nun die Aufgabe, ihr Ergebnis dem Rest des Kurses vorzuspielen. Es ist nachvollziehbar, dass die Reaktionen der Schüler äußerst turbulent und gegensätzlich waren, woran man ablesen konnte, dass die musikalische Vorbildung keineswegs eine offene und neugierige Haltung gegenüber ungewohnten Klängen garantiert. Das bedeutet, dass das didaktische Arbeiten mit dieser Art Klängen nur effektiv und zielgruppengerecht ist, wenn ihm ein klarer, formaler Rahmen zugrunde liegt, in dem sich die Kinder wiederfinden und bewegen können. Mein Konzept der Imitation bot mir hier eine solche verbindliche Form, die quasi als Orientierung diente und auf die immer wieder zurückgegriffen werden konnte, da sich die Klasse mit den Aufnahmen aufgrund der Selbsterfahrung identifizierte.

Der Kompositionsprozess begann mit dem Ausblenden des Zuspielbandes, so dass die jungen Interpreten alleine klarkommen und die Imitation, die sich nun in eine Komposition verwandelte, alleine fortsetzen mussten. In diesem Augenblick sollten musikalische Parameter im Vordergrund stehen, die die konkreten Klänge ablösten. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass mein Ziel, den Kindern auf diese Weise das Komponieren mit rein musikalischen Strukturen zu vermitteln, überhaupt nicht erreicht werden konnte. Während die Kinder mittels der Zuspielbänder noch assoziativ und von ihrer Phantasie geleitet arbeiten und lernen konnten, fiel diese kindgerechte Möglichkeit im Augenblick des Abstrahierens weg; die Schüler waren schlichtweg überfordert: Das transparente Hören und Reagieren während des eigenen Spielens ohne die Stütze der Zuspielklänge stellte die jungen Instrumentalisten vor unüberwindbare Probleme.

Erlebnisbereiche

Da mir von den Schülern immer wieder vermittelt wurde, dass sie ihre eigene Erlebniswelt in die Komposition integrieren wollten, wählte ich die Form der Texturen verschiedener Erlebnisbereiche als Grundlage für den weiteren Kompositionsverlauf, um vom Imitationslernen zum produktiv/kreativen Lernen zu gelangen. Es wurden Begriffe und Umweltsituationen gesammelt, die natürlich auch auf ihre Umsetzungstauglichkeit hin geprüft werden mussten. Schließlich einigten wir uns auf vier Texturen: 1. „Regen/Wasser/Blätterrascheln“, 2. „Sonnenstrahlen/Sonnenuntergang/Sturm“, 3. „Schritte im Gras und überall“, 4. „Verschiedene Tiere des Waldes“ als Materialpool. Da die Klasse aus fünf verschiedenen Bläsergattungen zusammengesetzt war, musste entschieden werden, ob diese Kompositionsabschnitte von gleichen oder gemischten Instrumentalensembles gespielt werden. Die Kinder entschieden sich für „gemischt“, vier Kinder wurden ausgesucht, die jeweils „ihr“ Ensemble zusammenstellen durften. Mit Hilfe des Musiklehrers und der beiden Musiker des „Ensembles Resonanz“ wurde geübt, die ausgewählten Naturbilder auf der Basis des Improvisierens musikalisch umzusetzen und jeweils graphische Partituren anzufertigen, aus denen auch ein Zeitrahmen hervorging. Es entstanden etwa zwei- bis dreiminütige, aufgrund der Partituren recht verbindliche musikalische Verläufe, die einander vorgestellt wurden. Es kristallisierte sich der Wunsch heraus, dass in der Endfassung des gesamten Stückes auch jede Instrumentengattung eine Gelegenheit bekommen sollte, sich vorzustellen. Ich betrachtete dieses Anliegen als Möglichkeit, doch noch rein musikalische, also nicht assoziative Kompositionsabschnitte zu integrieren und schlug vor, dass sich jede Instrumentengruppe Klänge aussuchen sollte, mit denen sie die Besonderheiten ihres Instrumentes repräsentiert. Im Hintergrund sollte ein leiser Klangteppich als eine Art Begleitung dienen; wie bei der Big Band das Solo vor dem Tutti-Hintergrund, nur hier mit anderen Klängen. Die Flöten wählten beispielsweise „Triller in hohen Lagen“ vor dem Klanghintergrund „Tiefe Cluster aus Liegeklängen“, die Trompeten „fanfarenartige Signale“ vor einem Teppich aus „Mundstück-Vibrato“, die Posaunen wählten „Glissandi“ mit „Punktklängen in kleinen Intervallen“ als Begleitung und so weiter. Auch diese Ensemblestücke mussten intensiv geprobt und verabredet werden.

