Nahezu alle Kinder besuchen vor ihrer Einschulung mindestens zwei Jahre den Kindergarten und immer mehr zuvor eine Kinderkrippe. Viele Stunden verbringen die Kinder in den Einrichtungen, manche den ganzen Tag. Das ist eine Chance, Kinder quer durch alle Bildungsschichten musikalisch zu bilden, im Gegensatz zur Musikschule, wo in der Regel Kinder finanzstarker Familien anzutreffen sind. Darüber hinaus kann Musik hier in vielen Situationen über den ganzen Tag verteilt spontan einfließen.
Bei der Arbeitstagung des Bayerischen Musikrats vom 19.-20. April 2013 im Hammelburg wurde die musikalische Bildung in der frühen Kindheit in den Fokus gerückt (siehe nmz 6/2013). Wissenschaftliche Beiträge haben ein weiteres Mal aufgezeigt, dass der Förderung von Kindern bis sieben Jahren im musikalischen Bereich ein besonderer Stellenwert zukommt. Berechtigterweise stellte die musikalische Bildung in Kindertagesstätten bei der Tagung dann auch ein zentrales Diskussionsthema dar. Ausbildung und Praxis des Erzieherberufs rückten ins Visier. Mehrfach kam dabei die mangelnde Quantität und Qualität musikalischer Bildungsangebote in Kindertagesstätten zur Sprache. Es klang vielfach die Erwartung durch, dass Erzieherinnen und Erzieher dasselbe leisten können sollten, wie Fachkräfte der Elementaren Musikpädagogik.
Anforderungsprofil
Nachdem schon unsere Arbeitsministerin dafür plädierte, im Schnelllehrgang Drogeriefachangestellte zu Erzieherinnen umzuschulen, ist es an der Zeit, einmal den Beruf der Erzieherin zu erklären. In der landläufigen Meinung soll sie alles können, was Kinder angeht: Betreuen, erziehen, Eltern beraten, soziale Netzwerke betreiben, Anlaufstelle für Probleme sein, hauswirtschaftlich tätig sein – und bilden. Sprache, Naturwissenschaften, Bewegung, Religion und Ethik vermitteln – und künstlerisch fördern: Malen, Werken, Theater. Ja, und Musik. Und das übrigens für Zielgruppen der Altersstufen 0 bis 27 Jahre.
Die in Bayern sich über fünf Jahre erstreckende Ausbildung in zwei Etappen sorgt dafür, dass grundlegende erzieherische Fähigkeiten gründlich geübt und vermittelt werden. Wie in keiner anderen pädagogischen Ausbildung, sind praktisches Handeln und theoretische Kenntnisse ineinander verzahnt und miteinander verwoben. Erzieherisches Handeln wird geübt und nicht nur theoretisch gelernt. Regelmäßige Supervisionen und Reflexionsgespräche helfen, dass aus den jungen Menschen selbstkritische und reflektierende Pädagoginnen und Pädagogen werden. Die Erzieherausbildung ist eine Breitbandausbildung und ermöglicht in einem kleinen Rahmen den in der Ausbildung Stehenden, eigene Schwerpunkte zu entwickeln.
Der Musikunterricht nimmt dabei einen Anteil von 10 bis 15 Prozent ein. Das ist mehr als in der normalen Grundschullehrerausbildung ohne Musik-Schwerpunkt und mehr als im allgemeinen Studium der Sozialen Arbeit. Und es ist viel weniger, als ein vierjähriges Studium der Elementaren Musikpädagogik.
Lehrpläne
Dennoch: Der Lehrplan der Fachakademien in Bayern sieht ein Eintauchen in alle möglichen musikalischen Themenbereiche vor, die in der elementaren Musikpädagogik relevant sind. Das zentrale Thema Singen beinhaltet sowohl Singerfahrungen im persönlichen Bereich als auch Aspekte der Kinderstimme, ein Liedrepertoire wird für Kinder wie auch für die Studierenden selber aufgebaut. Musizieren mit Instrumenten wird vielfältig erprobt, Klangszenen und Klanggeschichten, Spielstücke und Improvisationen geübt. Gezieltes, angeleitetes Musikhören, Musik mit der Sprache, Tanz, Rhythmik sowie das Erlernen eines Instrumentes sind Inhalte des Musikunterrichts an den Fachakademien für Sozialpädagogik in Bayern. Darüber hinaus gibt es an vielen Fachakademien zusätzliche Projekte, in denen Studierende selbst künstlerisch aktiv werden können, etwa die Erarbeitung eines Musicals oder Konzertprogramms. Und der Musikunterricht wird auch von Fachkräften gehalten, nicht fachfremd. Die musikalischen Eingangsvoraussetzungen der Studierenden sind dabei jedoch sehr unterschiedlich und häufig sind zu Beginn der Ausbildung kaum Vorerfahrungen vorhanden.
