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Platzkonzert mit dem Schlagzeugtrio der Braunschweiger Musikschule im Schlosshof Wolfenbüttel. Foto: Rainer Surrey
Platzkonzert mit dem Schlagzeugtrio der Braunschweiger Musikschule im Schlosshof Wolfenbüttel. Foto: Rainer Surrey
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„Zukunftskonzert“ – ein Symposium in Wolfenbüttel beschäftigt sich mit Musikvermittlung und Aufführungskultur

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Das Publikum von Konzerten mit klassischer Musik wird älter. Seit langem bestehende Konzertreihen werden wegen schrumpfender Nachfrage eingestellt. Der Arbeitsmarkt für die von den Hochschulen im Übermaß ausgebildeten Instrumentalisten und Sänger verengt sich bei gleichzeitig sinkenden Einkommen. Die Hörerzahlen klassischer Kulturprogramme fallen. Der Tonträgermarkt boomt nicht mehr so wie in früheren Zeiten. Gründe für die Krisenmeldungen werden gesucht und Abwehrstrategien entwickelt.

Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur hatte zu einem zweitägigen Symposium in die Bundesakademie für kulturelle Bildung nach Wolfenbüttel eingeladen. Experten aus Theorie und Praxis, also Wissenschaftler, Veranstalter, Künstler, Produzenten und Verbandsvertreter referierten und diskutierten über Musikvermittlung und Aufführungskultur. Sie hatten vor allem das als Motto vorgegebene „Zukunftskonzert“ im Visier. Aus mancherlei Bestandsaufnahmen entstanden dabei hoffnungsvolle Utopien, sodass sich der Krisenhimmel aufhellte. Die Devise zum Schluss könnte lauten: „Das Konzert ist tot – es lebe das Konzert!“

Selbst die Phonoindustrie hat ein probates Mittel gegen den Absatzschwund gefunden. Vor allem bei den Majors setzt sie auf frisch entdeckte und dann mit geballten Verkaufsstrategien vermarktete Stars – erinnert sei nur an die Sängerin Anna Netrebko oder den Pianisten Lang Lang. Da dürfen Kassen wieder klingeln, doch muss das nicht zwingend mit einer intensivierten Musikvermittlung und einem Plus an Aufführungskultur verknüpft sein. Es kann durchaus mit gemindertem künstlerischen Einsatz und eingeengter Repertoirepolitik gekoppelt sein. Einige besonders sensible Interpreten haben dagegen gehalten. Sie wehren sich gegen die Vereinnahmung durch die globalen Tonträgerriesen, gründen wie Jordi Savall oder Ton Koopman ihr eigenes Label oder wechseln wie Andreas Staier zu einer zwar kleineren, doch hinsichtlich der künstlerischen Resonanz wagemutigeren Firma.

„Übergewöhnliche Konzertstätten“ als Modell

Die Konzerte mit klassischer Musik wurden von den Wolfenbütteler Referenten aus unterschiedlichen Pers­pektiven untersucht. Der Lüneburger Stadtsoziologe Volker Kirchberg sondierte die verschiedensten Veranstaltungsorte. Er entwickelte das Modell einer „übergewöhnlichen Konzertstätte“, was nicht zwangsläufig gewöhnliche Präsentationsformen ausschließt. Schon jetzt stellt sich bei der in Hamburg entstehenden Elbphilharmonie aber die Frage, wie dieser Raum mit 3.000 Plätzen künftig täglich gefüllt sein wird. Stadtplaner und Politiker ficht das kaum an. Sie wollen vor allem einen Imagemotor zünden und mit einem architektonisch attraktiven Aushängeschild gegen urbane Konkurrenten punkten.

Es geht freilich auch anders, wenn außerhalb der üblichen Konzertsäle mit ihrer aus dem 19. Jahrhundert stammenden bürgerlichen Feierlichkeit und den damit einhergehenden Sprechverboten und Kleidungsvorschriften Spielstätten in Planetarien, Einkaufszentren, Sportstadien und sogar in städtischen Problembereichen gesucht und genutzt werden. Wird dann sowohl auf die festgefügten Sitzreihen als auch auf den erstarrten Programmkanon von Ouvertüre, Konzert und Sinfonie verzichtet, können Konzerte zu ganz haptischen Ereignissen werden. Peter Schleuning pointierte Alternativen zu den festgefahrenen Standardisierungen. Er wies auf die experimentelle Anfangsphase der bürgerlichen Musikkultur mit ihren bunt gemischten, zugleich zwangloseren Programmen hin. Der Theaterwissenschaftler Jens Roselt stellte sich vor allem performative Momente des Konzertes vor. Er erinnerte an John Cages 1952 vom Pianisten David Tudor in Woodstock uraufgeführtes „4’33’’ und rückte diese beispielhafte Urperformance auf eine Ereignis-, Erlebnis- und Teilhabeebene mit Smetanas „Die Moldau“ oder dem Aufmarsch eines Spielmannszuges. Musik insgesamt einschließlich ihrer auf herkömmlichen Tonträgern nicht speicherbaren Hervorbringung mit Bildern und Gesten bestimmt das Konzert.

