Gerade waren die fertig montierten Akustikwände im großen Saal der Elbphilharmonie präsentiert worden, da kamen, einen Steinwurf entfernt, Musikvermittler aus ganz Europa und darüber hinaus im Körber-Forum zum fünften Symposium „The Art of Music Education“ zusammen. Mit dem Grußwort des Hamburger Schulsenators Ties Rabe, der seinen Oberbürgermeister mit dem kühnen Vorsatz zitierte, jeder Schüler der Hansestadt sollte das neue Konzerthaus einmal besucht haben, war man schon mitten im diesjährigen Thema: der Kooperation von Schulen und Kulturinstitutionen.
Diesmal waren sie also da, die Lehrerinnen und Lehrer, die man vor acht Jahren, bei der ersten von Körber-Stiftung und Elbphilharmonie ausgerichteten Tagung noch vermisst hatte. Gemessen an der Vehemenz, mit der Teile der Musikvermittler-Szene sich damals noch gegen die Musikpädagogik abgrenzen zu müssen glaubten, war der nun anvisierte Schulterschluss durchaus bemerkenswert, auch wenn er im Symposiumsmotto noch vorsichtig mit „Re-Thinking the dialogue“ umschrieben war.
Das einmal mehr ausgezeichnet organisierte Treffen verlief nach dem bewährten Muster einer Mischung aus Impulsvorträgen und -präsentationen, Roundtables, Workshops, abendlichen Gesprächskonzerten und Phasen kollektiven Brainstormings. Der Blick über den deutschsprachigen Tellerrand brachte diesmal unter anderem Eindrücke aus den USA und Großbritannien.
So bewerben sich an der Carnegie Hall jeweils bis zu 500 Hochschulabsolventen um einen der knapp 20 Plätze im ACJW Ensemble, einer Elite-Einheit für musikvermittelnde Spitzeninstrumentalisten (hinter der Abkürzung verbergen sich die beteiligten Institutionen, darunter die Juilliard School). Zwei Jahre lang werden sie gecoacht, entwickeln Konzertformate und sind auch regelmäßig im Schuleinsatz. Hinter der Initiative „Jazz Electives Birmingham“ wiederum verbirgt sich eine Art „Jazz-JeKi“, wobei am Ende eines Schuljahres immer eine große Aufführung mit dem Werk des jeweils engagierten Komponisten steht.
Aus Deutschland wurden neben anderen das „Dvorák-Experiment“ der ARD-Anstalten mit seinem offenen Angebot für schulische Beteiligung und die faszinierende inklusive Zusammenarbeit von Oberlinschule und Theater Hagen präsentiert. Schade, dass die Vertreter/-innen der Grundschule der Künste Berlin ihren offenbar hochinteressanten Ansatz nicht nachvollziehbar machen konnten.
Eine nicht ganz neue, aber im Zusammenhang der Tagung höchst erhellende Perspektive steuerte der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer bei. Das Fazit der groß angelegten „Hattie-Studie“, derzufolge es in der Schule vor allem auf die Lehrperson ankommt, bezog er auf die für die Tagung bedeutsamen außerschulischen Lernorte. Es genüge eben nicht, diese einfach nur aufzusuchen, was er mit einem Foto von im Bundestag sanft dahinschlummernden Pennälern illustrierte. Auch das viel beschworene Prinzip „Tandem“, also beispielsweise die Zusammenarbeit eines von außen kommenden Künstlers mit der Lehrkraft, wurde mit dem herrlichen, in Österreich verbreiteten Begriff „Heizkörperlehrer“ hinterfragt.
In den Roundtables und in den Beiträgen aus dem Publikum wurde die Gefahr, in eine allgemeine Schulmusikdiskussion abzudriften, leider nicht durchweg umschifft. Immer wieder wurden die großen Unterschiede in der Struktur und in der Denkweise deutlich: Hier die langfristige, von einem Lehrplan und einem zeitlichen Rahmen geprägte pädagogische Begleitung der Schüler, dort das einzigartige musikalisch-künstlerische Ereignis, der magische, dem Alltag enthobene Moment. Bezeichnend war auch das entworfene Bild des Zusammentreffens zweier unbeweglicher Tanker …
Es kommt also auf die genaue Planung und Ausgestaltung solcher Partnerschaften an, für die sich im Lauf des Symposiums einige notwendige Voraussetzungen herauskristallisierten. Ein Team aus Stipendiaten der „Masterclass on Music Education“ fasste das gesammelte Teilnehmer-Feedback effizient zusammen: Auf struktureller Seite sollten Projekte mit Kulturinstitutionen fest im schulischen Curriculum verankert sein, gemeinsam auf Augenhöhe geplant und durchgeführt sowie langfristig finanziert sein. Was die Hochschulausbildung betrifft, so sollte Musikvermittlung fest in die Studiengänge integriert werden, Schulprojekte eingeschlossen. Als wünschenswert wurden außerdem Runde Tische der Akteure vor Ort angesehen.
Angesichts inspirierender Präsentationen – als erfrischend erwies sich das flotte 20-Bilder-mal-20-Sekunden-Format „Pecha Kucha“ – und guter Gespräche hätte man das Körber-Forum also beschwingt verlassen können, wäre da nicht das Statement einer Schülerin gewesen. In einer Podiumsrunde gab sie zu Protokoll, sie und ihre Klassenkameraden wüssten gar nicht, was diese Konzertbesuche eigentlich sollten, da ja niemand vorhabe, Profimusiker zu werden. Und beim selber Musizieren hätten sie Angst, etwas falsch zu machen. Bezeichnend, dass die versammelte Fachkompetenz mit dieser, ein deprimierendes Schlaglicht auf unser Schulsystem werfenden Aussage so recht nichts anzufangen wusste. Die grundsätzliche Frage nach einer „musikalischen Bildungsidee“ scheint also dringlicher denn je (siehe Karl Heinrich Ehrenforths Grundsatzbeitrag auf den Seiten 4ff.).
Von dieser Ernüchterung konnte man sich bei den abendlichen Musikbeiträgen ein wenig erholen. Das Trio Catch spielte neben Beethoven und Staudt ein Stück des im Rahmen des „Lautstark“-Projekts der Klangspuren Schwaz „entdeckten“ Jungkomponisten Benjamin Buchberger, und ein Streichquartett aus Mitgliedern des Ensemble Resonanz kostete den Brachial-Minimalismus von Bryce Dessners „Aheym“ mit aller Macht, förmlich auf der Stuhlkante sitzend, aus. An diesem Abend wäre beim Schulbesuch im Bunker an der Hamburger Feldstraße sicher kein Schüler eingeschlafen.