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Schlagzeuggeflüster und Orchesterklang

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Ein Familienkonzert der Musikhochschule Lübeck · Von Ernst Klaus Schneider
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„Wie passt denn das zusammen?“, wird jeder mit der Durchführung von Konzerten für Kinder und Jugendliche Erfahrene fragen. Denn im Familienkonzert „Schlagzeuggeflüster und Orches­terklang“ der Lübecker Musikhochschule sollte scheinbar Unvereinbares miteinander verbunden werden: die 1. Sinfonie von Johannes Brahms und das avantgardistische Schlagzeugkonzert „Traumspur“ von Johannes Fischer: Ein in großen Bögen aus Themen und Motiven sich entwickelndes sinfonisches Werk stand kurzen, assoziativ aneinandergereihten Charakterstücken gegenüber – das Instrumentarium des Sinfonieorchesters einem ungewöhnlichen und äußerst vielfältigen Instrumentarium, das neben traditionellen Schlaginstrumenten für das Musizieren ganz neu Gefundenes integriert: Steine und Bretter, Kuhglocken und Autofedern, „Souvenirs“ aus Burma.

Es sind Musikstücke, die auch die Hörer vor sehr unterschiedliche Anforderungen stellen: zum einen das Mitvollziehen des Spiels der Melodien, Themen und Motive bei Brahms, zum anderen das Sich-Einlassen auf ein äußerst differenziertes, immer wieder überraschend neues, unvorhersehbares, ja ereignishaftes Klanggeschehen in der Musik von Johannes Fischer. Um die Gegensätze zu mildern, wurden weitere Stücke Neuer Musik als Brücken eingefügt: Askell Massons „Prim für kleine Trommel“ (1984) und Minoru Mikis „Marimba Spiritual“ (1983/84).

Die Werke waren für das Eröffnungskonzert des Brahms-Festivals vorgesehen, sollten aber auch für das Familienkonzert genutzt werden. Gegen eine solche Vermittlungsaufgabe ist prinzipiell wenig einzuwenden. Denn die Kinder und Jugendlichen nehmen auf diese Weise teil an der öffentlichen Musikkultur. Sie hören und erleben, was auch die Erwachsenen hören und erleben. Doch den meisten Kindern und Jugendlichen fällt es schwer, über längere Zeit stillzusitzen und dem zuzuhören, was Musiker ihnen, meist fern auf der Bühne, präsentieren. Es ist eine ihnen vermutlich unbekannte, ja fremde Musik. Aufgabe bei der Konzertvorbereitung war es nun, altersgemäße und facettenreiche Vermittlungswege zu finden, damit das Konzert Kindern Erfahrung und ästhetisches Erlebnis ermöglicht: Wie lässt sich mit dieser Musik ein Bezug zur unmittelbaren Lebenswelt der Kinder herstellen, damit sich eine Identifikation der Kinder mit der Musik aufbaut? Wie können die Kinder aktiv beteiligt werden? Welche Methoden der Vermittlung werden den Kindern, aber auch den Erwachsenen sowie der Musik gerecht?

Die Planungsgruppe mit Studierenden, Bernhard Weber und mir entschied sich für ein Vermittlungskonzept, das Sinfonie- und Portraitkonzert miteinander verband. Wir wollten auf immer neue Weise personale Beziehungen stiften durch die unmittelbare Begegnung zwischen Musikern und Zuhörern, durch von Schülern geführte Live-Interviews (dabei Verzicht auf die übliche Moderation) und durch das gemeinsame Musizieren aller im Saal.