Die Krise des Konzerts als Krise der Präsenz

Einmal auf die Fährte der Performance gesetzt, konstatierte Matthias Rebstock, derzeit Juniorprofessor für Szenische Musik an der Stiftungs-Universität Hildesheim, dass die Krise des Konzerts eine Krise seiner Präsenz sei. Stillsitzen und Zuhören haben Konzertbesucher zwar domestiziert, doch negiert diese im klassischen Konzert eingefahrene Rezeptionshaltung die Körperlichkeit von Musik und verbirgt deren Präsenz. Letztere und damit die Intensität des Musikerlebens könne nach Rebstock durch vier Mittel gesteigert werden: Auratisierung, Spiritualisierung, Visualisierung und Performatisierung beziehungsweise Theatralisierung. „Die Musik ist aber für den Menschen, und nicht der Mensch für die Musik,“ resümierte der hannoversche Musikethnologe Raimund Vogels. Er hatte zuvor das in fünf Phasen gegliederte Begräbnisritual der nigerianischen Burra veranschaulicht und mit einem europäischen Klassikkonzert verglichen. Für Vogels stellt manches europäische Konzert die Kognition vor die Emotion und verliert so die Nähe zum schützenden Ritual.

Zum Nachdenken über das Zukunftskonzert gehören statistische Untersuchungen der gegenwärtigen Konzerte und ihres Publikums, auch der ausgebildeten Musiker und ihrer späteren Verwendung im Arbeitsmarkt. Heiner Gembris von der Universität Paderborn berichtete nicht nur über den Anstieg der Konzerte, sondern auch über die rückläufigen Besucherzahlen. Besonders das kaum nachwachsende jüngere Publikum macht besorgt und muss das Nachdenken über verstärkte Vermittlung intensivieren. Gembris folgerte daraus, dass die wichtigsten Personen, die sich um Vermittlung und Akzeptanz von Musik kümmern, die Musiker selbst seien. Diese müssen sich ihre eigene Existenz sichern – für manche Musikhochschule ein deutliches Signal, nicht nur auf Oktavritter, Tastenlöwen und Preisträger zu setzen, sondern die Ausbildung der jungen Künstler auch auf die Befähigung zur Vermittlung auszurichten.

Gezielte Dramaturgie als Ausweg

Dank gezielter Dramaturgie eröffnen sich ganz neue und attraktive Felder für die inhaltliche und organisatorische Gestaltung von Konzerten. Markus Fein, seit einigen Jahren künstlerischer Leiter der Sommerlichen Musiktage in Hitzacker und seit einem Jahr Intendant der von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung veranstalteten Niedersächsischen Musiktage, vergleicht sich gern mit dem auch um die Hängung von Bildern beschäftigten Kurator einer Kunstausstellung. Sein künstlerisch fundiertes Marketingkonzept zehrt vom Vertrauen auf unendliche Möglichkeiten und erprobt Jahr für Jahr neue Formen. Im August 2004 wurde Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente – Stille. An Diotima“ in Hitzacker mit Madrigalen von Luca Marenzio gemischt. Im Herbst 2006 geriet das Publikum in einer Göttinger Lokomotivhalle beim „Experiment Geschwindigkeit“ in das Spannungsfeld von Zeit, Tempo und Entschleunigung. Im August letzten Jahres erlebte das Hitzacker-Publikum, wie in einer Installation von Daniel Ott Klänge von siebzig Bläsern um die Zeit des Sonnenaufgangs vom Elbufer zum Weinberg wanderten – ein abschließendes Frühstück im Freien war inbegriffen. In diesem Jahr geht es am Sonntagvormittag in den Dötzinger Forst, wo die Nationalsozialisten ein weit verzweigtes unterirdisches Tanklagersystem für rumänisches Erdöl einrichteten. Mauricio Kagels „Zehn Märsche um den Sieg zu verfehlen“ und Rudolf Mauersbergers Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüste“ werden die passende Musik in den Betonruinen sein.

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