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Intensive Annäherung an ein Instrument: Das Projekt „Kinderorgel“ im Rahmen des Festivals Stiftsmusik Stuttgart. Foto: Ludger Schmidt
Intensive Annäherung an ein Instrument: Das Projekt „Kinderorgel“ im Rahmen des Festivals Stiftsmusik Stuttgart. Foto: Ludger Schmidt
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Seismograph für Entwicklungen in der Konzertpädagogik

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Preisträger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim junge ohren preis 2008 · Von Barbara Stiller
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Nunmehr zum dritten Mal wurde der vom netzwerk junge ohren ausgelobte junge ohren preis vergeben, und noch nie gab es so viele Bewerbungen wie diesmal. Ende November wurden die Preisträger für Projekte der Saison 2007/08 bekannt gegeben. „Professionelle Konzert- und Musiktheaterprojekte für ein junges Publikum“ wurden gesucht, und wie unterschiedlich diese Anforderung ausgelegt werden kann, beweisen unter anderem die auf dieser Seite vorgestellten Preisträgerprojekte.

Es ist erst wenige Jahre her, dass engagierte Konzertpädagogen vehement diskutierten, ob es sich nun um Kinderkonzerte, Konzerte mit Kindern oder Konzerte für Kinder handeln soll. Heutzutage, das zeigen die 53 Bewerbungen, wird alles unter dem Terminus Konzert für Kinder subsumiert: vom klassischen Sinfonieorchesterkonzert mit einem Moderator über sozialkritisch programmierte Opernprojekte von Jugendlichen, singende Grundschulchöre und Schulbesuche von einzelnen Orchestermusikern, steuert die konzertpädagogische Musikvermittlungsszene im Jahr 2008 zunehmend auf gigantische Großprojekte zu. Diese sind in der Regel recht kosten- und personalintensiv und orientieren sich konzeptionell an der so-genannten und vielfach ausgezeichneten „Education-Arbeit“ der angelsächsischen Musikvermittlungsszene.

Lange wurde der Begriff „education“ in der deutschen Orchesterlandschaft gescheut, mittlerweile scheint er sich aber zu Recht etabliert zu haben, denn es bewerben sich für den junge ohren preis überwiegend künstlerisch-pädagogische Projekte, in denen Kinder die eigentlichen Protagonisten auf der Bühne darstellen. Auf die jungen Publikums-Ohren müssen Kritiker mitunter sogar verzichten, stellt sich doch zunehmend heraus, dass die vielfach beschworenen Konzerte für Kinder eher als „Konzerte von Kindern für deren Eltern“ betitelt werden müssten.

Die medial außerordentlich publikumswirksam veröffentlichten Education-Projekte mögen über Jahre ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die klassischen Konzerte, in denen professionelle Ensembles und Berufsorchester allein und ohne die Beteiligung vorbereiteter Kinder auf der Bühne agieren, immer mehr in den Hintergrund treten. Dies ist umso bedauerlicher, als nach wie vor spürbar wird, welch große Wirkung auch für Kinder von einem Konzertbesuch ausgehen kann, wenn sie allein als Publikum im Auditorium sitzen und dann spontan und überraschend im Rahmen ihrer stimmlichen, rhythmischen und improvisatorischen Fähigkeiten in das musikalische Geschehen einbezogen werden.

Eine Sparte, die beim junge ohren preis auch dieses Jahr zum Bedauern der Jury quantitativ nur schwach vertreten war, sind Projekte kleiner professioneller Kammermusikensembles, die sich auf Konzerte für Kinder spezialisiert haben. Zusammenfassend kann der Preis des Netzwerks bezüglich aktueller Trends sicher als Seismograph bezeichnet werden, der die Impulse aus der aktuell gängigen Praxis aufgreift und bemerkenswerte konzertpädagogische Entwicklungen im gesamten deutschsprachigen Raum aufzeigt. Drei Preisträger dürfen sich in diesem Jahr gleichermaßen über den junge ohren preis freuen. Das österreichische Ensemble „Die Schurken“ aus Voralberg, das Projekt „Kinderorgel“, gestaltet von Christian Zech und Bernhard König sowie „stones & wood on paper“, bei dem der Kasseler Verein Kzwo10 e.V. drei Schulklassen mit professionellen Musikern zusammenbrachte.

Die international besetzte Fachjury begründet ihre Entscheidung in den eigenständigen und originären Ansätzen der Projekte und der ästhetisch schlüssigen und künstlerisch ansprechenden Umsetzung der jeweiligen Gesamtkonzeption. Jedes der Projekte setzte auf seine Art einen besonderen Akzent für die Zugänglichkeit von Musik für Kinder und Jugendliche, sodass alle drei Einsendungen in ihren unterschiedlichen Ansätzen gleichermaßen gewürdigt wurden. Die Deutsche Orchesterstiftung ermöglichte zur Auszeichnung dieser Projekte Preisgelder in Höhe von insgesamt 5.000 Euro.

