Die Rhythmik ist vielerorts (siehe den Artikel von Kathrin Rohlfs auf dieser Seite) in die Diskussion geraten und sucht nach Möglichkeiten, sich neu zu positionieren. Für die nmz sprach Renate Reitinger mit der Rhythmikerin und Therapeutin Sabine Hirler über ein neues Ausbildungsangebot, die Bedeutung der Rhythmik für die Arbeit mit verhaltensschwierigen Menschen und die Grenzbereiche zwischen Pädagogik und Therapie.
neue musikzeizung: Die rhythmisch-musikalische Erziehung, kurz Rhythmik, ist in erster Linie ein musikpädagogisches und künstlerisches Konzept. Worin liegt aus Ihrer Sicht das besondere therapeutische Potenzial des Faches begründet?
Sabine Hirler: Bei der Diagnose und Therapie von Kindern sind Verfahren gefragt, die spielerisch, prozess- und ressourcenorientiert sind. Diese Kriterien erfüllt die Rhythmik in besonderem Maße durch ihr spezifisches Aufgabenangebot, das in unterschiedlichste Interaktionsformen eingebettet ist. Die musikalischen Wahrnehmungs- und Bewegungsspiele der Rhythmik eignen sich bei entsprechender fachlicher Qualifizierung ideal, um den emotionalen, sensorischen und sozialen Förderbedarf zu erkennen und entsprechende Angebote für das jeweilige Kind zu entwickeln.
nmz: Gemeinsam mit der Lerntherapeutin Esther Walter haben Sie ein spezielles Verfahren der Rhythmiktherapie entwickelt und erprobt. Welchen Grundsätzen folgt dieses Modell und welche Zielklientel kann damit angesprochen werden?
Hirler: Die von uns entwickelte Rhythmiktherapie beinhaltet drei Bereiche: Die Rhythmik als praktisches Handlungsfeld, die Heilpädagogik und Lerntherapie als Basis für diagnostische Kriterien und therapeutische Beratungsgespräche und Reflexion.
Zu Beginn der Therapie steht die eigens dafür entwickelte Diagnostik im Vordergrund. Im Gegensatz zu standardisierten Verfahren, die emotionale Blockaden hervorrufen können, wird diese auf spielerische und ganzheitliche Weise umgesetzt. Daran schließen sich je nach Bedarf Einzel- oder Gruppentherapiesitzungen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen in der Regel Kinder, die Verhaltensauffälligkeiten, Lernschwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerungen aufweisen. Ursachen hierfür können neben organischen Problemen beispielsweise auch neurologisch bedingte Wahrnehmungsstörungen sein, aufgrund derer sich die Kinder Verhaltensstrategien aneignen, die zu problematischen Situationen in Kindertagesstätte und Schule führen können. Eine weitere Klientel sind demente und schwerdemente Senioren. Hier konzentriert sich die Arbeit auf die Aktivierung der Menschen durch Musik und Bewegung, um gegebenenfalls brachliegende Ressourcen wieder zu wecken. Dies führt nachweislich zu einer Verbesserung der Lebensqualität.
nmz: Im Juni 2009 startet die Zusatzausbildung Rhythmiktherapie, die Sie in Zusammenarbeit mit der Europäischen Akademie für Heilpädagogik anbieten. Inwiefern ist diese zur Erschließung eines neuen Berufsfeldes für Rhythmiker und (Elementare) Musikpädagogen geeignet?
Hirler: Alle im Elementarbereich tätigen Lehrkräfte, die sich mehr der therapeutischen Ebene zuwenden möchten, können mit der Ausbildung zum Rhythmiktherapeuten ihren bisherigen Arbeitsbereich erweitern. Neue Arbeitsfelder können beispielsweise Förderschulen, Frühförderstellen, Altenpflegeeinrichtungen, aber auch psychotherapeutische Praxen sein. Gleichzeitig können Rhythmiktherapeuten den erhöhten Anforderungen im Bereich der psychosozialen Prävention auch in der pädagogischen Praxis noch besser Rechnung tragen. Dennoch muss betont werden, dass Therapie immer ein anderes Setting und andere institutionelle Bedingungen braucht als normale Unterrichtsangebote.
nmz: Einige Musikschulen und Schulen haben auf die wachsende Zahl von verhaltensauffälligen Kindern bereits mit eigenen musiktherapeutischen Angeboten reagiert. Welche Visionen haben Sie diesbezüglich?
Hirler: Da der Anteil von Kindern in unserer Gesellschaft weiter rückläufig ist, kann es sich für Musikschulen günstig auswirken, in ihrer Gesamtkonzeption einen rhythmisch-therapeutischen Förderbereich zu integrieren, in dem entsprechend therapeutisch qualifizierte Pädagogen arbeiten. Es werden dadurch mehr Kinder erreicht, die dann zu einem späteren Zeitpunkt in die üblichen Angebote der Musikschule eingebunden werden können. Von Musikschulen ist im Vorfeld des Ausbildungsstarts bereits Interesse an der Rhythmiktherapie signalisiert worden.