Psychologische und neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Glückshormone Einfluss auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns haben: sie begünstigen die Verschaltung synaptischer Verbindungen im Gehirn, steigern Gedächtnis- und Lernprozesse, erweitern unseren Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsradius und verbessern unsere Konzentrationsfähigkeit1. Kinder, die glücklich sind, können ihre Fähigkeiten leichter entfalten, kommen in ihrer persönlichen Entwicklung leichter voran, sind leistungsfähiger. Ein positiv gestimmtes Gehirn wirkt sich auch auf die musikalische Erlebnis- und Leistungsfähigkeit aus. Die Bildung von Glücksbotenstoffen unterstützt die Arbeit unseres Musikgehirns2. Das ist Grund genug, die Förderung von Glücksgefühlen bei der Konzeption von Instrumentalunterricht mehr zu berücksichtigen.
Glück ist ein komplex angelegtes Phänomen. Jeder weiß, wie sich Glücksmomente anfühlen. Viele wissen auch, was ihnen gut tut, um glücklich zu werden. Glücksgefühle kommen zwar auf verschiedenen, oft ganz individuellen Wegen zustande und dienen unterschiedlichen Zwecken. Es gibt aber auch objektiv fixierbare Komponenten, aus denen Glücksgefühle entstehen (siehe Abb. 1):
Glücksgefühle signalisieren, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden: Gäbe es keine Glückshormone wie beispielsweise Dopamin, wären wir nicht dort, wo wir heute sind. Zuständig für die Ausschüttung von Glückshormonen ist das Limbische System, das stammesgeschichtlich gesehen schon recht alt ist und uns schon lange mit Glückshormonen versorgt, wenn unser Gehirn etwas Positives registriert. Das betrifft alles, was unser Überleben gewährleistet oder sogar optimiert. Auch Musikalisches hat hier seinen Platz. Aus regelmäßigen Lautmustern, konsonanten Klängen oder akustischen Reizen im mittleren Lautstärkebereich schließt unser Gehirn, dass die Welt in Ordnung scheint. Der Journalist Christoph Drösser drückt dies recht anschaulich aus: „Wer aus dem Rascheln im Unterholz schließt, dass gleich der Säbelzahntiger hervorbricht, der kann sich frühzeitig aus dem Staub machen – der Kollege, der das Signal nicht richtig deutet, wird leichter zum Abendessen des Raubtiers.“3
Glück ist die natürliche Belohnung für erfolgreiches Handeln. Wären wir bei unseren Überlebenskämpfen nicht auch mit Glücksgefühlen belohnt worden, hätten wir uns sicher kaum angestrengt. Ausgelöst durch unseren Neugierreflex werden wir immer wieder herausgefordert, uns neuen Situationen zu stellen, eventuelle Probleme zu lösen und Unsicherheiten zu bewältigen, die unser Überleben beeinträchtigen oder sogar gefährden würden. Vereinfacht formuliert: passen unsere Aktivitäten ins Überlebenskonzept, werden wir mit Glücksmomenten belohnt.
Glück wird durch ein positives Selbstkonzept verstärkt. Die Positive Psychologie betont, dass Leistungsfähigkeit und Erfolg vor allem aus einer positiven Grundhaltung resultieren.4 In einer eigenen Studie, in der es um die Wahrnehmung von Erfolgserlebnissen beim Musikmachen sowie die subjektive Einschätzung der aktuellen psychischen Verfassung geht5, ist deutlich geworden: Je glücklicher die psychische Verfassung von Musikern ist, desto mehr verfügen sie über ein positives Selbstkonzept und nehmen Erfolgserlebnisse intensiver wahr. Bemerkenswert ist hier, dass diejenigen Probanden, die angaben, in einer glücklichen Verfassung zu sein,
• sich nach eigener Einschätzung auf ihrem Instrument besser ausdrücken können,
• sich auf ihrem Instrument technisch fit fühlen,
• kaum an ihren Fähigkeiten zweifeln, somit ein gutes Selbstwertgefühl haben,
• davon überzeugt sind, leistungsfähig zu sein, das heißt davon ausgehen, ihr Pensum zu schaffen.