Der Solist und Komponist des Schlagzeugkonzerts, Johannes Fischer, erhielt für die Vermittlung also eine zentrale Rolle und ließ sich darauf überzeugend ein. Über das auf Nähe und Kontakt angelegte Arrangement und über die Person des Künstlers entstand im Konzert eine faszinierende Beziehung zwischen Bühne und Publikum. Neue Musik konnte unmittelbar als Sinn im Sinnlichen erfahren werden. Wir nutzten folgende Vermittlungswege (die Formen der Erschließung und Präsentation der Brahmssinfonie werden im folgenden nicht dokumentiert):

Vom richtigen Ein-stimmen ins Konzert

Im Eingangsbereich des Konzertsaales schufen wir eine Atmosphäre, die auf das Kommende „einstimmte“ und zugleich Kontakte stiftete: Ein Klang­parcours führte über einen Klang­steg mit unterschiedlichen Klingern, die von den Kindern und Jugendlichen bespielt werden konnten, zu einer „Ohrenmassage“ auf einem Sessel zwischen zwei großen, leise angeschlagenen Gongs; es folgte das Melodiespiel auf gestimmten Flaschen, dann die Klangküche mit Alltagsgegenständen wie Töpfen, Gläsern und Tellern. Ein Studierender der Schlagzeugklasse der Hochschule servierte am Schluss ein Klangmenü.

Einfach etwas nicht Erwartetes tun

An der Tür das Saales erhielt jeder Besucher eine Tüte mit aufgedrucktem Programm und zwei kleinen Kieselsteinen, ein „Geschenk“, das neugierig machte. Im Konzert wurden die Kieselsteine und die Tüte Musikinstrumente.

Mit virtuosem Spiel überzeugen

Nach dem 3. Satz der 1. Sinfonie von Brahms erklang in den abflauenden Beifall hinein in extremem Kontrast das Stück „Prim“ (1984) für kleine Trommel von Askell Masson. Im Anschluss an das große Orchester spielte einer allein! Das Stück von Masson gewinnt seine faszinierende Kraft aus der Virtuosität, mit der die Klangmöglichkeiten dieses kleinen Instruments im rasenden, dann auch immer wieder zurückgenommenen Spiel ausgereizt werden. Dabei kommen höchst unterschiedliche Emotionen, viele Facetten innerer und äußerer Bewegheit zum Ausdruck. Die virtuose Beherrschung des Instruments, die Energie, mit der Schwieriges in Leichtigkeit vorgetragen wurde, führten bei allen im Saal zu einem intensiven, ja fast rauschhaften Musikerleben. Am Schluss explodierte der Beifall. War das „Neue“, fremde Musik? Das war eine unmittelbar wirksame Musik, ereignishaft, vermittelt durch die Virtuosität auch in der Komposition.

Gleichaltrige moderieren in Form eines Schüler-Reports

Der gesamte Moderationsvorgang in diesem Familienkonzert wurde getragen von Gesprächen zwischen Schülern/-innen einer 7. Klasse mit Johannes Fischer. Die Fragen sollten neben künstlerischen auch andere ­Aspekte der Biographie zu Geltung bringen, so dass diese sich zu Szenen einer Lebensgeschichte fügten. Auf diese Weise konnte erfahren werden, wie Musik sich mit anderen Erlebnisweisen, mit der Lebenswelt verbindet. Die Handlungsform des Schüler-Reports erwies sich auch hier als besonders wirkungsvoll, weil sich die Kinder und Jugendlichen im Publikum mit den Schülern auf der Bühne identifizieren.

Lektion: Spieltechniken vorführen

Das Anfangsinteresse der Schüler/-innen auf der Bühne galt auch den Techniken des Trommelspiels. Wie kann man mit nur zwei Stöcken eine solch faszinierende Musik produzieren? Johannes Fischer führte in Tonfall und Zuwendung sehr selbstverständlich vor, wie das Trommeln funktioniert; er verlangsamte das Spiel, beschleunigte wieder, zeigte das „Melodiespiel“ auf einem Trommelfell. All das wurde mit einer Video-Lupe für alle sichtbar auf eine Leinwand projiziert. Die Zuhörer erfuhren Neues über die Musik, über die Person des Musikers. Alle im Saal fühlten sich persönlich angesprochen.

