„Content is King!“ Das ist der Titel einer visuellen Arbeit des Künstlers Tilman Hornig, die die Galerie Lehmann in Berlin zeigt. Wie in einem Computershop stehen auf 6 langen weißen Theken Reihen von Laptops, sechs mal drei in einer Reihe, mit 11, 13 und 15 Zoll, 18 Objekte. Der Künstler hat jeweils zwei Glasscheiben so zusammengefügt, dass sie aussehen wie aufgeklappte Laptops. Das reine Glas, ohne jegliche Gravuren. Nach diesem Symposium der Körber-Stiftung bringt diese Arbeit die Kernbotschaft der Tagung für mich noch einmal glasklar auf den Punkt: Content is King!
Mit Hermann Hesses Glasperlenspiel rüttelt der Schriftsteller Navid Kermani („Ausnahmezustand“) an den Grundfesten der Vermittlung. Er lässt sich nicht täuschen von Verführungskünsten der Net-world. Auch nicht blenden von der Fülle unseres überreichen Kulturlebens. Er warnt vor der Ausschließlichkeit einer zweckgebundenen Reduktion der Kulturinhalte. Er sagt: „Selbst in den Universitäten kennen Studenten von längeren, komplexeren Werken im besten Fall ein Reader’s Digest. Und sie haben ja recht, die Dozenten, in gewisser Weise, weil ihre Studenten niemals die Kulturtechnik erlernt haben, verschachtelte Satzstrukturen, rhythmisierte Sprache, fremde Metaphern, bewusste Vieldeutigkeiten, biblische, gar mystisch-pietistische Motive, dezidiert unpsychologische Seelenbeschreibungen und dramaturgische Abläufe nachzuvollziehen, die nicht dem schlichten Modell populärer Kinofilme entsprechen. Ein Drama wie der Faust, gar ein Roman wie der Siebenkäs von Jean Paul ist für die ganz überwiegende Mehrheit der Deutschstudenten – der Studenten! – nur noch als Zusammenfassung in Wikipedia zugänglich“, und folgert: „Damit aber wird die Lust an der Literatur systematisch getötet.“ Eine Problematik, die der Vermittler für sich lösen muss: „Der Umfang der Bildung wird also keineswegs weniger, im Gegenteil. Allein, was da vermittelt wird, das ist immer enger an einen Zweck gebunden: Was muss man von Brecht für die Prüfung wissen, was von der deutschen Literatur für den Beruf?“
Gegensteuern ist gefragt, denn die Vorzeichen sind längst umgekippt: „Was früher Bildungsdünkel war, hat sich in sein Gegenteil verkehrt – den Stolz auf die eigene Ignoranz. In anderen Worten: Fack ju Göhte! Mit der schlichten Botschaft, dass sich kein Zuschauer für seinen Mangel an Bildung und Kultiviertheit zu schämen brauche, hat es der Film nicht nur zum größten deutschen Kinoerfolg der letzten Jahre geschafft; er wurde auch mit staatlichen Preisen ausgezeichnet und in den Feuilletons für seine ,absolute Zeitgemäßheit’ gefeiert. Sein Fazit zieht der Schriftsteller mit einem Zitat von Josef Knecht aus dem Glasperlenspiel: „Wir sind selbst Geschichte und sind an der Weltgeschichte und unserer Stellung in ihr mitverantwortlich.“ In diesen Tagen wurde eine Studie über effektive Unterrichtsmethoden veröffentlicht, und man lese und staune: Es ist die Lehrerpersönlichkeit, die den entscheidenden Anteil am Lernwillen und Erfolg der Schüler hat.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Dies ist selbstverständlich kein Plädoyer für Gedankenlosigkeit, aber für die Perspektive: Alle Vermittlung geht vom Inhalt aus. Ein Plädoyer dafür, sich selbst zu fragen, was man vermitteln möchte. Letztlich dafür seine eigene Beziehung zum Inhalt zu überdenken.
Datenhighway der Vermittler
Beispiele Digitaler Kommunikation und andere erfolgreiche Modelle standen auf dem Prüfstand dieses IV. Education-Symposiums der Körber-Stiftung der Reihe „The Art of Music Education“ mit dem Untertitel „Creating Mindsets for Concert Halls“.
