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Über die Notwendigkeit erlebnisorientierter Praxis

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Konzerte für Kinder – eine authentische Erfahrung im Focus zeitgemäßer kultureller Bildung?
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„Das zum Leben Notwendige ist gerade das Nicht-Notwendige. Menschen können an authentischen künstlerischen Gebilden der Möglichkeit dessen inne werden, was mehr ist als die bloße Existenz, die sie führen, mehr als die Ordnung der Welt, auf die sie eingeschworen sind.“ Diese Worte Adornos findet man vielerorts in der Diskussion um Sinn und Unsinn kultureller (Allgemein)-Bildung. Setzt man das Zitat in direkte Verbindung mit der Frage nach dem Notwendigen und Nicht-Notwendigen in der Vermittlung von Konzerten für Kinder, so drängt sich ein kritisches Durchleuchten oftmals formulierter Vorstellungen über Ziele und Inhalte derartiger Kinderveranstaltungen förmlich auf: Unterliegen diese Konzerte einem zeitgemäßen Konzept kultureller Allgemeinbildung?

„Das zum Leben Notwendige ist gerade das Nicht-Notwendige. Menschen können an authentischen künstlerischen Gebilden der Möglichkeit dessen inne werden, was mehr ist als die bloße Existenz, die sie führen, mehr als die Ordnung der Welt, auf die sie eingeschworen sind.“ Diese Worte Adornos findet man vielerorts in der Diskussion um Sinn und Unsinn kultureller (Allgemein)-Bildung. Setzt man das Zitat in direkte Verbindung mit der Frage nach dem Notwendigen und Nicht-Notwendigen in der Vermittlung von Konzerten für Kinder, so drängt sich ein kritisches Durchleuchten oftmals formulierter Vorstellungen über Ziele und Inhalte derartiger Kinderveranstaltungen förmlich auf: Unterliegen diese Konzerte einem zeitgemäßen Konzept kultureller Allgemeinbildung?Während der Besuch von Konzerten für erwachsenes Publikum ganz selbstverständlich der Rubrik „Freizeitgestaltung und -vergnügen“ zuzuordnen ist, steht bei der Vermittlung live gespielter Musik für Kinder häufig die pure und unmittelbare Verwertbarkeit eines zu transportierenden Lernstoffs im Vordergrund. Mitunter liegt der Grund für ein weniger gelungenes Konzerterlebnis in einer Konzeption, die methodisch-didaktisch vordergründig auf kognitives Wissen ausgerichtet ist, und insofern eine ästhetische Tiefenwirkung vermissen lässt. Warum, so drängt sich die Frage auf, warum setzen sich die für die Konzepte von Konzerten Verantwortlichen noch immer dem Anspruchsdenken aus, ihre Veranstaltung müsse, vergleichbar dem Erwerb der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, auf die reine Nützlichkeit von Lernstoff abzielen? Anders formuliert: Kann der Besuch eines Konzertes für Kinder, der seinen Höhepunkt im anschließenden Abfragen fachsystematischer Inhalte über Lebensdaten von Komponisten, harmonische Besonderheiten oder Raffinessen in der Instrumentation findet, überhaupt einen Auftrag allgemeiner kultureller Bildung erfüllen?

Das Konzertleben steckt bekanntlich seit längerem in einer Krise. Hörer bleiben aus, den Abonnenten fehlt der Nachwuchs, Konzerte für zeitgenössische Musik leben nach wie vor von einem kleinen, erlesenen Expertenpublikum und Jugendliche gehen freiwillig fast gar nicht mehr in traditionelle Veranstaltungen, in denen „lediglich“ sogenannte E-Musik geboten wird. Aus Publikumsanalysen geht die dringende Forderung nach einer generellen Umstrukturierung des Konzertbetriebs deutlich hervor. Intensivere Hörerlebnisse, die für Nachhaltigkeit sorgen und den Wunsch nach Wiederholung mit sich bringen, müssen her, eben solche Veranstaltungen, die von ästhetischen Erfahrungen geprägt sind und grundsätzlich eher auf zweckfreier als unmittelbar abrufbarer Bildung basieren. Um dieser hochgesteckten Zielformulierung gerecht werden zu können, gilt es, Inhalte zu wählen, die die Kinder in das musikalische Geschehen eintauchen lassen und sie in die Rolle aktiver Mitgestalter versetzen, sei es als Sänger, Instrumentalisten, Schauspieler, Tänzer oder Rapper. Musikalische Vielfalt sollte für alle Sparten der E-, U- und Weltmusik ebenso garantiert sein wie die Einbeziehung weiterer Medien aus anderen Bereichen der Künste.

