Alle zwei Jahre kommen Musiker, Musikpädagogen und Musikwissenschaftler aus den über 80 Mitgliedsländern der International Society for Music Education (ISME) bei einer internationalen Konferenz zusammen, um sich in Vorträgen, Foren und Symposien über Fragen der Musikerziehung auszutauschen und die verschiedenartigen Facetten musikalischer Traditionen vorzustellen. Jugendchöre und Instrumentalensembles, Orchester und Bands, Tanzformationen und ethnische Musikgruppen führen dabei den Besuchern eindrucksvoll die Vielfalt der musikalischen Kulturen und Traditionen der Welt vor Augen und Ohren. In der Begegnung von Musikern über alle Schranken von Rassen und Religionen, von Staaten und Ideologien hinweg liegt der unschätzbare Wert dieser Veranstaltung, die ein Schaufenster der vielen verschiedenen Musikkulturen darstellt.
In diesem Jahr fand die 27. Weltkonferenz der ISME vom 16. bis 21. Juli 2006 in Kuala Lumpur statt und stand unter dem Motto „Sentuhan“, einem malaysischen Ausdruck, der „Gefühl, Bewegung“ bedeutet und damit auf die Bedeutung und Kraft der Musik verweist, Menschen anzurühren, zu verbinden und zu bewegen. Wie kaum ein anderes Land bietet dieses multi-ethnische (Malayen, Chinesen, Inder) und multi-kulturelle Land mit Muslimen, Buddhisten, Hindus und Christen geradezu ideale Voraussetzungen für eine derartige Begegnung der Kulturen, was in einer Zeit umso wichtiger und bemerkenswerter ist, in der politisch eher ein „Kampf der Kulturen“ die politische Debatte beherrscht, der die Grundlagen humaner Zivilisation und menschlichen Miteinanders zu zerstören droht. Dass es im Rahmen der Musik auch anders geht, zeigte eindrucksvoll die ISME-Konferenz. Im tropischen Klima Malaysias mischten sich die bunten Farben der üppigen Vegetation mit der Farbenpracht der traditionellen Trachten und Kostüme, die sich im vielfarbigen Bild der verschiedenen Kulturen verbanden. Die Gastgeber der Universiti Teknologi MARA hatten keine Mühe gescheut, den über 700 Teilnehmern aus circa 80 Ländern den Aufenthalt so angenehm und eindrucksvoll wie möglich zu gestalten. Den Gästen aus aller Welt sowie einer großen Zahl von Studenten aus Malaysia wurde in zahlreichen Einzelvorträgen, diversen Seminaren, Symposien, Workshops, Poster-Ausstellungen und einer großen Fülle an musikalischen Aufführungen ein eindrucksvoller Überblick über die Vielfalt musikerzieherischer Möglichkeiten in unserer global verbundenen Welt geboten. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass diese Konferenz von den Medien und der offiziellen Politik sehr deutlich wahrgenommen wurde, was sich in der Teilnahme von drei Ministern an verschiedenen Veranstaltungen zeigte. Ein einzelner Teilnehmer kann die Vielfalt der angebotenen Veranstaltungen gar nicht vollständig aufnehmen. Aber der besondere Reiz einer solchen Großveranstaltung besteht gerade auch in den vielen Begegnungen und Gesprächen am Rande der Veranstaltungen, auf den Gängen und im Hotel.
So ergibt sich am Ende der Konferenz doch für jeden Teilnehmer je nach seiner Interessenlage ein ganz individuelles, aber immer ungemein reichhaltiges Gesamtbild. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Teilnehmer immer – wenngleich aus den unterschiedlichsten Gründen – ganz begeistert über die gemachten Erfahrungen berichten. Überraschend ist vielmehr, dass aus Deutschland immer auffallend wenige Delegierte an der Konferenz teilnehmen. Vermutlich liegt das nicht am Desinteresse, was in der Musikerziehung in der Welt vorgeht, oder an der Gleichgültigkeit gegenüber internationalen Kontakten, sondern vermutlich an mangelnder Information darüber, was die ISME ist und für welche Ziele sie steht. Ein reichhaltiges Informationsmaterial ist diesbezüglich auf der Homepage (www.isme.org) zu finden.
