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Das Haus hat Patina, das pädagogische Konzept ist unverbraucht. Foto: Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“
Das Haus hat Patina, das pädagogische Konzept ist unverbraucht. Foto: Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“
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Woher kommen Deutschlands künftige Orchestermusiker?

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Das Berliner Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“
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Von den vier Spezialschulen für Musik, die es in der DDR gab, konnten drei, die in Berlin, Weimar und Dresden, gerettet werden. Die Berliner Spezialschule, einst eine Abteilung der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, wird heute als Musikgymnasium „Carl Philipp Emanuel Bach“ weitergeführt. Der Schulleiter Winfried Szameitat, ein ausgebildeter Trompeter, erläutert die Rolle dieser Schule bei der Förderung des musikalischen Nachwuchses.

: Herr Szameitat, was ist das Besondere des von Ihnen geleiteten Musikgymnasiums?
Winfried Szameitat: Unsere Schule bietet eine vorberufliche Ausbildung ausschließlich mit Hochschullehrkräften. In Deutschland gibt es nur drei Gymnasien, die aus der Tradition der ehemaligen DDR-Spezialschulen weiterhin diese enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen pflegen.

: Wie viele Bewerbungen gibt es jährlich? Welche Bedingungen müssen die Schüler erfüllen?
: Es gibt konstant etwa 60 bis 70 Bewerber, von denen etwa die Hälfte aufgenommen wird. Das ist je nach Instrument unterschiedlich. Besonders hoch sind die Standards in den hohen Streichinstrumenten und auf dem Klavier. Bei den Bläsern, wo der Entwicklungszeitraum anders gelagert ist, nehmen wir auch Leute auf, bei denen wir eine allgemein musikalische Hochbegabung feststellen. Wir gaben diesen Schülern noch Zeit zur Entwicklung. Aber spätestens in der 9. oder 10. Klasse muss klar sein, ob es auf ein Studium hinläuft oder nicht.

: Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis der Instrumente?
: Grundsätzlich sind bei uns studierbar alle die Instrumente, die auch an der Hochschule als Fächer existieren. Die größte Abteilung, die Violinabteilung, macht ungefähr ein Viertel aller Schüler aus. Sehr stark sind alle Streichinstrumente und das Klavier, bei den Bläsern die Klarinetten, zum Teil Flöten und Trompete, also die Melodieinstrumente. Dies entspricht der Nachfrage an den Musikschulen. Zu den tieferen Instrumenten kommen die Schüler meist nur durch besondere Hinweise. Wenn es nicht reicht mit der Enge des Mundstücks, sagt man dem Oboisten: Probier doch mal das Fagott. Oder dem Trompeter: Probier doch mal die Posaune. Streicher haben auf der Bratsche mehr Berufschancen als auf der Geige.

: Nach welchen Kriterien wählen Sie Schüler aus?
: Wir nehmen die Besten. Natürlich freuen wir uns, wenn ein Fagottist kommt, weil wir im Hinterkopf das Orchester haben. Aber wir forcieren nicht Fagotte, indem wir andere benachteiligen. Mein Ziel ist die umfassende Musiker-Persönlichkeit, die nicht nur technisch einwandfrei spielt, sondern auch musikalisch gebildet ist. Dafür bietet unsere Schule ein gutes Angebot. Neben dem instrumentalen Hauptfach kann man hier Musikgeschichte betreiben, Formenlehre und Kammermusik. Immer wichtiger wird die Darstellung als Musiker im Markt. Gerade der freiberufliche Musiker muss vorbereitet werden auf seine Präsentationsmöglichkeiten im Internet, auf die Moderation eines Konzertes, die Entdeckung stilistischer Nischen oder Aufstellung eines Programms. Das spricht für das Gymnasium. Denn der Musiker, der über etwas nachgedacht hat, steht ganz anders auf der Bühne, mit einem anderen Erfahrungshorizont, als der Musiker, der nur den technischen Hintergrund hat auf seinem Instrument.

