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Für Ihre CD „Identigration“ preisgekrönt: das Bridges Kammerorchester Frankfurt. Foto: René van der Voorden
Für Ihre CD „Identigration“ preisgekrönt: das Bridges Kammerorchester Frankfurt. Foto: René van der Voorden
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„Wie das Erlernen einer neuen Sprache“

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Das Netzwerk „Klänge der Hoffnung“ tauschte sich zum Thema transkulturelles Repertoire aus
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Seit der großen Migrationsbewegung 2015 ist Deutschland um eine Vielzahl von Musiker*innen reicher. Es entstanden zahlreiche Projekte, die zugewanderten Musiker*innen mit schon länger in Deutschland lebenden zusammenbringen. Oft ist dabei von „interkulturell“ die Rede, inzwischen setzt sich der Begriff „transkulturell“ durch, der im Bezug auf Musik deutlich reizvoller ist: nicht ein Dialog von zwei oder mehr Kulturen, die sich austauschen, aber doch in sich geschlossen bleiben, sondern ein Durchdringen und Vermischen, bei dem etwas Neues entsteht.

Das bezieht sich nicht nur auf die Zusammensetzung der Ensembles sondern ganz wesentlich auf das Repertoire. Doch wie geht eine Begegnung der Musikkulturen auf Augenhöhe? Professionell ausgebildete Musiker*innen aus Syrien oder dem Iran kennen sich meist bestens mit europäischer Klassik aus. Andersherum haben in Mitteleuropa ausgebildete Musiker*innen in der Regel keine Ahnung von arabischer oder persischer klassischer Musik. Wie können Musikprojekte, Ensembles und Orchester hierzulande dennoch transkulturelle Musik machen? Wie lässt sich außereuropäisches Repertoire im europäischen Kontext aufführen, ohne in Klischees zu verfallen?

Exotismus-Falle

Der Musiker und Komponist Alaa Zouiten sieht dabei drei Herausforderungen, wie er in einem digitalen Talk des Leipziger Netzwerks „Klänge der Hoffnung“ schildert: Erstens die Gefahr, Musik und Musiker*innen zu exotisieren. Das geschieht seiner Meinung nach schnell, wenn sich Menschen keine Zeit nehmen, sich wirklich mit der außereuropäischen Musik zu beschäftigen. „Wenn sich Faulheit mit Überlegenheit mischt, wird die Oberfläche nie verlassen und es entsteht Exotismus“, sagt er. Was tun? Recherchieren und sich beschäftigen, sagt Zouiten. Und versuchen, europäische Maßstäbe an Musik zu verlernen – Kriterien, nach denen wir bewerten, was gut und was schlecht ist. Er vergleicht es mit dem Lernen einer neuen Sprache: „Man kann auch nicht sagen, die eine Sprache ist besser als die andere“. David-Emil Wickström versucht für das Thema im Zusammenschluss europäischer Musikhochschulen zu sensibilisieren. Für eine Begegnung auf Augenhöhe müssten außereuropäische Musikkulturen auch im Curriculum der Hochschulen einen Platz finden. „Ich sehe nicht ein, dass Bach und Beethoven als klassisch gelten für die ganze Welt“, sagt er. Ihn stört, dass Europäer*innen davon selbstverständlich ausgingen, ohne etwa persische oder indische Kunstmusik zu kennen. Noch sind die Hochschulen davon weit entfernt: Die Harfenistin Samira Memarzadeh erzählt, als sie im Studium ein persisches Stück spielen wollte, sagte man ihr: „Nein, das geht nicht, das ist nicht akademisch“.

Als zweite Herausforderung sieht Alaa Zouiten die Authentizität. Um die zu erlangen, müsse man sich intensiv mit den Hintergründen und Praktiken eines Musikstücks oder eines Instruments beschäftigen. Als positives Beispiel nennt er die italienische Blockflötistin Valentina Bellanova, die Alte Musik studierte, und in Deutschland ihr Spiel der arabischen und türkischen Ney perfektioniert hat.

