„Sie haben das Können und spielen alles, nur nicht die Musik ihrer Zeit.“ Es waren Gedanken wie dieser, die der Göttingerin Uta Mittler, selbst Flötis-tin und Gründerin der Stiftung „Jugend musiziert Niedersachsen“, im Jahr 2007 durch den Kopf gehen. In diesem Jahr offeriert ihr die Göttinger Litfin-Stiftung die Förderung für „etwas, was es in der Universitätsstadt Göttingen so noch nicht gibt“.
Mittler denkt groß und gewinnt. Kurzerhand nimmt sie Kontakt zum Ensemble Modern in Frankfurt auf, international renommierten Profis in der Neuen Musik. Vor allem mit ihrem Masterstudiengang in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt aber auch mit ihren Vermittlungsprojekten für Musiklaien in Schulen geht die Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA) neue Wege. „Ich bin damals glücklicherweise im rechten Moment gekommen“ erinnert sich Mittler, denn Geschäftsführer Roland Diry ist gleich begeistert von der Idee Bundespreisträger vom Wettbewerb „Jugend musiziert“ durch einen Meisterkurs mit Dozenten der IEMA zu fördern und in einem abschließenden Konzert zusammen mit dem Ensemble Modern musizieren zu lassen. Das Kind wird „Epoche f“ getauft und findet seit 2008 jährlich statt, „tatkräftige Helfer, insbesondere das Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die Stiftung Niederachsen machen es möglich“ so Mittler. 2010 wird „Epoche f“ eine offizielle Fördermaßnahme des Bundeswettbewerbs. Seit 2012 ist das ambitionierte Vermittlungsprojekt in der Landesmusikakademie Niedersachsen in Wolfenbüttel untergebracht, die in Kooperation mit der IEMA und der Stiftung Jugend musiziert Niedersachsen nun auch offiziell als Veranstalter fungiert. Der Ort eignet sich deshalb so, weil Musizieren und Wohnen unter einem Dach möglich sind. Auch 2012 zeigen sich die 21 Teilnehmer im Alter von 15 bis 20 begeistert von der Ausstattung der Akademie, die neben einer großzügigen Aula mit Blick in den gerade herbstlichen Park noch einen Kammermusiksaal und etliche hochkarätig ausgestattete Proberäume bietet. Der Tag beginnt mit dem durch Dozent Rainer Römer geleiteten Rhythmus-Workshop. Hier lernt man sich ohne sein Instrument kennen: „Sagt euren Namen und macht eine Geste dazu“ fordert Römer die jungen Musiker auf. Das macht nicht nur Spaß sondern nimmt Schwellenangst und Druck. Im Laufe der Woche erarbeitet Römer mit dem Kurs Steve Reichs „Clapping Music“ und für Außenstehende wird es schnell anspruchsvoll, auch wenn auf den ersten Blick „nur geklatscht“ wird. Neu ist in diesem Jahr auch der Improvisationsworkshop, eine weitere Gruppenaktivität, in der die Teilnehmer anhand von Parametern wie Rhythmus, Klang, Dauer, Farbe und Geräusch Schritt für Schritt eine eigene Komposition entwickeln. Musikalisch diese Freiheiten zu haben, ist für viele ungewohnt. Die ersten Improvisationsversuche erinnern in ihrer Tonalität doch sehr an Beethoven, Haydn, Mozart, eben an die guten alten Bekannten.
Im Laufe der Woche in der Landesmusikakademie werden die Jugendlichen auf allen Ebenen jedoch merklich freier, wagemutiger und es wird keineswegs nur auf und mit den Instrumenten improvisiert: So wird Hornistin Anne Maj Hansen selbst zum singenden Klangkörper. Für das Gros der Teilnehmer ist „Epoche f“ der erste Kontakt mit Neuer Musik: „Ich hatte erst viel Angst, dass ich nicht gut genug wäre“, erinnert sich Pianistin Anna Glas nach dem Kurs, aber die Dozenten haben alles sehr angenehm und locker gestaltet.“ Man kann zweifelsohne von einer Win-Win-Situation sprechen, denn auch die Dozenten schätzen die Arbeit mit dem Nachwuchs. Trompeter Valentín Garvie – Gewinner des Arbeitsstipendiums Jazz der Stadt Frankfurt 2012 – ist begeistert von der Frische und Kreativität der Teilnehmer. Es gehe darum sich diese Offenheit zu bewahren, denn als Profimusiker gerate man schnell in eine geschlossene, allzu systematische Art zu spielen, so Garvie. So banal es klingen mag, die Dozenten und die Dirigentin Sian Edwards sind sich einig: Was den Jugendlichen fehlt, die durch ihre bisherigen musikalischen Erfolge ja schon als semi-professionell einzustufen sind, ist das korrekte Zählen. Ohne das läuft aber in der Neuen Musik nichts. „Ein Projekt wie ‚Epoche f kann da letztendlich auch nur ein Anstoß sein“, so Streicherdozent Michael M. Kasper. Was fehle, sei eine konsequente Weiterführung dessen, womit die Jugendlichen im Kurs zum ersten Mal in Berührung kämen. Aber auch die Professoren an den Universitäten hätten was Neue Musik angeht oftmals große Lücken, lehnten Neue Musik teilweise sogar ab. Ohne Frage ist Offenheit und Neugier gefragt, wenn man sich die Noten der Teilnehmer anschaut, die zum Teil Hieroglyphen ähneln – auch für den, der im Notenlesen firm ist – und wie Vokabeln erst zu lernen sind. „Neue Musik ist wie das Erlernen einer neuen Sprache oder das Erkunden einer fremden Stadt“, bringt es der Amerikaner Brad Lubman auf den Punkt, der „Epoche f“ 2010 dirigierte und den damaligen Teilnehmern seine Heimatstadt New York durch Steve Reichs „City life“ musikalisch näher brachte. Das es DIE Neue Musik an sich nicht gibt, repräsentiert auch das abwechslungsreiche Konzertprogramm des Meisterkurses 2012. Neben der Eigenkomposition „Seven“ stehen Nicos Skalkot-tas noch sehr gefällig klingende „Griechische Tänze“ auf dem Programm, Kurt Weills Streichquartett Nr. 1 op. 8, aber auch höchst komplexe Werke wie Kazimierz Serockis „Swinging Music“ oder Anton Weberns „Konzert op. 24“, an die sich ungeübte Ohren erst gewöhnen müssen, in denen die Spielfreude der jungen Musiker aber sprichwörtlich auf das Publikum überspringt. Dieses ist in beiden Abschlusskonzerten eher übersichtlich. Neue Musik erfordert eben Einsatz, nicht nur von den Musizierenden. Am Erfolg des Projektes, das ganz bewusst auf Qualität statt Quantität abzielt, ändert dies aber nichts wie unter anderem Reaktionen wie die von Anna Glas zeigen: „Für mich war es ein Top-Erlebnis. Die musikalische Arbeit war extrem gut.“ Zu Weihnachten hat die 16-Jährige sich von ihren Eltern eine CD von Saed Haddads „L‘étique de la lumière“ schenken lassen, gespielt vom Ensemble Modern.