Positive Stimmung und Optimismus stecken an. Das kennen wir aus vielen Situationen des Alltags: Lacht uns jemand an oder begegnen wir gut gelaunten Menschen, sind wir schnell auch besser gestimmt. Menschen, die Begeisterung und positive Gefühle ausstrahlen, bringen in unserem Gehirn Spiegelneuronen zum Feuern. Diese gehören zu einem neuronalen Resonanzsystem im Gehirn, das es uns ermöglicht, mit anderen Menschen mitzufühlen oder uns eine Situation so miterleben zu lassen, als würden wir sie real selbst erfahren.
Didaktische Perspektiven
Die beiden amerikanischen Psychologen Barbara Fredrickson und Marcial Losada haben eine Formel aufgestellt, die das Verhältnis zwischen den positiven und negativen Elementen unseres Lebens verdeutlicht, woraus Glücksgefühle resultieren 6:
Diese Formel sagt aus, dass auf jedes negative Erlebnis mindestens drei positive Erfahrungen kommen müssen, um wieder in eine glückliche Verfassung zu gelangen. Diese Erkenntnis ist gut übertragbar auf Prozesse des Musiklernens oder das Musikmachen. Jeder weiß, wie leicht beim Spielen eines Musikinstrumentes etwas schief gehen kann, wie viel Frust zeitweilig bewältigt werden muss, wie viele negative Erfahrungen wir sammeln, bis ein Musikstück so gelingt, dass wir mit dem musikalischen Ergebnis zufrieden sind. Wenn also auf eine negative Erfahrung mindestens drei positive folgen müssen, um ein Glücksgefühl und damit mehr Leistungsfähigkeit beim Schüler hervorzubringen, muss auch das Positive bei der Planung von Instrumentalunterricht eine Rolle spielen.
Mir ist bewusst, dass sich Glück nicht erzwingen lässt, schon gar nicht im Instrumentalunterricht. Auch macht es keinen Sinn, die Welt nur durch die rosarote Brille zu betrachten und Schwächen oder Fehler völlig auszublenden. Gleiches gilt für eine „aufgesetzte Fröhlichkeit“. Auch sie wird keine Perspektive sein, einen effektiven Unterricht zu konzipieren. Es sprechen aber viele neurobiologische Erkenntnisse dafür, dass sich im Unterricht Voraussetzungen schaffen lassen können, die die Bildung von Glücksgefühlen begünstigen, was sich wiederum auf die musikalische Leis-tungsfähigkeit der Schüler positiv auswirkt. Gehen wir ins Detail.
Optimismus und gute Laune
Bringen Sie Ihre Schüler zum Lachen: Bemerkenswert ist, dass Kinder – statistisch gesehen – am Tag durchschnittlich 400 Mal lachen, Erwachsene nur 15 Mal. Lachen ist offenbar ein vorzügliches Wachstumshormon, unterstützt Lernprozesse. Sorgen Sie also gleich von Anfang an für eine positive Ausstrahlung. Denn eine gute Unterrichtsatmosphäre reduziert Stressmomente, fördert ein kreatives Klima und sorgt dafür, dass sich das künstlerische Potenzial des Schülers besser entfalten kann.
Stellen Sie gleich zu Beginn positive Assoziationen her: Begrüßen Sie Ihre Schüler freundlich, bemühen Sie sich um einen heiteren Einstieg, machen Sie Komplimente, rufen Sie Positives aus der letzten Stunde in Erinnerung.
Seien Sie gut gelaunt: Gute Laune steckt an und sorgt dafür, dass sich Ihre Schüler gleich wohler fühlen. Achten Sie darauf, dass von Ihnen eine positive Mimik ausgeht. Falls es Ihnen einmal nicht gelingen sollte, der Schülerin beziehungsweise dem Schüler positiv gegenüberzutreten, machen Sie es so, wie es der Nobelpreisträger Daniel Kahneman vorschlägt: Stecken Sie für ein paar Minuten einen Bleistift zwischen Ihre Zähne. Man verzieht sein Gesicht unwillkürlich zu einem Lächeln oder Stirnrunzeln. Dies führt dazu, „die Emotionen zu erleben, die Stirnrunzeln und Lächeln normalerweise ausdrücken“7. Hier kommt es zu einem selbstverstärkenden Wechseleffekt.