Die App scheint eines der beliebtesten Spielzeuge unserer Zeit. Noch gibt es wenige im Bereich der klassischen Musik, um so spannender war es zu hören, welche Sprache jemand spricht, der mit „Discover Szymanowski“ eine Vorzeige -App produziert hat, einen Piloten sozusagen, für das Konzerthaus in Luxemburg, das den polnischen Komponisten für eine Saison ins Zentrum seiner Konzerte rückte.
Erfrischend offen erzählte Musikvermittlerin Martina Taubenberger von ihrer Arbeit an dieser App und stellte zuerst einmal klar, sie sei kein „Tekki“ (einen Begriff, den die Moderatorin Andrea Thilo charmant in die Diskussion brachte). Sie hätte keine Ahnung von der Technik und der Programmierung gehabt, als sie den Auftrag für diese App annahm. Aber eines habe sie gewusst: Sie selbst war interessiert, die Musik und die Welt des polnischen Komponisten Szymanowski intensiver zu entdecken. Ihre inhaltliche Sicherheit im Umgang mit der Materie hat sie stark gemacht, für die technische Umsetzung starke Partner zu finden. Auf diese Weise ist es zu einer echten Teamarbeit gekommen.
Das Ergebnis: viel Information auf kleinstem Raum mit Film, Bild und Musik. Persönlich, hintergründig, spannend. „Macht euch keine Sorgen um die Technik!“, lautet ihre Botschaft an Kolleginnen und Kollegen, wenn ihr wisst, was ihr inhaltlich wollt. Krisen bei der Umsetzung, ja die gibt es, bekannte sie offen. Die entscheidenden Lösungen kamen ihr in einem fast technikfreien Raum: in der konzentrierten weltabgeschiedenen Atmosphäre einer kleinen Kirche in Polen. Und es ist genau diese Offenheit, mit der Martina Taubenberger beim Vortrag die Aufmerksamkeit auf sich zieht, mit der sie die Aufgabe gemeistert hat. Schwerpunkte, Struktur, Präsentation – alles ging vom Inhalt aus. Was kann die App, was kann sie nicht? Martina Taubenberger hat gezeigt, dass sie viel Inhalt und Emotion transportieren kann. Neugierig machen. Die Frage nach der Langzeit-Wirkung auf die Besucher, die Fragen nach der Kosten-Nutzung-Relation werden sich jetzt andere stellen und beantworten müssen. Aber vielleicht ist das im Moment auch eher eine Frage von Image und wichtig für das Gefühl, präsent zu sein, mitten drin zu sein in einer Gesellschaft, für die die App zum Alltag gehört.
Ums twittern und posten ging es bei Barbara Volkwein. Die Dramaturgin der Dortmunder Philharmoniker brachte einen rauhen, herzlichen Wind aus dem Ruhrgebiet in die gediegen hanseatische Atmosphäre des Körber-Forums. „Der ,Pott’ ist arm, die Leute direkt, da steht die Klassik existenziell auf dem Prüfstand“ – so etwa hat sie ihre Situation auf den Punkt gebracht. Sie hat die Hürde genommen und nutzt die Medien, die ihre potentiellen Besucher nutzen, wie Facebook und Twitter. Eine Stunde twittern am Tag gehört heute einfach dazu. Man sieht ihrem Auftritt an, dass Barbara Volkwein gern direkt kommuniziert. Und musikbegeistert ist. Spätestens wenn sie stolz erzählt, dass manche Konzerte in der Atmosphäre denen von Rockkonzerten ähneln, die Dortmunder Philharmoniker selbst beinahe überwältigt mit Tränen in den Augen beim frenetisch aufbrandenden Applaus auf der Bühne stehen, will man wissen, wie das funktioniert.