Nichts wirkt auf ein junges Publikum ermüdender als ein Konzertmoderator, der mehr oder weniger monoton in der musikalischen Historie schwelgt und dabei völlig vergisst, dass Kinder in der Regel noch kein Gefühl für zeitgeschichtliche Dimensionen aufbringen können. Stilistische Epochen interessieren Kinder bis ins späte Grundschulalter lediglich in lebendigem Kontext, ebenso bleiben Jubiläen und Todestage für sie bedeutungslos, solange diese keinen emotionalen Bezug zum dramaturgischen Verlauf des Konzertgeschehens aufweisen. Anders bei „Wer hat Angst vor Johann Sebastian?“, einem Komponistenportrait der besonderen Art anlässlich des Bach-Jahres 2000. Mit Unterrichtsprinzipien der Elementaren Musikpädagogik ist an der Lübe-cker Musikhochschule eine Konzeption entstanden, die bereits Vorschulkindern die Chance bietet, sich auf anregende Weise mit dem „Altmeister“ auseinanderzusetzen.

Anderen Konzerten gehen mitunter intensive Vorbereitungsphasen voraus, sei es durch Fortbildungsangebote für Musiklehrkräfte der allgemein bildenden Schulen und/oder für die jungen Hörer selbst. Bereits im Vorfeld werden die Kinder zu aktiven Mitgestaltern, indem sie ein Stück einstudieren oder Instrumente kennen lernen und ausprobieren. Wenn sie diese im anschließenden Konzert mit ganz anderen Ohren wiederentdecken, fällt das konzentrierte Zuhören nicht mehr schwer. Das junge Publikum steht vor einer neuen, unbekannten Herausforderung, wenn sich ihm, wie in der Glocke Bremen, im wahrsten Sinne des Wortes, neue Räume für ein konzert-(haus)-pädagogisches Projekt öffnen. In diesem Fall werden die Kinder als Konzertveranstalter in die Verantwortung gezogen, lernen einen professionellen Konzertbetrieb kennen und gestalten ihre eigene Pressekonferenz.

Einen gleichermaßen behutsamen wie sinnlichen Weg gilt es auch bei der Vermittlung zeitgenössischer Musik zu beschreiten. Ob es generelle Unterschiede beim Komponieren für Kinder und Erwachsene zu beachten gilt, diskutieren im vorliegenden Dossier drei österreichische Komponisten anhand ihrer jeweiligen Ausgangsmotivation. Allen ist es ein besonderes Anliegen, Kinder mit einer Musik zu erreichen, die den Kriterien kindlicher Hörfähigkeit unterliegt. Im Domforum Köln wiederum werden die jungen Hörer über selbstproduzierte Klangexperimente mit Körper, Stimme und Materialien soweit für den Umgang mit Neuer Musik sensibilisiert, dass das anschließende Anhören der eigens für sie komponierten Werke ein wahres Erlebnis bedeuten kann.

Wie diese und andere auf den folgenden Seiten vorgestellte Projekte zeigen, ist es also durchaus möglich, der Vermittlung von Konzerten für Kinder zeitgemäße kulturelle Bildungskriterien zu Grunde zu legen. Laut H.W. Heymann definiert sich eine solche, aktuellen pädagogischen Grundfragen entsprechende Allgemeinbildung unter anderem über Teilaufgaben wie Lebensvorbereitung zur Lebensbewältigung, Stiftung kultureller Kohärenz, Entfaltung von Verantwortungsbewusstsein, Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch sowie Stärkung des Schüler- oder Kinder-Ichs („Allgemeinbildung und Fachunterricht“, 1997). Mit innovativen, die Fantasie anregenden Konzeptionen und einem fundierten entwicklungspsychologischen Wissen über die kultur- und bildungsstiftenden Bedürfnisse junger Hörerinnen und Hörer wären hier neue Wege einer auf sinnliche Erfahrungen ausgerichteten, Konzertpädagogik zu beschreiten.

Über theoretische Abhandlungen zur Definition allgemeiner kultureller Bildung lässt sich möglicherweise streiten, nicht aber über Ergebnisse einer erlebnisorientierten Praxis: Wenn es gelingt, allen am Konzertleben Beteiligten klar zu machen, dass die grundlegende Basis allen Musikverstehens ausschließlich über das „ästhetische, begriffslose, den Sinnen aufgegebene Verstehen von Musik“ (H.H. Eggebrecht, „Musikverstehen“, 1995) zu erreichen ist, eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten einer neuen Nachhaltigkeit im Bereich der konzertpädagogischen Arbeit für Kinder.

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