Von sich erzählen in Worten und Tönen

Im Gespräch mit den Schüler/-innen erzählt Johannes Fischer über seine Art zu komponieren, wie sich bei ihm musikalische Gedanken bei Alltagstätigkeiten im Kopf einstellen und langsam entwickeln. Und wie er die Musik, wenn sie im Kopf fertig ist, nachts am Schreibtisch notiert. Er berichtet, wie er durch Lauschen und Klangerprobung neben den bekannten Schlaginstrumenten neue Instrumente findet. Es sind „Souvenirs“ wie Autofedern, Glocken oder Kreissägeblätter, die im Instrumentarium auch dieses Konzerts hängen. Die Hinweise machen neugierig, wie Musik mit diesen Instrumenten denn klingen könnte. Keine Erklärung zum Stück. In fließendem Übergang vom Erzählen zum Spiel beginnt Fischer einen Satz aus seinem Konzert. Eben hat er noch in Worten „von sich“ erzählt, nun erzählt er „von sich“ in Tönen und Klängen, die „von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken inspiriert sind“. Ein solches Vorgehen sorgt für Aufmerksamkeit, weitet den Hörhorizont und öffnet Ohren für das Neue.

Mit allen gemeinsam ein Stück Neuer Musik musizieren

Für alle im Saal hatte Johannes Fischer ein kleines Steinstück geschrieben. „Steine“ heißt ein Satz aus dem Schlagzeugkonzert. Nun kamen auch die Steine in den ausgeteilten Programmtüten zur Geltung. Alle konnten mitspielen. Und alle ließen sich ein, weil ein Vertrauen aufgebaut war. Fischer zeigte, wie nicht allein rhythmisch, sondern auch klanglich differenziert Musik mit Steinklängen gestaltet werden kann. Er entwickelte mit Gesten in Gruppen einen auf- und abschwellenden Stein-Regen, führte durch Vor- und Nachmachen ohne Worte die kleinen sich ständig wiederholenden Rhythmusmuster ein. Über diesem Ostinato improvisierte Fischer mit seinen Steinen, später stimmten die Orchestermusiker mit ihren Ostinati ein. Es erklang ein gemeinsam ausgeführtes und eigenständiges Musikstück, dem alles Propädeutische oder Kindertümelnde fern war. Nach einer Weile ließ Fischer den Steinklang – wortlos – hin zum Papiergeräusch changieren, durch Hinblasen in die Tüte erhielt auch das Rhythmusmodell einen neuen Klang. Die Musik wurde immer leiser. In die entstehende Stille hinein erklang der Satz „Steine“ aus dem Schlagzeugkonzert. Steinklänge im Orchester! Was die Kinder und Jugendlichen spielten, hatte eine Funktion und wurde ernst genommen. Es war eigenständiger Teil des Konzerts. Die von ihnen dabei gemachten Erfahrungen führten nun zur wachen Aufnahme der avantgardistischen Musik Fischers, die für alle im Saal irgendwie schon vertraut schien.

„Am Ende des Konzerts gab es donnernden Applaus“, schrieb die Presse. „Eine rundum gelungene Veranstaltung, genussvoll und lehrreich nicht nur für Kinder.“ Die Wirkung des Konzerts konnte jeder an den konzentrierten ­Gesichtern der Kinder ablesen. Aber auch an den Gesichtern der Orchestermusiker, die an den Interview­abschnitten und Solostücken wie ein interessiertes Publikum teilnahmen. Zum Erfolg dieses Konzerts haben gewiss die vielfältigen Vermittlungswege beigetragen.

Die zentrale Rolle spielte jedoch Johannes Fischer, der nicht nur als Schlagzeuger oder Komponist auf der Bühne stand, sondern der als Person in Haltung, Bewegung, Ausstrahlung und Präsenz vermittelte, wie und warum Musik ihn selbst bewegt. Das zeigt eine Perspektive für die Musikvermittlung in Konzerten.

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