Durch den Fächerverbund MeNuK – Mensch, Natur und Kultur –, in den Heimat- und Sachunterricht, Bildende Kunst, Textiles Werken und Musik jeweils integriert waren, war das Fach Musik an den Grundschulen des Landes Baden-Württemberg mehr als ein Jahrzehnt lang de facto unter den Tisch gefallen. Seit dem Schuljahr 2016/17 ist mit der Einführung eines neuen Bildungsplans Musik wieder Einzelfach an Grundschulen. Eine lange gestellte Forderung von Pädagogen, Musikern und Verbänden ging damit in Erfüllung. Doch noch ist die Welt nicht in Ordnung. Spontan nach Einführung dieses Bildungsplans konstatierte die Schulbehörde: Es herrscht Mangel an entsprechend qualifiziertem Lehrpersonal.
Man reagierte umgehend mit der „Konzeption zur Zertifizierung im Fach Musik für an Grundschulen und an Gemeinschaftsschulen mit Primarstufe unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer“. Die Maßnahme wurde zusammen mit dem Ministerium in Stuttgart, dem Landesinstitut für Schulsport, Schulkunst und Schulmusik in Ludwigsburg sowie der Landesakademie Ochsenhausen durchgeführt. Ende November 2018 konnte in Ochsenhausen bereits die 100. Zertifizierungsurkunde durch die Ministerialdirektorin des Kultusministeriums, Gerda Windey, übergeben werden.
Klaus Weigele, Direktor der Landesmusikakademie Ochsenhausen, brachte es in seiner Rede auf den Punkt: „Ohne das Fach Musik verlieren wir die Musikausbildung unserer Kinder. Was bis zehn nicht gesungen wird, ist verloren.“ Im Folgenden einige Informationen zur musikpädagogischen Nachzertifizierung im Südwesten der Republik.
Jeder baden-württembergische Grundschullehrer studiert Fächer, auch wenn bedacht werden sollte, dass in Grundschulen gar nicht nach dem Fachlehrerprinzip unterrichtet wird. Das Studium umfasst die Grundbildung in Deutsch oder in Mathematik sowie zwei Fächer (davon ist eines Deutsch oder Mathematik). Als zweites Fach kann Englisch, Evangelische Theologie/Religionspädagogik, Französisch, Islamische Theologie/Religionspädagogik, Katholische Theologie/Religionspädagogik, Kunst, Musik, naturwissenschaftlich-technischer Sachunterricht (mit Schwerpunkt in Alltagskultur und Gesundheit, Biologie, Chemie, Physik oder Technik), sozialwissenschaftlicher Sachunterricht (mit Schwerpunkt in Geographie, Geschichte, Politikwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaft) oder Sport gewählt werden.
Als 2016/17 Musik als eigenständiges Grundschulfach wieder eingeführt wurde, war dies die Geburtsstunde einer von Ministerium und Landesinstitut installierten Weiterbildungsmaßnahme an der Landesakademie Ochsenhausen für engagierte Lehrer, die ohne Befähigung Musikunterricht erteilten. „Die Voraussetzung für die Teilnahme“, erklärt Akademiedozentin Barbara Comes, „war die fachfremde Erteilung von Musikunterricht, Begeisterung für Musik und Musikunterricht sowie Engagement für den insgesamt neuntägigen Zertifizierungsprozess in drei Phasen à drei Tagen. Lehrproben werden nicht verlangt.“
Die Lehrkräfte kommen aus ganz Baden-Württemberg und brauchen grünes Licht von ihrer Schulleitung, damit sie die insgesamt benötigten drei mal drei Tage vom Unterricht freigestellt werden. Die Erfahrung zeigt, dass für manche Rektoren diese Freistellung durchaus ein Hinderungsgrund ist. Die Schulleitungen müssen abwägen, welchen Mehrwert sie von einer Weiterqualifizierungsmaßnahme haben: etwa die Möglichkeit, Wertschätzung auszudrücken; oder Lehrerinnen und Lehrer neue Lust an ihrer Arbeit zu vermitteln; oder sie als Mittel gegen Routine und Burnout einzusetzen.
Die Motivation für die Lehrpersonen wiederum liegt in der „Legalisierung“ ihres Engagements; sie sind dankbar für neue Impulse und können ihr Engagement auf solidere Füße stellen. Die Weiterbildung stärkt ihr eigenes Profil, auch bei einem etwaigen Schulwechsel. Einen finanziellen Anreiz gibt es allerdings nicht.
Die Lehrer kommen aus den unterschiedlichsten Schwerpunkten wie Chor, Band oder Kammermusik. In Ochsenhausen will man diese Kompetenzen stärken und erweitern. Das Fortbildungs-Team besteht aus zwei Dozenten der Akademie Ochsenhausen, einmal dem Chorleiter und Pädagogen Klaus-Dieter Brecht und der Gesangspädagogin und Stimmbildnerin Barbara Comes. Die beiden Akademiedozenten agieren im fachspezifischen Musikumfeld und vermitteln Grundzüge des Dirigierens, Lied-Leitens, Tonsatzes, Arrangierens und Harmonisierens von Liedern. Sie lehren, die Kinderstimme zu fördern, Einsingübungen zu gestalten oder auch Lieder spezifisch vorzubereiten.
Die zwei Kollegen aus der schulmusikalischen Praxis sind Ingeborg Streicher als musikpädagogische Beraterin am Schulamt in Stuttgart und Kathrin Uta Ringer als Mitglied der Bildungsplankommission Musik in der Grundschule.
Barbara Comes zieht eine positive Zwischenbilanz: „Wir sind jetzt bei Staffel 12 und haben im Schnitt 25 Teilnehmer pro Staffel. Auch wenn erst 100 Urkunden ausgestellt wurden, heißt das, dass beinahe 300 Leute unsere Weiterbildung durchlaufen haben. In absehbarer Zeit erreichen wir die Zahl von 500.“ Bei den Tausenden von baden-württembergischen Grundschullehrkräften ist das freilich ein Tropfen auf den heißen Stein. Und das nächste Problem steht schon ante portas: Die vorschulische Musikerziehung in Kindertagesstätte und Kindergarten erfordert neue Ausbildungskriterien für Erzieherinnen und Erzieher.