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Choreografierte Gefühlswelten. Schülerinnen beim Tschaikowsky-Konzert der Wiener Symphoniker. Foto: Martina Draper
Choreografierte Gefühlswelten. Schülerinnen beim Tschaikowsky-Konzert der Wiener Symphoniker. Foto: Martina Draper
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Rote Rosen für Peter Tschaikowsky

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Die Wiener Symphoniker lassen die Tradition der Schulkonzerte wieder aufleben
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Zum Ende des Schulkonzerts der Wiener Symphoniker am 19.12.2013 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins legen Schüler rote Rosen vor das übergroße Portrait von Peter Tschaikowsky auf die Bühne und erweisen ihm stellvertretend für ihre Altersgenossen im Zuschauerraum die letzte Ehre.

Der anhaltende Schlussapplaus der 1.700 Jugendlichen zeugt von einem großen Erfolg: Tschaikowskys 6. Symphonie stand auf dem Programm, doch haben die Schülerinnen und Schüler an diesem Vormittag wesentlich mehr gehört und gesehen als die „Pathétique“. Den Wiener Symphonikern gelingt mit diesem Konzert eine zeitgemäße Wiederaufnahme einer wichtigen Tradition des Orchesters. Bereits in den 50er-Jahren etablierte der Dirigent Hans Swarowsky in Kooperation mit der Stadt Wien eine Konzertreihe, die bis weit in die 70er-Jahre hinein Schulklassen zum Besuch des klassischen Orchesterrepertoires einlud und den Lehrern einige Wochen vorher Materialien und Tonbänder zukommen ließ. Im Konzert selbst wurden zu den Werken Lichtbilder an die Wand projiziert und einzelne Instrumente vorgestellt.

Das Pathetische verbindet Tschaikowsky und Jugendliche

40 Jahre später hat das Performative auf der Bühne des Wiener Musikvereins Einzug gehalten. Nun ist es ein Schauspieler (Christoph Matl), der in die Figur des Neffen des Komponisten schlüpft und aus dessen Perspektive historische und emotionale Kontexte als Anker für die jungen Zuhörer anbietet. Einzelne Möbelstücke und Alltagsgegenstände auf der Bühne wecken Assoziationen zum ausgehenden 19. Jahrhundert und verorten mit Samowar und Matrioschka Russland als Heimat des Komponisten und die Wohnung des Meisters, die es nach seinem Tod aufzulösen gilt. Der Neffe führt das Publikum zwischen 10 und 14 Jahren durch die letzten Lebensmonate von Tschaikowsky, die gleichzeitig die Phase der Komposition an der „Pathétique“ waren. Als „Botenstoff“ des Gefühls nutzt er einerseits seine eigene Trauer und andererseits originale Tagebucheintragungen und Briefe des Komponisten, die ebenso Aufschluss über dessen Ausgesetztheit, aber genauso über seine trinkfreudige Lebenslust bieten. Schwierige Themen wie Tschaikowskys Homosexualität und die Umstände seines Todes werden dabei ausgeklammert.

Das Geschehen auf der Bühne beherrschen aber nicht nur die Musiker des Orchesters und Tschaikowskys Neffe, sondern ebenso Schüler der Neuen Mittelschule Georg-Wilhelm-Pabst-Gasse aus dem 10. Wiener Bezirk, die plötzlich aus dem Orchester heraus erscheinen und choreografisch geführt, Einwürfe zu den Gefühlswelten des Komponisten gestalten. Dafür bietet der Titel der 6. Symphonie jede Menge Anknüpfungspunkte. Friedrich Schiller definiert das Pathetische als die Überwindung des Leidens durch Kunst. Ein treffendes Leitmotiv für Heranwachsende in der Pubertät. Die romantisch-sinnliche Klanggewalt der Symphonie und ihre rätselhaften außermusikalischen Bezüge wirken ganz direkt auf Jugendliche, die sich gerade selbst in einer Lebensphase befinden, die von Geheimnissen und überwältigenden Gefühlen beherrscht wird.

Der neue jugendliche Wiener Mittelstand

Heranwachsende in der Pubertät sitzen zu mehreren Hundert im Wiener Musikverein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Wiener Mittelschulen (vormals Hauptschulen) und Gymnasien besuchen, heterogen wirken sie, weil etwa die Hälfte von ihnen einen Migrationshintergrund mitbringt. Der Anteil der Wiener Schüler mit Migrationshintergrund macht mittlerweile 50 Prozent aus, die Wiener Gesellschaft ändert sich also rasant und damit auch das Bild, das noch vor einigen Jahren eine bildungsnahe bürgerliche Mittelschicht definiert hätte. Erstens dehnt sich die Mittelschicht nach oben und nach unten aus, und zweitens verliert das Bildungsbürgerliche als Wert zunehmend an Boden. Deutlich abzulesen am Schulkonzert der Wiener Symphoniker.