In den Roundtablegesprächen, die zwischen die Vorträge eingeschoben wurden, war sehr deutlich, dass die Hemmschwelle vieler Vermittler gegenüber dem digitalen Marketing hoch ist, besonders für eine Generation, die noch gegen die Volkszählung demonstriert hat und der der Datenschutz ein hohes Gut ist. Überzeugend aber war, dass die Inhalte auf die Zielgruppe zugeschnitten waren, die diese social networks nutzen. Zuerst gab es eine inhaltliche Konzeption für ein bestimmtes Publikum, und dann folgte die Suche nach den geeigneten Kommunikationsstrategien, genau dieses Publikum zu erreichen. Barbara Volkwein ist studierte Musikwissenschaftlerin und kann aus dem Vollen schöpfen, wenn sie ein Programm entwickelt, das ein Publikum in Dortmund interessieren könnte! Das ist ihre Stärke. Und das betont sie: Content counts! Hier kann und muss sie alles aufbieten, was an dem Inhalt Interesse wecken könnte.
Neues Denken – neue Sprachen
Und wie hat sie gewusst, welche Strategien im digitalen Marketing die Richtigen sind? Wie das funktioniert mit den Tweedups? Was ein Hashtag (#) ist? Sie hat sich Experten geholt. Und ist nun in der Lage, als Non-Tekki soweit die Technik zu beherrschen, wie das für den Prozess notwendig und sinnvoll ist. Sie findet inzwischen sogar Spaß daran.
Beraten lässt sie sich von Christoph Müller-Girod, der sich selbst als „Nerd“ vorstellte (was immer noch anders rüberkommt, als wenn ihn jemand so bezeichnet!). Sein Vortrag mit Drive, Witz und Selbstironie hat manche Vorurteile Computerspezialisten gegenüber abgebaut. (Seine Visitenkarten war er nach seinem Vortrag ganz schnell los!) Mit aberwitzigem Sprachtempo formulierte er zielsicher die unterschiedlichen Möglichkeiten der digitalen Kommunikationswege, ihre effektive Auswahl und Handhabung. Was twittert man wie oft, was veröffentlich man auf Facebook und wie verbindet man idealerweise diese Informationen mit den herkömmlichen Printmedien? In all diesen Fragen und konkreten pragmatischen Antworten zeigte sich Christoph Müller-Girod als ein Meister der Konzeption digitaler Strategie und ihrer schnellen Feinjustierung. Sein Kapital: Erfahrung.
Das Resultat: ausverkaufte Häuser. Und die Erkenntnis: Man braucht für einen soliden Einstieg in das Metier den erfahrenen Experten, einen Social Media Strategen.
Umdenken der Strategien
Teamwork und Massenkommunikation lösen hier PR-Strategien und Mund-zu-Mund-Beatmung einzelner Journalisten ab. Um soziale Netzwerke zu nutzen reicht es nicht, einen Einzelnen abzustellen, der dieses Tool bedient. In den sozialen Medien kommuniziert prinzipiell jeder mit jedem, möglichst viele sind an diesem Austausch von Informationen und persönlichen Einschätzungen beteiligt. Einer muss die Strategie planen und viele andere dazu anregen, sich mit einzubringen. Das große Plus dieser Medien ist der ungeheure Multiplikationseffekt, die Information, die sich über die vielen Beteiligten in Windeseile herumspricht.
Die Inhalte, die zu generieren sind, sind keine kleinteilig servierten musikwissenschaftlichen Basisinformationen aus Programmhefttexten. Digitale Kommunikation funktioniert am besten durch viele Beteiligte mit vielen unterschiedlichen Perspektiven und Kontexten. Und so kann dieser Inhalt für die Zielgruppe zu einem Thema werden, das sie etwas angeht. Und hier wird klar, was das Stichwort bedeutet, das hier in aller Munde ist: Content counts! Es zählt, wie sehr die Macher ihrem Inhalt vertrauen und es verstehen, alle zu mobilisieren, die daran beteiligt sind. Da twittert die Sängerin (Mojca Erdmann) noch mal schnell, bevor sie die Bühne betritt, da erzählen die Orchestermusiker von einer Entdeckung in der Probe. Viele kurze von Mensch zu Mensch geschriebene Mitteilungen prägen diesen Kommunikationsprozess. Social Media sind keine Plattform für musikwissenschaftliche Vorträge. Aber für die Diskussion darüber. Und für den inneren Prozess.