Beginnen Sie auch einmal mit dem jeweiligen Lieblingsstück Ihrer Schüler: Lassen Sie Ihre Schüler selbst entscheiden, mit welchem Werk sie beginnen möchten. Dadurch wird die Produktion von Glückshormonen angeregt, die auch die darauffolgenden Stücke beflügelt.
Am Ende immer etwas Positives: Highlights helfen Glücksgefühle auszulösen, sollten aber sinnvoll eingesetzt werden. Glücksgefühle wirken nachhaltiger, wenn wir sie am Ende einer Episode erleben.8 Gelingt es, vor allem am Ende der Stunde positive Erlebnisse zu vermitteln, wirken Glückshormone besonders gut nach und beeinflussen sogar das Üben zu Hause.
Vorfreude und Neugier wecken
Bereits die Vorfreude auf einen schönen Klang oder einen mitreißenden Rhythmus aktiviert in unserem Gehirn Glücksbotenstoffe.9 Wecken Sie bei Ihren Schülern musikalische Sehnsüchte: Viele Schüler haben keine Vorstellung davon, welche Musikstücke es für ihr Instrument gibt. Spielen Sie ihnen ab und zu einzelne Passagen aus Werken vor, die sie bald selbst hinbekommen können. Oder leihen Sie Ihren Schülern Ihre Lieblings-CDs zum Anhören für zu Hause aus. Vielleicht ist ein Werk dabei, das Ihrem Schüler so gefällt, dass er geradezu dafür brennt, es bald auch spielen zu können.
Schicken Sie Ihre Schüler auf eine musikalische Entdeckungsreise: Lassen Sie sie zu Hause selber bisher unbekannte Stücke durchspielen. Es gibt Sammelhefte mit Spielstücken für den Unterricht, die, wenn sie dem aktuellen Schwierigkeitslevel entsprechen, zu unerwartet glücklichen musikalischen Überraschungsmomenten führen können.
Probieren Sie auch unkonventionelle gestalterische Alternativen aus: Verändern Sie die vorgegebenen dynamischen Eintragungen, lassen Sie Ihre Schüler die Pianostelle einmal im Forte spielen – und umgekehrt. Oder lassen Sie ein in Moll komponiertes Werk einmal in einer Dur-Version spielen. Wenn anschließend wieder die Originalversion gespielt wird, entsteht ein neuer, besonderer Eindruck, der nicht selten mit Glücksgefühlen belohnt wird. Dann tritt das ein, was der Glücksforscher Stefan Klein meint: „Wichtig ist allein, dass das, was in Aussicht steht, das Gewohnte auf irgendeine Weise übertrifft.“10
Selbstkonzept stärken
Glückliche Menschen haben meist ein positives Selbstbild, eine hohe Selbstachtung und beschreiben sich selbst mit positiven Eigenschaften. Glückliche Musikerinnen und Musiker fühlen sich – wie gesagt – auf ihren Instrumenten technisch fit, musikalisch ausdrucksstark und Vorspielsituationen gewachsen. Es sind weniger die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten, die zu einem besonderen Glücksgefühl führen können. Maßgeblich ist, wie jemand seine Fertigkeiten in Relation zu den zu bewältigenden Herausforderungen selbst wahrnimmt und beurteilt. Schaffen Sie daher Voraussetzungen, unter denen die Schüler ein positives Selbstwertgefühl entwickeln können.
Schaffen Sie realistische Herausforderungen: Der amerikanische Flow- und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi hat festgestellt, dass gerade Menschen, die sich Problemen oder besonderen Herausforderungen stellen, offenbar am glücklichsten sind.11 Anders gesagt: Wer sich Herausforderungen stellt und sie bewältigt, empfindet mehr Glück. Signalisieren Sie Ihren Schülerinnen und Schülern Zuversicht, ein gesetztes Ziel auf dem jeweiligen Instrument zu schaffen und verstärken Sie Erfolge durch gezieltes und ehrliches Lob.