Nicht einfach „traditionell“

Drittens stellt Zouiten die Frage nach der Notation. Die Verschriftlichung oral überlieferter Musiken sei „wie ein Einfrieren“, sagt er, bei der jegliche Weiterentwicklung ausgeklammert werde. Auch seien Notationssysteme für manche musikalischen Praktiken nur bedingt geeignet: den indischen Raga etwa könne man in Noten notieren, dabei gingen aber Ornamente, Agogik und die Elastizität des Rhythmus verloren.

Es ist nicht unüblich, dass von einem traditionellen arabischen Stück zwar Aufnahmen existieren, aber keine Noten. Und wenn Noten verfügbar sind, ist nicht unbedingt klar, wer sie in welchem Kontext niedergeschrieben hat. Mit dieser schwierigen Quellenlage sieht sich auch die Sängerin Luise Rauer konfrontiert. Auf dem kürzlich erschienenen Debüt-Album ihrer Band Amalaya finden sich neben überwiegend selbstgeschriebenen Stücken auch bekannte arabische Lieder wie „Ya mahla el fusha“. Viele Musiker*innen führen dieses Lied einfach unter „traditionell“ oder machen gar keine Angaben, als sei das Stück ihr eigenes. „Literatur gibt es nur auf arabisch, und selbst das sind oft nur Foreneinträge, keine wissenschaftliche Literatur. Ich muss mir dann am Ende selbst eine Theorie zusammenbauen und mich für einen Namen entscheiden, den ich bei der GEMA angebe“, sagt die studierte Arabistin. Sie hofft, dass sich künftig mehr Musiker*innen mit diesen Themen auseinandersetzen und dass Wissenschaft und Praxis Hand in Hand gehen.

Weiterbildung und Frustrationstoleranz

Um all diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Musiker*innen permanent in Weiterbildung sein, findet Zouiten. Musik als universelle Sprache ist für ihn ein Mythos. Es ist eine Vielzahl von Sprachen und sie zu lernen, macht Arbeit.

Das sieht auch Johanna-Leonore Dahlhoff, Leiterin des Bridges Kammerorchesters in Frankfurt. Ihr im Februar erschienenes Debüt-Album „Identigration“ wurde mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik in der Kategorie Grenzgänge ausgezeichnet. Auf der CD sind mehrere Stücke mit Vierteltönen zu hören, sowie in allen Konzertprogrammen des Ensembles. „Die Musiker, die aus dem Vierteltönigen kommen, waren anfangs sehr vorsichtig damit“, erzählt Dahlhoff – aus der berechtigten Sorge heraus, dass Musiker*innen in Deutschland sie nicht spielen können und das Publikum sie nicht hören kann. Diese Gründe sollten sie aber nicht abhalten „das Publikum auch zu erziehen und zu zeigen, dass es eine starke Einschränkung ist, wenn man nur zwölf Töne hat“, sagt sie.

Für die europäisch ausgebildeten Ensemblemitglieder war es mühsam, sich in die neue musikalische Sprache einzufinden. Das stieß bei einem syrischen Geiger auf Unverständnis, der frustriert war, als seine Komposition nicht gleich beim ersten Mal so klang wie gedacht. Es braucht also eine gewisse Frustrationstoleranz und Geduld auf allen Seiten. Und, wie Alaa Zouiten sagt, Weiterbildung.

„Uns ist wichtig, dass die Ensemblemitglieder selbst komponieren und arrangieren“ sagt Dahlhoff. Einige haben Komposition studiert, andere wagen sich für Bridges an erste Arrangements. Die konzertfreie Lockdown-Zeit haben Bridges genutzt, um ihre Mitglieder in Workshops weiterzubilden. Zum einen stellten Instrumentalist*innen ihre Instrumente vor, damit andere künftig besser für sie schreiben und arrangieren können. Zum anderen gab ein erfahrener Dirigent und Komponist Feedback zu den Arrangements und Kompositionen weniger erfahrener Kolleg*innen. Um Exotisierung in der Repertoirewahl zu vermeiden, gibt es bei Bridges mehrere Ebenen, auf denen sich Dahlhoff als weiße deutsche Leiterin austauscht: Neben dem Orchestervorstand zieht sie für jedes Programm zwei bis drei Musiker*innen zur Beratung, die für das jeweilige Repertoire Expert*innen sind.

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