Bietet die Hauptkonferenz in erster Linie ein großes internationales Schaufenster der Musiken und Kulturen, findet die inhaltliche Arbeit sehr konzentriert und intensiv in den Kommissionen statt, zu denen jeder Zugang hat und die immer in der Woche vor der Hauptkonferenz eigene internationale Seminare veranstalten, die den Bereichen musikpädagogische Forschung, Instrumentalpädagogik, Lehrerbildung, Früh-erziehung, Musikermedizin, Behindertenpädagogik, Musiktherapie, Medien und kommunale Musik gewidmet sind. In diesen Seminaren werden neueste Forschungsergebnisse vorgestellt und aktuelle Fragen im Expertenkreis diskutiert (www.isme.org
Während einer Weltkonferenz werden aber auch die administrativen Aufgaben der Gesellschaft erledigt und finden die Wahlen der nationalen Repräsentanten im Board und der Leitungsgremien statt. So wurde in Kuala Lumpur ein neues Board of Directors gewählt, dem von 2006 bis 2008 folgende Personen angehören: Polyvios Androutsos (Griechenland), Diana Blom (Australien), Gunnar Heiling (Schweden), Victor Fung (USA, Hong Kong), Marvelene Moore (USA), David Forrest (Australien), Pamela Burnard (UK), Sheila Woodward (USA, Südafrika), Jamary Oliveira (Brasilien), Josef Scheidegger (Schweiz) und Patricia Shand (Kanada). Als neue ISME-Präsidentin wurde Liane Hentschke (Brasilien) in ihr Amt eingeführt und Hakan Lundström (Schweden) als President Elect gewählt. Diese Wahl spiegelt eine ausgewogene Repräsentanz der verschiedenen Kontinente mit ihren unterschiedlichen musikalischen Kulturen und pädagogischen Traditionen.
Höhepunkt der ISME-Konferenzen bilden in der Regel die großen Kultur-abende, in denen sich das gastgebende Land mit seiner Musik vorstellt. Malaysia zeigte dabei eine überraschende Verschmelzung traditioneller Instrumental-, Klang- und Tanzformen mit dem Sound und der Technologie der Gegenwart. Im heutigen Bild des wirtschaftlich aufstrebenden Landes sind Tradition und Moderne, Vergangenheit und Gegenwart eng miteinander verbunden. Weitere Höhepunkte bilden jeweils die Konzerte der Ensembles aus den verschiedenen Teilnehmerländern – auch hier wieder wie seit vielen Jahren bedauernswerterweise ohne Beteiligung Deutschlands. Unter den Mitwirkenden ragten die Bands im Finale des Wettbewerbs der malaysischen Windensembles und ganz besonders das Volksmusik-Ensemble aus dem sibirischen Khanty Mansyisk heraus. Die sieben jungen Musiker verzauberten das Publikum mit ihrer fulminanten Darbietung traditioneller russischer Folklore und wurden vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Hier schloss sich ein Kreis, der mit dem Besuch einer ISME-Delegation im Dezember 2004 in Khanty Mansyisk begann und nun zu einer Wiederbegegnung und Vertiefung der Beziehungen führte.
Weltkonferenzen sind zwangsläufig Großereignisse mit einer fast unüberschaubaren Fülle an Informationsmöglichkeiten. Jeder Teilnehmer wird nach den eigenen Interessen seine persönliche Auswahl treffen. Dabei erhält er in jedem Fall stimulierende Impulse für die weitere Arbeit. So vermittelte sich auch in Kuala Lumpur durch die Vielfalt der Darbietungen ein Gespür für die Reichhaltigkeit der Kulturen und die Dynamik, die von der Auseinandersetzung mit Musik ausgeht, und dafür, wie sie die Kultur einer Gesellschaft prägen und verändern kann.