Da gibt es eine gute Idee, die in Bochum schon mal funktioniert hat. Einer sagt, das machen wir jetzt, etwas Geld ist vorhanden, und den Rest, na ja, bekommen wir schon irgendwie. Macht mal alle mit – und wenn’s nicht reicht, machen wir jeden schnell mal zum Musiklehrer. Das wäre schön. Leider ist es nicht ganz so einfach.
Jedem Kind ein Instrument“ (www.jedemkind.de) verspricht das Projekt, das Ministerpräsident Rüttgers in Nordrhein-Westfalen maßgeblich mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes (10 Millionen Euro) dem Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt 2010 verordnet hat. Es ist eine gute Idee, die in Bochum konzipiert und dort erfolgreich durchgeführt wurde. Aber in der flächendeckenden Übertragung haben wir es mit einem Konzept zu tun, das im Entstehen gestrickt wird.
Das fällt der deutschen Musikpädagogik besonders schwer. Nicht nur in der Musikpädagogik neigen wir Deutschen in all unsrer Gründlichkeit, um die uns viele bewundern, gerne dazu, erst einmal „Hauptbedenkenträger“ zu sein. Wir überlegen gerne lange hin und her, damit auch alles seriös sei, denn nur die beste Lösung ist uns gut genug. Manchmal dauert das zu lange. Wer erinnert sich nicht daran: In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Denkschriften über den Niedergang von Kultur und Bildung, insbesondere der Musikerziehung verfasst und jahrelang diskutiert. Erst, als der Yamahakonzern die alte Bundesrepublik flächendeckend mit seinen Vorstellungen von Musikerziehung im Vorschulalter versorgen wollte, lagen die Nerven blank, und es musste sehr zügig die Musikalische Früherziehung „erfunden“ werden. Und zwar so schnell, dass es weder ein genuines Lehrpersonal, geschweige denn eine Hochschulausbildung dafür gab. Oder wie groß war der Aufschrei, als sich schon wieder eine Firma, nämlich Hohner, mit dem „Musikgarten“ von Lorna Lutz Heyge der Altersgruppe der unter Vierjährigen in Form von Eltern-Kind-Gruppen annahm, dabei hätte es genügend Zeit gegeben, andere Wege zu gehen.
Gehen wir also diesen JEKI-Weg so gut wie möglich, er hält noch genügend Schlaglöcher und Engpässe bereit.
„Jedem Kind ein Instrument“, also jedem Kind in der Grundschule,
wenn es denn erreicht wird,
wenn es an dem Projekt teilnehmen will,
wenn geeignete Musikpädagogen/-innen zur Verfügung stehen,
wenn geeignete Instrumente vorhanden sind
und falls die nötigen Sponsoren gefunden werden.
Denn auch der Beitrag der Kulturstiftung des Bundes wird bei weitem nicht ausreichen. Potenzielle Sponsoren werden in diesen Zeiten von allen Seiten bedrängt und können sich die Projekte, die sie fördern wollen, aus einer Fülle guter Ideen aussuchen. Sie möchten gerne frühzeitig über Inhalte und Ideen motiviert werden. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, potentielle Sponsoren vor Beginn mit einzubeziehen. Stattdessen wurde das Projekt großflächig angefahren und nun sucht man für die Defizite Geldgeber.
Mehrere hundert Planstellen, so heißt es, werden gebraucht. Auch wenn einige Hochschulen innerhalb der Musikpädagogischen Offensive die Ausbildungskapazitäten erhöht haben, sind so viele Absolventen kurzfristig nicht zu erwarten. Geeignete müssen sich erst einmal an den Hochschulen anmelden. Aus den Schwankungen zwischen momentanem Bedarf und der Motivation bei Studienanfängern im allgemeinen Lehrerberuf wissen wir um die übliche Zeitverzögerung. Oft genug riet man Menschen zum Lehramtsstudium, um dann eben diese Absolventen/-innen nach vier bis fünf Jahren dann nicht mehr einzustellen. Es ist schon ein besonderer Typ Mensch, der die musikpädagogischen Diplomstudiengänge (später Bachelor und Master) durchläuft. Nach dem Leitbild der Musikschullehrer/-innen des VdM, das durchaus den Anforderungen der Praxis entspricht, hat dieser Mensch neben seiner künstlerischen Kompetenz noch ganz viele soziale und organisatorische. Er tut eigentlich alles, wofür ein Manager oder Abteilungsleiter gut bezahlt wird. Dafür bettelt er dann um eine Stelle nach TvÖD 9 oder um Honorarstunden, während die Grundschullehrerin immerhin nach A12 bezahlt werden kann. Nachdem AME/EMP-Lehrkräfte bereits vom Markt gefegt sind, werden Fortbildungen für Instrumentalpädagogen/-innen notwendig. Aber auch dies wird nicht reichen. So lässt die Ausschreibung der koordinierenden Geschäftsstelle für Fortbildungsangebote in Bochum befürchten, dass die Qualität von Quereinsteigern nicht gesichert erscheint. Hoffen wir das Beste.