Aus Zeitgründen übernahm ich in Eigenregie die Notation des endgültigen Verlaufs der Komposition, das heißt das Zusammensetzen der einzelnen Abschnitte zu einer für alle nachvollziehbaren und überschaubaren Form mit dem Titel „AtemKlänge“ und fertigte eine grafische Partitur unter Berücksichtigung der grafischen Ideen der Schüler an. Das Besondere der Komposition lag darin, dass nunmehr alle 28 Instrumentalisten beteiligt waren und man von der Form eines Concerto grosso sprechen kann, in der sich „Ripieno“- und „Tutti“-Abschnitte regelmäßig abwechseln. Es schloss sich eine Probe- und Übephase mit dem Ziel an, das Stück ohne Dirigenten uraufzuführen, um den Kindern einen Lernprozess des Aufeinanderhörens und -reagierens zu ermöglichen. „AtemKlänge“ wurde im September im Rahmen des „musikfest hamburg“ uraufgeführt. Der Landesmusikrat Hamburg hat unter dem Titel „Eine Reise in die Musik des 21. Jahrhunderts“ ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen, im Rahmen dessen mir ein LK Musik angeboten wurde. Es liegt auf der Hand, dass sich die kompositorische Arbeit mit den Abiturienten des LK Musik bei weitem als komplexer und intellektueller herausstellte. Ich habe denselben Einstieg wie bei der 7. Klasse gewählt, die jeweiligen Dauern verlängert (also drei Minuten Zuspielband solo, drei Minuten Zuspielband mit „Ensemble“, drei Minuten Ausblendung und vier Minuten fortsetzende Imitation) und die Schüler gebeten, untereinander die Instrumente auf die Klangereignisse zu verteilen, was bei der Anzahl von den zehn Schüler/-innen des Kurses nicht schwer fiel. Die Schüler wählten folgende Aufnahmen: 1. „Startende Flugzeuge“, 2. „Fressendes Meerschwein“ (äußerst verstärkt) und 3. „Autofahrt; innen aufgenommen“.

Improvisationsphasen

Ziel war es, die drei Aufnahmen mit den Live-Imitationen unter Zuhilfenahme von Stoppuhren simultan im Konzertsaal aufzuführen. Auch hier stand der Kurs den ungewohnten Klängen und Spielweisen anfangs sehr reserviert gegenüber, spielte zwar jede(r) ein Instrument, doch war der jeweilige Erfahrungshorizont eindeutig von der klassischen Musik und dem Musical geprägt. Um den Schülern das Prinzip des Komponieren nahe zu bringen, führte ich einige Improvisationsphasen durch, bei denen vorher musikalische Parameter festgelegt wurden. Die Improvisationen wurden aufgenommen und anschließend analysiert, was den Ehrgeiz der Schüler, es „richtig“ zu machen, verstärkt anheizte. Nach mehrwöchigem Improvisieren kehrte ich zu den Aufnahmen zurück und erläuterte ihnen meine Konzeption des simultanen Abspielens und Imitierens aller drei Gruppen im selben Raum. Entgegengesetzt zum Improvisieren stand hier für jede Gruppe im Vordergrund, sich hundertprozentig von den anderen Gruppen abzugrenzen und seine eigene Imitation zu spielen.

In den Improvisationsphasen haben die Schüler gelernt, über Klangtexturen und Parameter miteinander zu kommunizieren und ad hoc zu komponieren und in den Imitationsphasen wurde ihnen vermittelt, mit aller Phantasie und Kreativität konkrete Klänge zu imitieren beziehungsweise auf ihrem jeweiligen Instrument zu variieren und sich – fast schon autistisch – nur auf ihre CD zu beziehen. Die Komposition „sound copies“ wurde im Juni 2002 in der „Kleinen Musikhalle“ Hamburg uraufgeführt.

Der geschilderte Arbeitsprozess unterscheidet sich insofern von dem mit der 7. Klasse, als dass hier die rein musikalische Arbeit auf einer abstrakten Ebene im Vordergrund stand. Damit wird der zweite Schritt des Kompositionsprozesses repräsentiert: die Transformation und Abstraktion des Ausgangsmaterials, was in der Form bei „AtemKlänge“ in dem verfügbaren Zeitraum nicht realisiert werden konnte. Dort wäre eben der nächste Schritt gewesen, die konkret assoziative Ebene zu verlassen und die Qualität des musikalischen Materials hinsichtlich des Komponierens mit seinen Klängen, Motiven oder Rhythmen zu prüfen. „AtemKlänge“ stellt eine Art komponierten/improvisierten Materialpool dar, während „sound copies“ einer Komposition mit Werkcharakter aufgrund ihrer verbindlich festgelegten Binnenstruktur schon sehr nahe kommt.

Sowohl in der 7. Klasse, als auch im LK Musik haben sich im Laufe des Arbeitsprozesses das Verhältnis und die Haltung gegenüber Komponisten der heutigen Zeit und deren Musik grundlegend verändert. Nicht nur der unmittelbare Kontakt, sondern auch die Selbstverständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des kompositorischen Schaffens haben den Schülern einen Horizont eröffnet, der dem Musikunterricht, zumindest für den Zeitraum von diesen vier Monaten, eine neue Dimension gegeben hat. Es wurden neue Blickwinkel geschaffen, Strukturen und Wissen in Frage gestellt, es haben sich Fragen ergeben, die teilweise beantwortet werden konnten, teilweise jedoch noch länger im Raum stehen werden und es hat sich, was absolut im Vordergrund steht, ein Diskurs über Perspektiven einer Neugestaltung des Musikunterrichts ergeben, der Kreise ziehen wird. Nur so kann dem Bildungsauftrag der allgemein bildenden Schulen in einer modernen Informationsgesellschaft, in der es um die Vielfalt und Komplexität der Zusammenhänge zwischen Kultur und Gesellschaft gehen soll, Rechnung getragen werden.

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