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Laut Evaluation besonders kreativ und produktiv: der Schwerpunkt Tanzen. Foto: JeKits-Stiftung
Laut Evaluation besonders kreativ und produktiv: der Schwerpunkt Tanzen. Foto: JeKits-Stiftung
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Tanzen und Singen erfreulich, Co-Teaching ausbaufähig

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Thomas Busch und Andreas Lehmann-Wermser im Gespräch über die Ergebnisse der JeKits-Evaluation
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Seit dem Schuljahr 2015/16 ersetzt in Nordrhein-Westfalen das Programm JeKits (Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen) das frühere JeKi-Programm. Die Landesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, das JeKits-Programm „zu evaluieren und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln“. Der Auftrag dafür ging an die Agentur edukatione, die Ergebnisse wurden im Oktober öffentlich gemacht. Juan Martin Koch sprach mit den federführenden Forschern Thomas Busch (Universität zu Köln) und Andreas Lehmann-Wermser (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Geschäftsführer von edukatione) über die Ergebnisse.

neue musikzeitung: Wie war Ihre Evaluation angelegt: Was haben Sie wie untersucht?

Thomas Busch: Es gab einen Auftrag, der in drei so genannten Evaluations-Losen ausgeschrieben war: Erstens „Ästhetische Erfahrungen und soziale Praxen“, zweitens „Teilhabegerechtigkeit“ und drittens „Kommunale Bildungslandschaften“. Wir haben dazu einen Methodenmix verwendet: quantitative Erhebungen mit Fragebögen, qualitative Erhebungen mit Interviews, aber auch teilnehmende Beobachtung im Unterricht. Wir haben außerdem Daten der JeKits-Stiftung ausgewertet.

nmz: Als Ende 2014 der Übergang von JeKi zu JeKits angekündigt wurde, gab es von fachlicher Seite skeptische Stimmen, die sagten, man gebe ein in vielen Aspekten gut eingeführtes System auf zugunsten einer quantitativen Erweiterung, die aber qualitativ hinter JeKi zurückbleibe. Wird diese Befürchtung durch die Ergebnisse ihrer Evaluation entkräftet, bestätigt oder ist ein direkter Vergleich gar nicht möglich?

Busch: Zum einen kann man sich freuen, dass es zu einer Ausweitung gekommen ist. Denn im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit muss man darauf hinarbeiten, dass alle Schüler*innen in NRW, nicht nur die des Ruhrgebiets, in den Genuss eines solchen Angebots kommen. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass es bei den Kommunen, die schon am alten JeKi-Programm betei­ligt waren, immer noch ein gewisses Bedauern darüber gibt, dass die Qualität, die mit den vier Jahren JeKi möglich war, in den zwei Jahren JeKits nicht mehr so ganz erreicht werden kann. Erfreulich ist die Ausweitung in Bezug auf die Schwerpunkte Singen und Tanzen, denn diese bieten – das hat unser Evaluationsbereich „Ästhetische Erfahrung“ gezeigt – Chancen, die der bisherige Schwerpunkt Instrumente nicht so stark geboten hatte.

Andreas Lehmann-Wermser: Die Sorge, der Bereich Tanzen und Singen sei ein Massenprogramm, hat sich als unbegründet erwiesen. Es sind sehr qualitätvolle Angebote, die wir da beobachten konnten.

nmz: Täuscht der Eindruck, oder liegen die Stärken von JeKits insgesamt eher im sozialen als im ästhetischen Bereich?

Busch: Das ist zu pauschal. Wir haben das Bemühen der Lehrkräfte gesehen, Räume für ästhetische Erfahrungen zu inszenieren, und wir konnten solche Prozesse auch beobachten. Das Tanzen hat hier übrigens die Nase vorn: Hier ist es unserer Beobachtung nach verstärkt zu Situationen gekommen, in denen Kinder kreativ und produktiv gestalten konnten und nicht nur reproduktiv tätig waren. Da kommen die Kinder auch in Situationen des Staunens, der Überraschung und der Offenheit, oder können im Augenblick versinken.

nmz: Kann im zweiten JeKits Jahr wirklich sinnvoll in Gruppen oder gar in Orchestern mit Instrumenten musiziert werden?

Busch: Die Qualität des Gruppenunterrichts hat stark zugenommen über die Jahre. Wir waren auch an der JeKi-Begleitforschung beteiligt, und es wurden schon damals Schwierigkeiten beobachtet, aber das hat sich verändert: Die meisten Instrumentallehrerinnen und -lehrer sagen, sie kämen gut klar. Es gibt aber auch die Kritik, ein qualitätvoller Unterricht sei nur in Gruppen möglich, die kleiner sind als die Richtgröße.

Von Seiten der Musikschulen wird kritisiert, dass die Schwellen für die Instrumente zu hoch seien und deshalb kämen vor allem Gruppen für Gitarre und Keyboard zustande, für bestimmte Streich- oder Blasinstrumente aber nicht. Hier wird ein Nachwuchsmangel befürchtet. Auf der Ebene des Orchesters haben wir wahrgenommen, dass das von vielen noch als eine Baustelle gesehen wird, an der konzeptionell nachgearbeitet werden muss.

