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Gezeigt wurde „Mehr Platz zum Fliegen“ in der Nürnberger Villa Leon, verbunden mit einer Expertendiskussion über „Musik und Bewegung für Kinder“. Foto: Jutta Missbach
Gezeigt wurde „Mehr Platz zum Fliegen“ in der Nürnberger Villa Leon, verbunden mit einer Expertendiskussion über „Musik und Bewegung für Kinder“. Foto: Jutta Missbach
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„Schließlich bin ich musikalisch geboren“

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„Mehr Platz zum Fliegen“ – ein Film von Anja Christin Winkler in Nürnberg
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„Rythm is it“, dem Film über das „Sacre“-Projekt der Berliner Philharmoniker, der die rhythmisch-musikalische Arbeit mit über 400 Kindern und Jugendlichen darstellt, ist es gelungen, Bedeutung und Erfolg solcher Arbeit einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Einer Öffentlichkeit, die weit über das Publikum hinausgeht, das solche Dinge normaler-weise wahrnimmt. Viele ähnlich verdienstvolle Projekte bleiben mehr oder weniger im Dunkeln. Allenfalls Eltern und Freunde der beteiligten Kinder, mit etwas Glück ein Reporter der lokalen Tageszeitung, erleben im Regelfall Ergebnisse einer oft höchst engagierten und kompetenten Arbeit mit Kindern.

Immerhin: In Nürnberg, wo die Kooperation der Musikschule, des Kinderkulturforums und des Theaters Mumpitz zu einer Aufführung der Oper „Jupiterlandung“ von Peter Maxwell Davies geführt hatte, ist ein „Making-Off“-Film entstanden. Sehr anschaulich präsentiert er die Entstehung einer Inszenierung, die zugleich behutsame wie energische musikalische, rhythmische und szenische Arbeit der künstlerischen Leiterin mit Kindern. Regisseurin Anja Christin Winkler stellt in ihrem Film „Mehr Platz zum Fliegen“ sensibel und mit einem Gespür für das Besondere dieser Arbeit Interviews mit Verantwortlichen und beteiligten Kindern sowie eine Dokumentation der Arbeit auf und hinter der Bühne zusammen. Gezeigt wurde der Film in der Nürnberger Villa Leon, verbunden mit einer Podiumsdiskussion über „Musik und Bewegung für Kinder“, zu der Experten aus der ganzen Republik geladen und gekommen waren. Grazyna Przybylska-Angermann, Initiatorin, Organisatorin und künstlerische Leiterin der Opern-Aufführung, zeigt im Film, wie Kinder mit ihrem natürlichen Gespür für Rhythmus und Musik in konzentrierter Arbeit hingeleitet werden auf ein „Endprodukt“, das schließlich nicht nur zum intensiven musikalischen und rhythmischen Erlebnis beiträgt, sondern auch das Selbstbewusstsein der Beteiligten stärkt. Bewegend, wie einer der Solisten, dem die spielerischen und rhythmischen Bestandteile seiner Rolle offensichtlich leicht fallen, plötzlich die Hemmschwelle überwindet und selbstbewusst-sicher zu singen lernt. Und treffender hätte es niemand sagen können als einer der von seiner eigenen Leistung durchaus überzeugten „Jupiteraner“-Darsteller: „Schließlich bin ich musikalisch geboren“.

Dieses Zitat schaffte dann auch den Weg in das anschließende Podiumsgespräch unter der Moderation von Theo Geißler. Über die Bedeutung der musikalischen und rhythmischen Arbeit mit Kindern noch vor der Pubertät waren sich die Redner einig. Heiner Gembris vom Institut für Begabtenforschung Paderborn, sprach von der „Offenohrigkeit“ von Kindern bis ungefähr zur zweiten Grundschulklasse. Bis dahin, so Gembris, seien Heranwachsende für alle Musikgenres offen. Es folgt die von Staatsopernintendant Wulf Konold erwähnte „Latenzzeit“, die mehr oder weniger lange dauert, in der sich Jugendliche von der Musik abwenden. Widerspruch eines Hauptschullehrers aus dem Publikum: Eine Latenzzeit gäbe es nicht. Nichts habe gerade für Jugendliche eine so große Bedeutung wie Musik. Allerdings haben in dieser Zeit Mozart und Schubert keine Chance mehr gegen Tokio Hotel und Madonna. Dies müsse doch in der Lehrerausbildung berücksichtigt werden. Ist das wirklich so, fragt Renate Kühnel, die in Regensburg Sozialarbeiter und -pädagogen zu Musik- und Bewegungserziehern ausbildet. Sie widerspricht mit ihrer Frage der These, man müsse die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen. Rock- und Popmusik, so Kühnel, stelle für Jugendliche eine Abgrenzungsmöglichkeit von der Welt der Erwachsenen dar, eine Art der natürlichen Protestbewegung, die man ihnen nicht unbedingt nehmen solle.

Hauptsächlich ging es im Gespräch um die Bedeutung der rhythmischen Erziehung. Diese brauche zur Rechtfertigung eine Forschungsgrundlage, meint Sabine Vliex von der Musikhochschule Trossingen. Und das, obwohl der Bereich auf der einen Seite so komplex sei, auf der anderen Seite nur in der Praxis erfahrbar, dass eine adäquate Forschung kaum möglich sei. Wichtig ist auf jeden Fall eine qualifizierte Ausbildung von Lehrern und Erziehern, die rhythmisch-musikalisch mit Kindern arbeiten. Die aufgrund von PISA allseits herbei zitierten Ganztagsschulen stellen in diesem Zusammenhang Chance und Gefahr dar. Chance, weil die Nachmittagsbetreuung durchaus Raum geben könnte für eine nachhaltige rhythmische und musikalische Arbeit. Die Gefahr jedoch lauert nicht nur in der denkbaren kompletten Ausgrenzung der so genannten „soft skills“ aus der schulischen Betreuung. Kontraproduktiv wären auch Modelle, in denen nicht ausgebildete Multiplikatoren, weil sie „billiger“ zu haben sind, qualifizierte Fachkräfte ersetzen. Was tun, um den Zielen der anwesenden Ausbilder, Wissenschaftler und Praktiker näher zu kommen? „Die Politik überzeugen“ lautete die Forderung vom Podium wie aus dem Publikum. „Politik“ war durchaus anwesend bei der Präsentation des Films. Zumindest teilweise hatte sie sich rechtzeitig vor Beginn der Podiumsdiskussion verabschiedet. Jedenfalls hielten sich Politikvertreter in der – ansonsten lebhaften – Diskussion zurück. Eigentlich schade: Das positive Beispiel hätte Anstoß sein können für ein Umdenken. Das allerdings kann nicht in der Politik, sondern muss in der Gesellschaft beginnen.

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