Erstmalig in der noch jungen Geschichte des junge ohren preises konnten auch drei Gewinner für den Sonderpreis „Musik und Medien“ ermittelt werden. Dieser wurde vom netzwerk junge ohren in Kooperation mit der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) als Sonderkategorie 2008 ausgeschrieben und wurde ebenfalls mit einem Preisgeld von insgesamt 5.000 Euro dotiert. Der Sonderpreis prämiert Musikvermittlungsprojekte, die Kindern und Jugendlichen auf ansprechende und neuartige Weise über audiovisuelle Medien sowie das Internet Zugänge zur Musik eröffnen. Mit 22 Einsendungen war auch hier das Interesse bemerkenswert groß und es wird einmal mehr deutlich, dass sich das weite Feld der Musikvermittlung zunehmend auch in andere Bereiche ausbreitet, die mit dem traditionellen Konzertwesen nahezu nichts mehr zu tun haben. Hier entstehen vielschichtige Zugänge zur Musik, die neben klassischen Formaten eine zukunftsweisende Dimension eröffnen und Musikvermittler ermutigen sollen, im Bereich des klassischen und zeitgenössischen Musikbetriebes niveauvolle und innovative Wege im Umgang mit Medien zu gehen.

Die vierköpfige Fachjury kürte einen ersten und zwei zweite Preisträger für den Medienpreis. Sieger in diesem Wettbewerb ist der „Geräuschladen ohrenhoch“ in Berlin mit seiner Klanginstallation „Der Nachttropfendrache“. Den zweiten Preis teilen sich der Herausgeberverein der Schweizer Kindermusikzeitschrift und Website „Klaxon“ sowie die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz für die Lern-DVD „Listen to our Future“. Im Folgenden werden alle sechs Preisträgerprojekte vorgestellt:

Das Kinderkonzert Kommissarin Flunke und die Schurken (Idee und Konzept: Stefan Dünser, Regie und Libretto: Theresita Colloredo, Musik: Murat Üstün) ist ein lebendig inszeniertes Konzertprogramm mit einem hohen Anteil an theatralischen Elementen, das über seine Rahmenhandlung das Miteinander-Musizieren explizit zum Thema macht. Die vier österreichischen Musiker (Goran Kovacevic – Akkordeon, Martin Deuring – Kontrabass, Martin Schelling – Klarinette, Stefan Dünser – Trompete) wenden sich im Zusammenspiel mit der Schauspielerin Lilian Glenn ihrem Publikum mit ansteckender Spielfreude und mitunter eigentümlicher Ironie zu und laden zu anregender Interaktion zwischen Bühne und Publikum ein.

Das Projekt Kinderorgel fand im Rahmen des Festivals „Stiftsmusik Stuttgart“ statt. Das Instrument Orgel stand dabei stets im Mittelpunkt des Geschehens und die Workshops für Kinder, Eltern und Lehrer erlaubten durch vielfältige musikalische Anregungen eine intensive Annäherung an Instrumentenbau, aktives Musizieren und elementares Komponieren. Die Beteiligung an einem etablierten Festival im Rahmen eines Familienkonzerts bildete den Abschluss des Projektes, das überdies den Kirchenraum in neuer Weise zugänglich machte. Begleitend fand eine detaillierte Evaluation des Projektes statt.

Mit dem Projekt stones & wood on paper (Konzept und künstlerische Leitung: Christine Weghoff und Olaf Pyras) brachte der Verein Kzwo10 e.V. in Kassel drei Schulklassen unterschiedlicher Altersgruppen und Schulformen mit professionellen Musikern zusammen. Die Materialien Stein, Holz und Papier wurden auf ihr Klangspektrum hin erforscht und aus dem spielerischen Umgang damit entstanden Stücke, die in einem gemeinsamen Konzert präsentiert wurden. Die Kinder und Jugendlichen konnten sich unabhängig von musikalischer Vorbildung mit großer Spiel- und Experimentierfreude in das musikalisch-schöpferische Gesamtgeschehen abschließende Aufführung einbringen.

Die Klanginstallation Nachttropfendrache wurde von dem Schweizer Komponisten Knut Remond zusammen mit Kindern aus Berlin-Neukölln entwickelt. Der Nachttropfendrache lebt in einer großen Klangkiste im Geräuscheladen von Herrn Remond. Im Rahmen einer lebendigen Stadtteilkulturarbeit findet bei diesem Projekt eine niedrigschwellige Workshoparbeit mit hoher Sensibilisierung für Klänge und Geräusche statt, welche Mut zu phantasievoller Gegenständlichkeit in einer äußerst feinsinnigen elektroakustischen Musikszene (er-)fordert und fördert. Die Ergebnisse des Workshops strömen eine überzeugende ästhetische Kraft aus, die jüngere und ältere Besucherinnen und Besucher gleichermaßen in ihren Bann zieht.

Klaxon ist eine Musikzeitschrift für Kinder, die sowohl in der Musikvermittlung als auch in der Wahl der musikalischen Gegenstände originelle Wege geht. Insbesondere die enge Verbindung der Medien Zeitschrift und Website regt die jungen Leserinnen und Leser mit und ohne musikalische Vorkenntnisse auf vielfältige Art gleichermaßen zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Musik an (www.klaxon.ch).
Die DVD Listen to our Future der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz demonstriert einen neuen Weg der Kontaktanbahnung zwischen einem Berufsorchester als Kulturorganisation und verschiedenen Bildungseinrichtungen. Besonders für Grundschulen ohne Fachlehrkräfte für Musik bietet sie einen lebendigen und individuellen Weg, Instrumente zu entdecken und die künstlerische Arbeit eines Orchesters in seiner Vielfalt kennen zu lernen.

Die Preisverleihung für alle sechs ausgezeichneten Projekte findet am 27. März 2009 in Berlin statt.

Einzelne Textteile sind der Website des netzwerks junge ohren entnommen: www.jungeohren.com/

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