Lehmann-Wermser: Die Einschränkung des Instrumentariums betrifft auch die Bereiche, die speziell mit Blick auf den Migrationshintergrund von Schüler*innen angeboten worden sind: Saz kommt zum Beispiel selten zustande. Außerdem äußern die Instrumentallehrkräfte ganz allgemein auch, dass sie in ihren Angeboten häufig ein wenig hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückbleiben, insbesondere was das Musik Erfinden und die Improvisation angeht.

nmz: Der Tandemunterricht war schon bei JeKi ein Problem. Zu welchen Ergebnissen kommt Ihre Evaluation hier?

Busch: Das ist weiterhin eine Baustelle und wird auch von den Beteilig­ten so gesehen. Die Instrumentallehrkräfte äußern in der Regel, dass sie sich dort eine stärkere Zusammenarbeit wünschen würden. Auch von den Kontaktlehrer*innen wird das als ausbaufähig eingeschätzt. Zu einem tatsächlichen Co-Teaching kommt es dort immer noch in den seltensten Fällen.

nmz: Stichwort Teilhabegerechtigkeit – welches Zeugnis können Sie JeKits diesbezüglich ausstellen?

Lehmann-Wermser: Im Prinzip kann man schon sagen, dass das Programm ein Schritt in Richtung mehr Teilhabegerechtigkeit ist. Was wir aber beobachten, ist, dass bestimmte Disparitäten bestehen bleiben, wenn wir auf die Übergangsquoten blicken: Der Anteil derer, die nach dem verpflichtenden ersten Jahr weitermachen, ist bei sozial höher Gestellten größer, das kann solch ein Programm nicht komplett auffangen.

Busch: Das ist einer der Gründe, warum wir uns in unseren Empfehlungen für ein zweites verpflichtendes Jahr aussprechen. Denn grundsätzlich ist es so, dass die Schulen aus den Regionen oder Stadtteilen, die sozial schwächer aufgestellt sind, stärker am Programm beteiligt sind als andere.

nmz: Wie sieht es mit den Geschlechtern aus? Es scheint ja so zu sein, dass die Mädchen im zweiten Jahr deutlich stärker vertreten sind.

Busch: Die Übergangsquote im Schwerpunkt Instrumente ist bei den Mädchen nur leicht höher als die der Jungen, aber im Bereich Singen und Tanzen ist der Unterschied relativ groß. Wir haben aber festgestellt, dass den Jungen die Teilnahme am ersten Jahr auch hier großen Spaß macht. Es gibt also keine negative Stimmung, aber mit dem Wechsel in den Nachmittag im zweiten Jahr tritt das Programm in Konkurrenz mit anderen Angeboten und wir beobachten auch, dass es da Effekte aus dem Elternhaus geben mag.

Lehmann-Wermser: Hier ist eindeutig das Wording eine Hürde für Jungen, weil Tanzen als mädchenspezifisch wahrgenommen wird. Anekdotisch wurde uns von einer Mutter berichtet, die erzählte, nachdem sie ihrem Sohn gesagt hatte, das sei doch Sportunterricht und deshalb müsse er die passende Kleidung mitnehmen, gehe er da gerne hin…

nmz: Wie sähe denn ein ideales JeKits-Modell aus Ihrer Sicht aus?

Lehmann-Wermser: Wie Herr Busch schon gesagt hat: Wenn es die Möglichkeit gäbe, das zweite JeKits-Jahr an den teilnehmenden Schulen verpflichtend zu machen und im Vormittag zu organisieren, dann wäre das zweifellos ein großer Schritt vorwärts. Das wäre für die soziale Teilhabe und die Teilhabe von Jungen positiv.

Busch: Beliebter bei vielen Beteilig­ten scheint aber eine andere Empfehlung zu sein, nämlich dass es zu einer Ausweitung im Sinne von „Grundschulzeit ist JeKits-Zeit“ kommt, also zu einer Verlängerung, um die Qualität des Programms zu stärken und den Schüler*innen, die dabei bleiben wollen, mehr Zeit zu geben. Das hieße also, ein drittes oder gar viertes JeKits-Jahr einzuführen. Wenn wir uns etwas wünschen könnten, dann wären das zwei verbindliche und zwei weitere freiwillige Jahre.

Lehmann-Wermser: Wichtig ist natürlich auch die Verbesserung der Tandem-Arbeit und die Stärkung der Bereiche Improvisation und Musik Erfinden.

nmz: Was passiert nun mit Ihrem Bericht und Ihren Empfehlungen?

Busch: Die gehen jetzt an den zuständigen Ausschuss im Landtag. Wir hoffen natürlich, dass aus der Evaluation positive Veränderungen für das Programm abgeleitet werden – inhaltlicher aber auch budgetärer Art.

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