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Carl Orff und Gunild Keetman: Mit ihren Schwerpunkten Motion – Perkussion – Improvisation war die Elementare Musikpraxis von Orff und Keetman der erste Versuch einer interkulturellen musikpädagogischen Praxis. Foto: Karl Alliger/Orff-Zentrum München
Carl Orff und Gunild Keetman: Mit ihren Schwerpunkten Motion – Perkussion – Improvisation war die Elementare Musikpraxis von Orff und Keetman der erste Versuch einer interkulturellen musikpädagogischen Praxis. Foto: Karl Alliger/Orff-Zentrum München
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Vom Abenteuer zum musikpädagogischen Klassiker

Untertitel
50 Jahre Orff-Schulwerk Gesellschaft Deutschland
Publikationsdatum
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Gerade erst sind die Feiern zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Carl-Orff-Instituts an der Musik-Universität in Salzburg verrauscht, da steht ein Jahr später schon das nächste Orff-Jubiläum an: Vor einem halben Jahrhundert wurde in München die Orff-Schulwerk Gesellschaft Deutschland gegründet.

Sie nannte sich zunächst „Förderer des Orff-Schulwerks. Deutsche Sektion“ und sah bekannte Persönlichkeiten wie Ernst von Siemens (Vorsitzender), den Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades, den Münchner Musikalienhändler und Verleger Max Hieber, den Komponisten Fritz Büchtger und andere im Gründungsvorstand. Seit 1973 hieß der Verein dann „Orff-Schulwerkgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ und 1986 wurde auf Initiative von Hermann Regner dem Vereinsnamen quasi als geistiger Impuls das Motto „Musik & Tanz & Erziehung“ vorangestellt. Das hatte durchaus innere Gründe. Die von Carl Orff und Gunild Keetman geschaffene Konzeption Orff-Schulwerk trat zunächst in zwei Publikationsreihen an das Licht der Öffentlichkeit: Anfang der dreißiger Jahre als „OSW. Elementare Musikübung“ und Anfang der fünfziger Jahre als „OSW. Musik für Kinder“. Als Hochschulfach am Orff-Institut des Mozarteums in Salzburg artikulierte sich das Orff-Schulwerk dann als „Elementare Musik- und Bewegungserziehung“ und wenig später als „Elementare Musik- und Tanzerziehung“, heute als „Elementare Musik- und Tanzpädagogik“.

An diesen terminologischen Änderungen lässt sich einerseits ein Stück pädagogischer Veränderung ablesen; andererseits weiß der Kenner um die Missdeutungen der Begriffe „Schulwerk“ und „Elementare Musik“. Das „Schulwerk“ ist als Handwerkslehre das Ergebnis einer geradezu abenteuerlichen Improvisationspraxis der zwanziger Jahre an der Günther-Schule in München und die „rhythmisch-melodische Übung“ Orffs wirft mit ihrer an orientalischer Tradition orientierten monoklanglichen Praxis die klassische Harmonielehre ebenso über den Haufen wie mit der Improvisation die Dominanz des notierten Satzes. Dadurch wurde realisiert, was Orff dann später theoretisch formuliert hat: „Immer will das Schulwerk in jeder seiner Phasen Anregungen zum selbständigen Weitergestalten geben; so ist es niemals abgeschlossen, sondern immer in der Entwicklung, im Fluss.“ (Carl Orff, 1963)

Dieses Bekenntnis zum pädagogischen panta rhei benötigt aber eine fachkundige und sensible Interpretation des „Elementaren“ und der „Elementaren Musik“, denn diese von Orff spezifisch gemeinten Begriffe bilden doch die geistige Grundlage seiner Konzeption. Zu dieser Substanz gehören in jedem Fall:

das Schöpferische, die Kreativität als Weg zu Improvisation und Komposition; Pattern, Minimalismus, Reduktion als innere Strukturen;

  • die enge wechselseitige Beziehung von Musik, Bewegung/Tanz und Sprache;
  • das so genannte Elementare Instrumentarium mit seiner Dominanz der Perkussion;
  • die Realisierung von Musik als Handeln in der Gruppe mit kompensatorischen, sozialintegrativen und therapeutischen Möglichkeiten;
  • der Bezug zu ursprünglichen Schichten musikalischer Entwicklung in authentischer Volks- oder Ethnomusik, woraus sich von Anfang an Merkmale einer interkulturellen Praxis ergaben.