Kent Nagano hat trotz des Rates seiner Tochter, sich kurz zu fassen, fast zwei Stunden gesprochen. Aber für einen Dirigenten, der durch die Fünf-Stunden-Oper über Franz von Assisi von Olivier Messiaen internationales Musikparkett betreten hatte, ist kurz relativ. In den anschließenden Gesprächen war sein Ansatz immer wieder Thema und der lautete: Content counts!
Er denkt lange nach und handelt dann konsequent. In Montréal hat Kent Nagano in seiner ersten Konzertsaison als Musikdirektor des Orchestre symphonique die Konzerthalle gebaut, die über 35 Jahre geplant war, und das auch nicht wie ursprünglich vorgesehen am Rand, sondern mitten im Zentrum der Stadt. Das hat das Orchester und die klassischen Konzerte auch für Nicht-Konzertgänger ins Blickfeld der Stadt gerückt. Beflügelt durch den wunderschönen Raum arbeiten PR, Education und Marketing fieberhaft an neuen Strategien. Kent Nagano begrüßt diese Aktivitäten und stellt sie auf den Prüfstand, und der lautet: Content counts! Vermittlung: ja, aber ohne Abstriche an die Qualität des Programmes; es gibt keinen Inhalt, der zugunsten einer vermeintlich leichteren Verständlichkeit verändert würde.
Mit allen Kräften – Teamwork
Der große Erfolg von „re-rite“, bei dem man über Filmprojektionen quasi mitten im Orchester sitzt oder hindurchläuft und aus verschiedenen Perspektiven den Sacre du Printemps von Strawinsky hören kann, ist so erfolgreich, weil der Dirigent Esa-Pekka Salonen mit seiner ganzen Überzeugung hinter dem Projekt stand, die Musiker des Philharmonia Orchestra überzeugen konnte und in Richard Slaney jemanden gefunden hat, der mit dem technischen Know-how und einer unglaublichen Akribie die Details zusammengefügt hat und das Projekt weiter entwickelt.
Schade, dass die Verlage sich schwer tun, aus dem gewohnten Fahrwasser der Aufgabenteilung und der Vernetzung mit anderen Vermittlern wie den Rundfunkanstalten und dem Fernsehen und Film wirklich Nutzen zu ziehen. Braucht man für Ligetis Atmosphères wirklich neues Unterrichtsmaterial? Es ist eines der Stücke, das sich von selbst vermittelt, wenn man nur die Menschen dazu bringt, die Musik im Konzertsaal zu hören. Und es gibt ein exzellentes Vermittlungstool: den Film von Stanley Kubrick „2001 – Odyssee im Weltraum“, der die eigens für ihn geschriebene Filmmusik ablehnte und sich bei Ligeti bediente. Schon die Präsentation dieses in traditioneller Weise hergestellten Unterrichtsmaterials zeigte keinerlei sinnliche Komponente. Ob Jugendliche, die auf dem Boden liegend die Partitur nachstellen und Teile daraus auf Aufforderung des Dirigenten je einen Ton spielen, sinnlichere Erfahrungen machen als beim Hören des Stückes selbst, darf in Frage gestellt werden.
Ein Plädoyer für die Leidenschaft
Von einer ganz anderen Seite ergänzte der Intendant der Berliner Philharmoniker Martin Hoffmann das Symposium. Er sprach nicht über das Education-Programm, das Andrea Tober leitet, sondern über ein Projekt von Simon Rattle, das unerwarteten (Vermittlungs-)Erfolg hat: Nachtkonzerte mit Kammermusik des 20. und 21. Jahrhunderts. Etwa vier Mal pro Saison kann das Publikum nach einem regulären Konzertabend für zehn Euro ein solches Nachtkonzert besuchen. Mitglieder der Berliner Philharmoniker spielen in kleineren Formationen ihre Lieblingswerke aus der jüngsten Musikgeschichte, aus unserer Zeit.
Hatte man anfangs mit zirka 600 Besuchern gerechnet, ist die Halle mit 2.200 Plätzen auch in diesen Konzerten ausverkauft und – es stehen weitere 2.000 Menschen vor der Tür, die es besuchen möchten! Vieles kommt hier zum Tragen, was diesen Run auslöst, aber eines ist der Kern dieses wirkungsvollen Konzeptes: Auf dem Programm steht Musik, die die Musiker selber mit allergrößter Überzeugung spielen. Content is King!