Im Zentrum der Vermittlung stehen schon lange nicht mehr Fakten zur Komponistenbiografie oder formale Aspekte einer Symphonie der Spätromantik wie zu Zeiten der Schulkonzerte der 70er-Jahre. Stattdessen suchen die Gestalter nach Wegen, die die Bedeutung der „Pathétique“ für das Publikum im Moment des Zuhörens nach vielen Richtungen hin öffnet. Natürlich könnten die Jugendlichen auch lediglich in Workshops zur Symphonie vorbereitet werden und diese anschließend im Konzert erleben – dies passiert ohnehin in zahlreichen anderen Vermittlungsformaten der Wiener Symphoniker, und auch bei diesem Schulkonzert wurden die Lehrer vorab mit umfangreichen Materialien zu Bio-grafie und Komposition versorgt und in einem gemeinsamen Lehrerworkshop in die praktischen Vermittlungsmodelle eingeführt. 15 Schulklassen nahmen darüber hinaus an kreativen Workshops mit Musikern der Wiener Symphoniker teil.

Das Schulkonzert für Jugendliche als Herausforderung

Aber offen bleibt die Frage, wie ein Konzert für Schüler am besten gestaltet werden kann. Während es für Familien bereits viele gelungene Formate gibt, die meist jüngeres Publikum bis circa zehn Jahre ansprechen, stellen Jugendliche eine nach wie vor herausfordernde Zielgruppe dar – noch dazu im Klassenverband. Crossover und Partizipation von Jugendlichen auf der Bühne scheinen gegenwärtig die beliebtesten Varianten, um das Publikum für Klassik zu begeistern.

Auch die Wiener Symphoniker wählen den Weg der Partizipation von Jugendlichen für die Gestaltung des Konzerts. Seit 2012 verbindet das Orchester eine auf drei Jahre angelegte Partnerschaft mit der Neuen Mittelschule Georg-Wilhelm-Pabst-Gasse, gelebt in zahlreichen kreativen Workshops, längerfristigen Musikprojekten mit Abschlusspräsentationen und der Mitwirkung an den Schulkonzerten des Orchesters, gefördert von KulturKontakt Austria. Karin Steinbrugger arbeitete als Choreografin mit den Schülern an der Mitwirkung bei der „Pathétique“.

Auf diese Weise treffen vier Welten im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins aufeinander: das professionelle Orchester der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Marius Stieghorst, das eine gekürzte Fassung der „Pathétique“ spielt, der Schauspieler Christoph Matl, der in der Rolle von Tschaikowskys Neffen als Moderator fungiert, die Schüler der Neuen Mittelschule, die choreografisch in das Geschehen eingreifen, und Schüler im Publikum, die ihnen dabei zuhören und zusehen. Ist es nun ein Konzert, ist es ein Schauspiel mit Musik und Tanz, ist es eine kulturpolitische Intervention, die dem Wiener Musikverein ein komplett anderes Publikum als bei seinen Abonnementkonzerten beschert? Vermutlich von jedem etwas. Es bleibt jedenfalls die Frage nach der ästhetischen Dimension dieser Form der Darbietung weiterhin offen: Da die Mitwirkenden unter unterschiedlichen Prämissen agieren und ihre künstlerische Ausdruckskraft divergiert, macht sich der Wunsch nach einer stärkeren Inszenierung hin zur Performance bemerkbar, der diesen Unterschieden und deren Brüchigkeit besser gerecht werden könnte.

Ausblick

Schüler und Lehrer waren begeistert.Ihr Feedback an die Musikvermittlerin der Wiener Symphoniker, Bettina Büttner-Krammer, fällt einhellig überaus positiv aus. Ebenso stehen Musiker und Management des Orchesters hinter der breiten Palette von Vermittlungsansätzen, in deren Mitte nun das Schulkonzert einen Fixpunkt darstellt – einer Fortsetzung steht also nichts mehr im Wege. Das Konzept wurde übrigens bereits einige Tage später auch vom Beethoven Orchester Bonn in adaptierter Form aufgeführt. Dies bringt einen völlig neuen Ansatz der Kooperation auf Musikvermittlungs-Ebene ins Konzertleben, der sicherlich noch weitere Früchte tragen kann.

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