Machen Sie Mut zu eigenen musikalischen Entscheidungen: Der Glücksforscher Adam Cash stellt fest: „Das Glück liegt im sinnvollen Tun.“12 Regen Sie die Schülerinnen und Schüler also dazu an, eigene Ziele aufzustellen. Halten Sie sich mit Tipps zurück. Auch wenn es natürlich Ihre Aufgabe ist, musikalisch anzuregen und mit Hinweisen weiterzuhelfen, darf man den Schülerinnen und Schülern nicht den Mut nehmen, es auch einmal selbst zu probieren, das Stück selbst mit dynamischen Zeichen einzurichten, selbst zu entscheiden, wo ein Accelerando, Ritardando gespielt oder ein Akzent gesetzt werden soll. Wer dazu keine Gelegenheit bekommt, kann kein glücklicher Musiker werden. Trauen Sie Ihren Schülern mehr zu!
Aus der Isolation ausbrechen: gemeinsam Musik machen
Gemeinsames Musizieren hat offenbar schon vor vielen tausend Jahren bei unseren Vorfahren Glückshormone gebildet.13 Vom Grundsatz her gesehen scheint sich daran bis heute nichts geändert zu haben: Gemeinsames Singen verbindet im Chor, im Ensemble, in der Band wie in anderen Besetzungen. Musik gemeinschaftlich zu erleben, ist ein tief in uns verborgendes Bedürfnis und sollte im Instrumentalunterricht nicht zu kurz kommen. Durch eine schülerorientierte Binnendifferenzierung kann die Produktion von Glücksgefühlen sogar noch verstärkt werden: Gegenseitige Toleranz und Unterstützung sowie die Vermeidung von Konkurrenz sind Voraussetzung dafür, dass sich alle in einer Gruppe wohl fühlen. Ein positiver Blickkontakt reicht manchmal schon aus, um auch bei den Lernenden eine positive Stimmung zu erzeugen. Jede Schülerin und jeder Schüler bringt individuelle Stärken mit in den Unterricht. Bekommen sie die Chance, zur Geltung kommen zu können, sorgen diese nicht nur für mehr Glücksgefühle jedes einzelnen, sondern tragen auch dazu bei, die musikalische Leistung der Gruppe zu steigern. Musik ist ein Kommunikationsmittel, an dem jeder beteiligt sein sollte. Sobald jeder einmal einen führenden Part übernehmen kann, kommen eine Portion Eigeninitiative und Eigenverantwortung mit ins Spiel, die dem gemeinsamen Musikmachen eine besondere Dynamik geben, zusätzliche Energien freisetzen – sicher auch ein Gefühl von Gemeinschaftsglück.
Anmerkungen:
1 vgl. z.B. Manfred Spitzer: Lernen, Berlin 2002, S. 157 ff.
2 vgl. dazu Nicolai Petrat: „Glückliche Schüler musizieren besser. Neurodidaktische Perspektiven und Wege zum effektiven Musikmachen“, Augsburg 2014
3 Christoph Drösser: Hast du Töne? Warum wir alle musikalisch sind. Reinbek bei Hamburg 2009, S. 18
4 vgl. Adam Cash: Psychologie für Dummies, Weinheim 2010, S. 366
5 vgl. Nicolai Petrat, a.a.O. S. 110 f.
6 vgl. Jordi Quoidbach: Glückliche Menschen leben länger. Experimentelle Streifzüge in die Psychologie der Lebensführung, Heidelberg 2012, S. 18
7 Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken, München 2012, S. 88
8 Daniel Kahneman, a.a.O., S. 245
9 vgl. Birgit Herden: Die Macht der Musik, in: Zeit Wissen, 1/2012; S. 16–26, hier S. 19
10 Stefan Klein: Die Glücksformel – oder Wie die guten Gefühle entstehen, Reinbek 2002, S. 167
11 Mihaly Csikszentmihalyi: Flow – Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart 2007 (13. Aufl.)
12 Adam Cash, a.a.O., S. 271
13 Birgit Herden, a.a.O., S. 24