Nachdem das Netzwerk Junge Ohren im Vorjahr die Prämierung hatte aussetzen müssen, da der Bund als Geldgeber ausgestiegen war, konnten dank neuer Förderer jetzt wieder Auszeichnungen vergeben werden. Preise gingen an Vermittlungsprogramme des Gürzenich-Orchesters Köln und des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin sowie an die Freiburger Theatermacherin Thalia Kellmeyer. Die Verleihung im Kammermusiksaal der Kölner Hochschule für Musik und Tanz war eingebettet in ein dichtes Programm aus Ideenbörse, Fachtagung und viel szeneinternem Austausch.
Mit der Reaktivierung des Junge Ohren Preises, jetzt mit der Deutschen Orchester-Vereinigung und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten im Rücken, verbindet sich auch eine inhaltliche Neuaufstellung. Nicht so sehr prestigeträchtige Leuchtturm-Projekte sollen in Zukunft gewürdigt werden, als vielmehr die musikvermittlerische Basisarbeit, insbesondere dort, wo sie langfristig und auf dauerhafte Effekte angelegt ist. In der neugeschaffenen Kategorie „Produktion“ liegt der Fokus dann auch auf Reihen, Dauerprogrammen und anderen wiederkehrenden Strukturen.
Die Jury entschied sich dafür, diesen Preis zu teilen: „Rapauke macht Musik“ nennt sich die prämierte Kinderkonzertreihe des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), das Pendant beim Kölner Gürzenich-Orchester heißt „ohrenauf!“. „Rapauke“ richtet sich an Drei- bis Sechsjährige, für die das RSB laut Flötist Rudolf Döbler, der den Preis entgegennahm, sein normales Repertoire „von der Renaissance bis Xenakis“ spielt. Offenbar gelingt es aber, für Kinderprogramme nicht unbedingt prädestiniert erscheinende Musik mittels Aktivierung des jungen Publikums, Komik oder halbszenischen Inszenierungen so zu kontextualisieren, dass sie begreifbar und interessant wird. Auch beim Gürzenich-Orchester, wo Catharina Starken die Vermittlungsarbeit verantwortet, wird in den Schul- und Kindergartenkonzerten durch Moderation und überraschende Interventionen ein eigenständiger Rahmen geschaffen. Entscheidend ist aber, dass für Lehrer und Erzieher vielfältige Materialien bereitgestellt werden, mit denen eine spielerische Vorbereitung möglich sein soll. Die Fäden, die dort ausgelegt werden, greift die Konzertmoderation unmittelbar wieder auf.
Beide Preisträger vereint, dass Musikvermittlung in ihren Institutionen nicht allein das Geschäft einiger eigens Beauftragter bleibt. Catharina Starken hebt vor allem das Engagement des Gürzenichkapellmeisters François-Xavier Roth hervor: Er sei auf allen Ebenen mit seiner Person präsent und habe damit auch „das Orchester verwandelt“. Beim RSB waren dagegen laut Rudolf Döbler die Musiker treibende Kraft: „Die Education-Arbeit ist aus der Mitte des Orchesters entstanden, wir haben das jahrelang selbst organisiert.“ Den umfassend kommunizierenden Musiker, als Gegenmodell zum perfekt abliefernden Ausführenden, bezeichnet Döbler als seine „Utopie“. Auf den Weg dorthin, fordert er, müssten sich auch die Musikhochschulen machen und die Ausbildung entsprechend breiter aufstellen.
In der ebenfalls neuen Kategorie „Exzellenz“ soll eine herausragende Persönlichkeit der Musikvermittlung geehrt werden, die „mit ihrer Arbeit und ihren Ideen beispielgebend“ sein müsse. Bei Thalia Kellmeyer, Leiterin der Musiksparte im Jungen Theater Freiburg, hat die Jury ein solches Format erkannt. Kellmeyer hat sich mit partizipativem Musiktheater wie der Produktion „Die gute Stadt“ einen Namen gemacht. Sie will offene Bühnen schaffen für „Musik, die die Leute lieben, die in meiner Stadt leben“, wodurch auch interkulturelle Begegnungen möglich werden. Großes Engagement und vor allem die Fähigkeit, ihre Projekte wie geplant durchzusetzen, sind wesentliche Teile ihres Profils.
Vielfältigere Eindrücke noch als die Preisverleihung ermöglichte eine Nominiertenbörse, die am Nachmittag an gleicher Stelle stattgefunden hatte. In großzügig bemessenen Zeitfenstern durften sich hier alle Kandidaten auf Auszeichnungen vorstellen, ihr Tun wurde in Filmbeiträgen veranschaulicht. So gab es eine Fülle ganz unterschiedlicher Ansätze zu sehen und die Einsichten, die aus dem Vergleichen entstehen können, sind vielleicht entscheidender als die Frage, wer letztendlich Preise erhält.
Spektakulär ist zum Beispiel der „Symphonic Mob“ des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, bei dem Kent Nagano in der „Mall of Berlin“ ein Riesenorchester aus Profis und Laien sowie Erwachsenen und Kindern dirigierte. Die Begeisterung der Beteiligten ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Wen aber erreicht so ein, trotz Ablegern bei anderen Orchestern, doch dem Prinzip nach singulär bleibendes Event? Nicht nur diejenigen, die bereits einen sehr ausgeprägten Zugang zu sinfonischer Musik haben? Die Konzertpädagogik am Staatstheater Kassel kommt im Vergleich dazu sehr bodenständig daher, die Formate – Orchesterrallye, Instrumentenvorstellungen und Ähnliches – wirken meist vertraut. Das Kasseler Team bringt allerdings einen erstaunlich langen Atem mit und wirkt zum Beispiel darauf hin, dass Orchestermusiker, die als musikalische Paten Schulklassen besuchen, dort über Jahre immer wieder erscheinen, sodass zu den Kindern echte persönliche Beziehungen entstehen.
Einen wieder anderen Weg geht die Tonhalle Düsseldorf. Ihre größtenteils partizipativ angelegten, sehr fein nach Altergruppen ausdifferenzierten Angebote tragen klangvolle Namen wie „Sterntaler“, „Himmelblau“ und „Plutino“. Zusammengefasst werden sie in einer „Familienwoche“, einer „Bündelung mit Festivalcharakter“, wie Musikvermittlerin Ariane Stern es nennt. Marketingüberlegungen spielten dabei durchaus eine Rolle, aber Stern schwärmt auch von ganz praktischen Vorteilen. Ungeheuer hilfreich sei es zum Beispiel, „in den Sälen auch mal etwas stehen lassen zu können“. In der Festivalwoche sind die Vermittlungsprogramme eben kein Beiwerk mehr: Sie dürfen dann in der Tonhalle die sprichwörtliche erste Geige spielen.