Aus diesen Aspekten erwachsen die Motivation und das Betätigungsfeld der deutschen Orff-Schulwerk Gesellschaft und weiterer 48 Orff-Schulwerk-Gesellschaften in aller Welt. Die akademische Musikpädagogik stand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend unter dem üblichen Ausbildungsziel der Musikhochschulen: Reproduktion des notierten Kunstwerks durch künstlerische Spitzenleistung. Für Orffs Konzeption einer Elementaren Musik im obigen Sinn war kein Platz. Die entstehenden Defizite, die sich zunächst am heftigsten in der Musikalischen Früherziehung und Grundausbildung, später auch in der Frühförderung und im Seniorenmusizieren bemerkbar machten, konnte die noch von Orff selbst ins Leben gerufene Hochschulausbildung am Orff-Institut in Salzburg allein nicht auffangen. Dazu war ein Kurssystem nötig, das auch den bereits ausgebildeten Profis die Chance gab, sich in das neuartige musikpädagogische Konzept einzuarbeiten. Dabei ging es natürlich auch darum, die Authentizität des Ansatzes von Orff und Keetman zu wahren und sich dennoch musikpädagogischen Innovationen zu öffnen. Man kennt diesen Kampf um die authentische Vermittlung einer pädagogischen Konzeption und gegen die Verwilderung durch begeisterten Dilettantismus und schrankenlosen Subjektivismus durchaus auch aus anderen pädagogischen Konzeptionen. Vor allem bestand in der Unterrichtspraxis von Anfang an die Gefahr, den Bewegungsaspekt zu vernachlässigen, die Improvisation in wildes Ausprobieren entarten zu lassen sowie die Integration von Musik-Sprache-Bewegung zu vernachlässigen. Deshalb wurden die Dozenten für die Fortbildungskurse von Anfang an überwiegend aus dem Kreis der Absolventen des Orff-Instituts gewählt.

Der Ruf einiger Dozenten wurde legendär und ihre Kurse waren ständig ausgebucht. Ähnliches gilt heute für Kurs-Klassiker wie etwa den Orff-Schulwerk Osterkurs, der seit rund 30 Jahren traditionell vom Palmsonntag bis zum Gründonnerstag stattfindet und sowohl Neuinteressierte als auch Langzeitinfizierte anlockt. Zeitgleich findet auch der sogenannte Familienkurs statt, der auf eine ähnlich lange Tradition zurückblickt und bei dem Angebote sowohl für Erwachsene als auch für Kinder vorgehalten werden. „Musik und Tanz im Kindergarten“ gibt es ebenfalls bereits seit über 20 Jahren und sehr viele Erzieherinnen kommen Jahr für Jahr aufs Neue, was wohl auch für die sozialisierenden Qualitäten des Orff/Keetman’schen Ansatzes spricht oder für die „Orff-Pädagogik“, wie neuerdings formuliert wird. So wie Musik, Bewegung und Sprache die unzertrennlichen Ausdrucksmedien in der Tradition des Schulwerks darstellen, so ist es neben der künstlerischen und pädagogischen Dimension auch der humanis­tische Aspekt, der Musikalisierung und Menschenbildung miteinander vereint. 

Nicht zuletzt diese Merkmale sind es, die heutzutage beim Klassenmusizieren und bei anderen Projekten, die als Angebot für möglichst alle Kinder verstanden werden wollen, besonders im Fokus stehen. Dass Körperperkussion keine Erfindung unserer Tage ist, sondern ihren Ursprung eindeutig in den Schulwerkbänden „Musik für Kinder“ (Schott) hat, gilt inzwischen ebenfalls als unbestritten. Die Orff-Schulwerk Gesellschaft im Jahre 2012 ist Fachverband für Absolventinnen und Absolventen der Elementaren Musik- (und Tanz-)pädagogik und veranstaltet bundesweit jährlich rund 20 Fort- und Weiterbildungskurse. Darüber hinaus haben Erzieherinnen und Erzieher, Grundschullehrerinnen und -lehrer, aber auch Sonder- und Heilpädagoginnen und -pädagogen in diesem Verein sowohl einen Anbieter für qualifizierte Fortbildungen als auch eine Heimstätte für Austausch mit Gleichgesinnten gefunden. In den Kursen werden unterschiedliche Themenschwerpunkte und häufig auch Zielgruppen in den Mittelpunkt der gemeinsamen Arbeit gerückt. So unterschiedlich die Arbeitsbereiche der Teilnehmenden auch sein mögen, allen Kursen liegen die oben genannten Grundprinzipien des Orff-Schulwerks zu Grunde, die in ihrer Aktualität gerade in der jüngsten Vergangenheit wieder eine enorme Beachtung und Rückbesinnung erfahren.

Den runden Geburtstag begeht die OSG nun im November mit zwei Festtagen am Orff-Zentrum in München. Am 16. und 17. November werden sich Dozenten, Regionalbetreuer, Mitglieder, Kursteilnehmer und alle in irgendeiner Form mit dem Verein verbundenen oder daran interessierten Persönlichkeiten zu Grußworten, künstlerischen Präsentationen und Gesprächsforen treffen. Einer der Höhepunkte am Samstagvormittag wird sicher der Spaziergang durch München auf den Spuren Carl Orffs sein. Ausklingen werden die Jubeltage dann mit Tanz und Gesang der Festgesellschaft. 

Wer an diesem interaktiven Wochenendprogramm teilnehmen möchte, wendet sich direkt an die Geschäftsstelle, die über die Homepage www.orff-schulwerk.de erreichbar ist. Dort finden alle Interessierten auch das ausführliche Jahresprogramm der Gesellschaft, das für alle Bereiche der musikpädagogischen Praxis Angebote bereithält. Mitglieder erhalten neben einer Vergünstigung bei Kursen auch das halbjährlich erscheinende Magazin „Orff-Schulwerk-Informationen“, welches wissenschaftliche und praxisorientierte Beiträge zu aktuellen Themen der Musik- und Tanzpädagogik sowie Rezensionen und internationale Kurshinweise beinhaltet. 

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