Am Musiklehrer*innen-Tag war Andreas Kolb im Gespräch mit drei Gästen, die an verschiedenen Stellen als Musikpädagogen arbeiten: Birgit Jeschonneck an einer Grundschule in Kassel, Christiane Hein an einer Oberschule in Dresden und Jürgen Oberschmidt, der als Professor für Musik und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg tätig ist. Thema der Gesprächsrunde war „Zukunft Musikunterricht“.
Für einen konstruktiven Blick in die Zukunft war die Reflexion der vergangenen Pandemiejahre unvermeidlich. Die Gesprächsteilnehmer*innen waren sich einig: Der Musikunterricht war immer da, wenn auch in abgespeckter Form. Doch ein Bereich sei laut Birgit Jeschonneck eingebrochen: das Singen. Gerade in der Grundschule seien die gemeinschaftlichen Aktionen, die damit einhergingen, enorm wichtig. Eine „unbesungene Generation“ nennt sie die jetzigen Viertklässler*innen, denen nach zwei Jahren Zwangsfermate neben diesen Erfahrungen auch einfach ganz viel Liedschatz fehle. Dass man nun wieder „richtig singen“ kann, werde laut Christiane Hein auch in den höheren Jahrgangsstufen sehr begrüßt.
Der Studienalltag sei am wenigsten betroffen gewesen, so Jürgen Oberschmidt. Schwierigkeiten gab es allerdings in der zweiten Phase der Lehrerausbildung, wo „Referendare ihre Examenslehrprobe vor leeren Klassen gemacht haben oder erläutert haben, wie sie unterrichtet hätten, wenn sie denn Unterricht hätten machen können“.
Gerade die Lehrerausbildung stellt ein zentrales Element dar, wenn man an die Zukunft des Musikunterrichts denkt: Immer weniger junge Menschen zieht es in die Musikpädagogik. Besonders im Elementarbereich sei der Mangel an Musiklehrkräften zu spüren. Jeschonneck arbeitet fächer- und klassenübergreifend – ein Modell mit Potenzial, das mithilfe von multiprofessionellen Teams im AG-Bereich noch weiter ausgeschöpft werden könnte. Schulübergreifende Kooperationen seien Ausnahmen, bemängelt sie, der Austausch mit der Sekundarstufe alles andere als nahtlos.
Die Probleme ziehen sich auch durch die Gymnasialzeit. Schüler*innen erleben ihren Musikunterricht als einen Unterricht des Reduzierens, von der eigentlichen Musik bleibe nicht mehr viel übrig. Das schreckt von einer Laufbahn als Musiklehrkraft ab, wie man Umfragen mit Jugend-musiziert-Preisträger*innen entnehmen kann. Oberschmidt zitierte etwa eine Achtzehnjährige: „Wenn wir im Jugendorchester eine Mahler-Sinfonie gespielt haben und wir das dann anschließend im Musikunterricht behandelt haben, dann hat mir das fast wehgetan. Und darum ist der Musikunterricht für mich kein Unterricht in Musik, sondern etwas, was ich nicht machen möchte später in meinem Leben.“
So sei laut Oberschmidt die primäre Aufgabe, Musikunterricht erlebbar zu machen für alle Kinder und Jugendlichen. Aber auch die Profile und Kompetenzen von Lehramtsstudierenden müssten neu definiert werden, wenn diese künftig einen polymusikalischer Unterricht erteilen sollen. Der Numerus clausus zusammen mit der Eignungsprüfung sei ein Doppelfilter, so Jeschonneck. Sie regt andere Arten von Aufnahmeprüfungen an – in der Grundschulpädagogik könnten Gruppenarbeit, Tanz und Bewegung mehr im Fokus stehen. Auch Hein plädiert für ein Öffnen der – in mehrfachem Sinne – klassischen Bildungswege. Die Musiklehrkraft der Zukunft müsse multifunktional sein. Für den zukünftigen Unterricht hat sie kleine und große Ziele vor Augen. Zunächst müssten die Defizite unterschiedlichster Art aufgeholt werden. Die große Vision ist, Konzepte wie ihre Bandklasse zu verbreiten und dabei trotz Digitalisierung die praktischen, „herzbildenden“ Bereiche zu behalten. Auch Jeschonneck möchte nicht nur das Fach Musik erhalten, sondern das, was Musik machen kann – Soziale Arbeit, Sprachbildung, Miteinander. Ziel sollte sein, den Musikunterricht in den Kollegien so breit aufzustellen, dass jedes Kind jeden Tag Musikunterricht hat.
O-Töne von der Buchmesse
Birgit Jeschonneck: „Und ich merke jetzt auch, dass Kinder, die jetzt im vierten Schuljahr sind, mir manchmal ein bisschen wie eine unbesungene Generation vorkommen.“
Jürgen Oberschmidt: „Die Aula war jetzt eben nicht mehr für den Musikunterricht da, sondern da fanden die Corona-Tests statt, und da gab es ganz vieles, was wichtiger war in der Schule, als der Umgang mit Musik.“
Birgit Jeschonneck: „Ich habe oft das Gefühl, dass die Kollegen in der Sekundarstufe die Kinder so annehmen, als wären sie auf einem Rosenblatt angeschwommen gekommen. Wir werden auch selten gefragt, wie das Kind in der Grundschule war - gab’s da was? Es gibt nicht so besonders viel Aus-tausch, außer bei großen Problemen“
Jürgen Oberschmidt: „Sie erleben ihren Musikunterricht als einen Unterricht des Reduzierens und Reduzierens, und da bleibt von der eigentlichen Musik nicht mehr viel übrig.“
Jürgen Oberschmidt: „Unsere allererste Aufgabe ist es, einen Musikunterricht erlebbar zu machen für alle Kinder und Jugendliche, der auch dazu angetan ist, später einmal diesen Beruf zu ergreifen, später einmal Musiklehrer zu werden, und keinen Unterricht, der sich ohnehin nur an die erste Reihe wendet oder an eine Klientel, die diesen Musikunterricht eigentlich gar nicht braucht, weil sie von zuhause aus schon gefördert werden und Musik auf andere Weise erleben.“
Christiane Hein: „Dass das Fach Musik erhalten bleibt. Dafür setzen wir uns ein. Dass wir es schaffen, genügend Studierende zu begeistern und in die Schule zu locken. Und vor allen Dingen, dass wir versuchen, die praktischen Bereiche weiterhin als Kompetenz wachsen zu lassen und das nicht aus dem Auge verlieren mit der ganzen Digitalisierung, die uns sicherlich auch unterstützen kann, aber dass wir die praktischen Bereiche, die wirklich herzbildend sind, behalten.“
Birgit Jeschonneck: „Jedes Kind hat jeden Tag etwas Musikunterricht. Das würde ich mir wünschen.“