Das Monheimer Modell
Wie unterschiedlich sich Konzepte zu unserem Thema in einer Region entwickeln können oder müssen, zeigt sich beispielsweise bei „MOMO“, dem Monheimer Modell. Die Musikschule der rheinischen Kleinstadt war in ihrer Existenz bedroht, die pädagogischen Aufgaben zur Integration in der Gemeinde lagen auf der Hand. Folglich entwickelte die Musikschule ein Konzept zur basalen Musikalisierung in der Grundschule, um möglichst viele Kinder zu erreichen. Hier kann der Musikschulleiter persönlichen Kontakt zu allen sieben Grundschulen halten. Die Stadt Essen hingegen unterhält einhundertvier Grundschulen, was deutlich macht, dass andere Organisationsformen der Steuerung zum Tragen kommen müssen. Außerdem ist in einer solchen Großstadt die Unterschiedlichkeit der zahlreichen Stadtteile besonders zu berücksichtigen. Ein anderes Modell wird in Neuss und in Münster angeboten: Jedem Kind seine Stimme. Die Entwicklung der eigenen Stimme und das Singen sind Grundlage des Konzeptes. An den Instrumentalunterricht wird danach herangeführt. Die Leitung der Musikschule der Stadt Neuss hat sich hierfür viele kompetente Gesangspädagogen/-innen aus der Region ausgesucht. Wollte man dieses Projekt in angrenzende Städte ausweiten, wären dort wiederum nicht genügend qualifizierte Gesangspädagogen/-innen zu finden. Und was wird mit denen, die nicht in den Genuss des Projektes kommen können oder wollen? Muss für die der Musikunterricht in der Grundschule ausreichen? Dieser wird, allen Beteuerungen des Schulministeriums zum Trotz, zu über 80 Prozent fachfremd gegeben – wenn überhaupt!
So oder so breitet sich die Ganztagsschule aus. Aber mit dieser Geschwindigkeit hatte bei der Einführung vor einigen Jahren niemand gerechnet. Die Geister, die die rot-grüne Landesregierung gerufen hatte, wird die schwarz-gelbe nicht los. Es kommen in NRW im Jahr 2008 immerhin sechsundsechzig Ganztagshauptschulen dazu und bei den Gymnasien ist der Ganztag auch in Planung beziehunsgsweise de facto durch die Stundenkonzentration für das Abitur nach acht Jahren „G8“ schon Wirklichkeit geworden. Derzeit hat man in Gymnasien beispielsweise in Klasse 11 täglich sieben Stunden Unterricht und mehr, mit wenigen dazwischen liegenden Leerstunden, jedoch meistens ohne Mensa, Mittagspause und Aufenthaltsraum. Wann gehen denn Jugendliche in absehbarer Zeit noch zur Musikschule, wenn diese nicht zu Ihnen kommt oder – noch schlimmer – kommen darf?
Die Musikschulen haben sich in den letzten Jahren sowohl aus kreativem Willen als auch aus finanzieller Not und wegen oben genannter zeitlicher Umstrukturierungen flexibel neuen Ideen geöffnet. Sie bemühen sich nicht erst seit Beginn des „Offenen Ganztags“ um Kooperationen mit Schulen und anderen Institutionen wie dem Sport, der Laienmusik et cetera. Sie verändern sich ständig. Fächer wie „Musikalische Grundausbildung“ beispielsweise, also vielfältige Grundlagenmusikalisierung mit Grundschulkindern, gibt es zum Beispiel in Essen nun nicht mehr, denn alle verfügbaren Lehrkräfte werden im JEKI-Projekt benötigt. Das, was dazu in den Lehrplänen des VdM steht, wird dort so nicht mehr realisierbar sein, anderes schon. Doch dafür fehlt bislang eine didaktische Grundlegung.
Gleichwohl ist das Projekt zum Erfolg verdammt, denn wenn es misslingen würde, gingen die Musikschulen in desolatem Zustand daraus hervor, und das kann niemand wollen. Pädagogische Events brauchen wir nicht, Nachhaltigkeit ist gefragt. Immerhin hat das Land Nordrhein-Westfalen anscheinend gemerkt, in welcher Verantwortung es in diesen Zeiten steht und hat zugesagt, nach dem Auslaufen des Projektes 2010 die Weiterförderung von JEKI zu übernehmen. Ob das dann, wie geplant, auch flächendeckend in NRW gelingen wird, bleibt zu wünschen.