: Bei den Absolventen der letzten Jahre gab es ein Übergewicht der Mädchen. Wo bleiben die männlichen Schüler?
: Auch in den Profi-Orchestern gibt es immer mehr Frauen. Das liegt auch daran, dass das Musische aus einem bestimmten Rollenverständnis mehr den Mädchen zugeschoben wird. Allerdings sind diese gerade in der Pubertät wesentlich stabiler in Fleiß und Diszipliniertheit. Auf Instrumenten wie Geige und Klavier, die viel Ausdauer erfordern und Akkuratesse, haben Mädchen im Alter zwischen 12 und 15 größere Erfolge. Danach hebt sich das wieder auf. In Jugendorchestern finden Sie heute bei den hohen Streichern fast nur noch Mädchen. Dies spiegelt sich auch in den Profi-Orchestern wider, wenn auch nicht in derselben Proportion.

: Wie ist das Verhältnis zwischen Einzelunterricht und dem schulischen Gruppenunterricht?
: Der Einzelunterricht ist der entscheidende Unterricht und der Hauptfachlehrer die Respektsperson für den Schüler. Wegen ihm kommt er an die Schule. Die Allgemeinbildung ist für den Schüler dagegen etwas, was er mitnehmen muss. Das bietet oft Schwierigkeiten im sozialen Miteinander im Klassenunterricht. Das zusammenzubringen, ist unsere ständige Aufgabe.

: An einem Musikgymnasium sind alle Schüler an Musik interessiert. Entstehen dadurch auch Ensembles?
: Wir wollen eigentlich, dass die Ensembles sich selbst finden. Das funktioniert nicht immer, aber oft. Zum Beispiel tun fortgeschrittene Schüler sich zusammen, um Streichquartett zu spielen. Sie treffen sich drie bis vier Mal und sprechen dann einen Hauptfachlehrer an, der eine Probe übernimmt. Oft entwickeln sich daraus mehr oder weniger haltbare Gruppen. Schule ist ja immer ein fluktuierendes Geschäft.

: Was trägt die Schule zu Erfahrungen mit Neuer Musik bei?
: Wir haben einen Konsens mit der Hochschule, dass in Tonsatz und Gehörbildung Neue Musik eine größere Rolle spielt. Sie soll daneben im allgemein bildenden Unterricht präsent sein und auch künstlerisch wirksam werden. Dies geschah zuletzt bei zwei sehr schönen Projekten im Education-Programm der Berliner Philharmoniker, wo wir kreativ kompositorisch im Kollektiv zwei Aufführungen erstellt haben.

: Einen wichtigen Teil der Belastung der Schüler macht das Üben aus. Wie funktioniert das?
: Jedes Instrument braucht ein anderes Übe-Management. Der Klavierspieler fühlt sich erst in der dritten Stunde wohl, während der Hornist über den Tag verteilt viermal die halbe Stunde übt. Das heißt, wir haben es hier letztlich mit 165 Karrieren zu tun, die zeitlich einzeln organisiert werden müssen. Die Schüler müssen lernen, sich zu organisieren. Das ist ein ganz wichtiges Erziehungsziel der Schule, so dass ich behaupte, Schüler, die das Abitur hier erreichen mit dieser Belastung, haben gelernt, ihr Leben effektiv zu organisieren.

: Wie viele der Absolventen gehen tatsächlich ins Musikstudium?
: Im Schnitt an die 90 Prozent. Die Abiturienten sind auf dem Niveau, das dann auch zu packen, denn die Prüfungen orientieren sich immer an der Studierfähigkeit. Es gehen aber einige Schüler schon nach der Mittleren Reife ab. Das sind zum Teil hochkarätige Leute, die sich entschieden haben, gleich ins Musikstudium zu gehen.

www.musikgymnasium-berlin.de

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