Stand der Dinge
Das Ergebnis ist, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Erzieherinnen eine gute bis sehr gute musikalische Bildung in Kindertagesstätten leisten können. 30 Prozent etwa bekennen sich dazu, dass Musik „nicht ihr Ding“ ist. Ein breites Mittelfeld kann Impulsen folgen und mit Hilfestellung musikalisch tätig werden. Immerhin bestätigt eine Studie (vgl.: Merget, G.: Musikalische Bildung in der Ausbildung der Erzieherinnen und in der Praxis des Kindergartens in Bayern, in: Heß F. (Hg.): Musik im Diskurs, Band 20, Zugänge zur Musik, Kassel: Bosse 2005, S.41–56), dass in über 90 Prozent der Kindertagesstätten mehrmals pro Woche und in über 60 Prozent täglich gesungen wird. Weniger häufig wird mit Instrumenten gespielt, getanzt oder gezielt Musik gehört. Das zeigt, dass sich Erzieherinnen und Erzieher in der Regel um aktives Musizieren bemühen, soweit es ihnen ihre Fähigkeiten, Vorlieben und die berufliche Situation ermöglichen.
Keine Frage, dass Kinder mehr musikalisch gebildet werden, je mehr und je qualitätsvoller in ihrem Umfeld musiziert wird. Aber bereits eine durchschnittliche Umgebung ermöglicht einem Kind, sich gut zu entwickeln. So auch beim Singen und Musizieren.
Blick nach Österreich
Wie können Erzieherinnen und Erzieher dennoch besser qualifiziert werden, um eine gute Musikerziehung in ihren Arbeitsstätten leisten zu können? Schauen wir in unser Nachbarland Österreich – hier ist die Fähigkeit, ein Instrument zu spielen, bereits eine Eingangsvoraussetzung, um die Ausbildung absolvieren zu können. Würde eine solche Messlatte als Voraussetzung gezogen werden, würde es in wenigen Jahren noch mehr an Nachwuchs fehlen und der Personalnotstand in den Kitas zunehmen. Dasselbe hätte eine Akademisierung zur Folge. Darüber hinaus hat kein akademisches Studium in Deutschland einen ebenso hohen Praxisanteil wie die Ausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher. Es wäre bedauernswert, wenn sich dieser verringern würde. Und eine Spezialisierung innerhalb der Ausbildung auf einen Fachbereich (Musik, Kunst, Sport…) hätte zur Folge, dass nur wenige Studierende den musikalischen Schwerpunkt wählen würden. Es gäbe also einige wenige musikalisch etwas besser gebildete Erzieherinnen und Erzieher, ähnlich der Situation in den Grundschulen.
Deutliche Verbesserung hingegen könnte ein durchgängiger Instrumentalunterricht und / oder Gesangsunterricht beziehungsweise Stimmtraining in Kleingruppen über die gesamte Ausbildung hinweg bringen. Das ist derzeit leider nicht der Fall. Es wäre wünschenswert, dass die Ausbildung zur Erzieherin / zum Erzieher als solide pädagogische Grundausbildung verstanden und wertgeschätzt wird. Den im Beruf Stehenden sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, durch Fort- und Weiterbildungen und Kooperationen mit Musikpädagoginnen und -pädagogen ein Leben lang zu lernen. Begrüßenswert sind Studiengänge, die auf die Erzieherausbildung aufbauen und diese anerkennen. In diesem Zuge könnte auch musikalische Vertiefung und Weiterentwicklung initiiert werden. Und das sollte sich dann auch auf dem Gehaltszettel auswirken.