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Zwischen Reduktion und Professionalität

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„Traumklänge“: ein Vermittlungsprojekt im Rahmen des Netzwerks „ON – Neue Musik Köln“
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Das Projekt „Traumklänge“ verbindet im ON-Netzwerk der Stadt Köln verschiedene Institutionen miteinander, um Kindern die Welt der zeitgenössischen Musik auf spielerische Weise zu erschließen. Die Kinderuniversität, das Musikwissenschaftliche Institut, das Institut für Musik und ihre Didaktik der Universität zu Köln, die MusikFabrik und der WDR gestalteten in einer gemeinsamen Aktion diese Veranstaltung, die sich aus mehreren unterschiedlichen Sequenzen zusammensetzte. Die Vertreter der verschiedenen Institutionen entwickelten ein Konzept, das Workshop, pädagogisches Experiment, wissenschaftlichen Vortrag, Umsetzung von Klang in Bewegung und ein Konzert, das die Vorführung der Eigenproduktion enthielt und das Live-Erlebnis des professionellen Konzertes miteinander verknüpfte. Den Abschluss bildete das Konzert im WDR am 19. Oktober 2008.

Sequenz I: Reise nach Australien

Die Kinder lernen Jimi, einen Ureinwohner, kennen, sie begleiten ihn auf seiner Traumreise durch die australische Wüste. Sie sehen uralte Fels-Malereien, hören sich hinein in die Oboenklänge der „Songs found in a dream“, sie verwandeln Plastikrohre des Baumarktes in ein Didgeridoo, zeichnen Jimis Geschichte. Sie begegnen einem Känguru, folgen dem Traumpfad von Jimis Ahnen, wandern durch die sengende Sonne, Jimi gräbt eine Wurzel aus, die essbar ist, Jimi singt – wie lang ist der Weg noch? Sie erreichen das Lager, die Kinder erhalten „Rhythm-Sticks“ und alle spielen miteinander und tanzen. Sie werden müde und fallen in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen ist alles anders. Der „Traum“ ist vorbei. Aber die Rhythm-Sticks sind noch da? Wo kommen sie her? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

Die Kinder machten Musik mit den Didgeridoos und Klanghölzern, sammelten neue ungewohnte Klänge (auch indem sie Zucker zerkauten und das Geräusch aufnahmen), rieben Glas, ließen Schuhe quietschen – ein Vorrat an Klängen, die zu Jimis Geschichte passen könnten. Die Bilder zu Jimis Reise wurden in den beiden Workshops im Oktober zusammengefügt und ergaben am Computer einen Reisefilm, den die Kinder mittels der gesampelten Klänge aus der Sequenz I vertonten. Dabei suchten sie die Klänge aus dem Vorrat aus, die den Bildern adäquat waren oder in die Nähe eines passenden Ausdrucks rückten. Die neuen Klänge wurden auf diese Weise vertraut, wurden „normal“, ließen sich nicht mehr als ungewohnt beiseite schieben. Die Arbeitsphase der Klangsuche aus dem Vorrat geschah mittels Keyboards und Sampler, um jeden Klang unmittelbar abrufen zu können. Das Ergebnis wurde im Oktober anlässlich des wissenschaftlichen Vortrags von Dr. Ralph Paland im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln vorgetragen und beim Konzert im WDR per Computer vor dem Konzert vorgeführt.

Sequenz II: Experimentierraum Traum

„Jimis Traum geht weiter. Wir werden Traumfänger in Gelb und Grün.“ Der Traum wird in dieser Sequenz verstanden als Inspiration für das Neue. Wie oft berichten Künstler von ihren Träumen, die ihnen die Idee zu einem neuen Werk, sei es zu einem Bild, zu einer Komposition, vermittelten.

Bernd Alois Zimmermann gab seiner Orchester-Suite den Titel „Das Gelb und das Grün“. Zu diesem Stück sollten die Kinder nun mit ihren Stimmen Traumklänge in Gelb und Grün erfinden. Wie klingt ein gelber Klang, wie ein Grüner? Wie stellen sich Kinder diese Klänge vor? Hell? Sonne? Wiese? Dabei gelangen Klangerfindungen weniger mit der Stimme, da die Kinder offenbar eine gewissen Scheu voreinander nicht ablegen konnten. Klangerfindungen am Instrument, am Flügel ergaben da ein deutlicheres Bild vom Erfindungsreichtum der kindlichen Fantasie. Daneben erfanden sie Traumgeschichten in Gelb und in Grün und lasen diese vor.

In der Sitzung am 27. Mai ließen die Kinder die Träume fliegen. Zunächst wurden die Notenblätter der Sätze „Burleske“ und „Marsch“ betrachtet und die Musik von CDs gehört. Welche Instrumente werden eingesetzt, um die Wirkung des Marsches zu erreichen, welche Melodie erklingt, welcher Rhythmus entspricht dem Marsch? Diesen Fragen wurde anhand der Partiturseiten nachgegangen. Gelb lässt sich mit hohen Flöten in Verbindung bringen, ein hohes Motiv geriert sich als Ohrwurm, lässt sich schon mitsingen, einige pfeifen mit. In die Notenblätter werden nun die Höreindrücke gemalt, in Gelb oder Grün, oder die Traumgeschichten eingezeichnet. Die Partiturblätter werden gefaltet zu Papierfliegern und so lassen die Kinder ihre Träume im Treppenhaus fliegen, nicht ohne sie wieder einzusammeln und als „Papier-Flieger-Skulptur“ beim Schlusskonzert auszustellen.

Am 3. Juni wurden mit der Choreographie von André Jolles die „Gelb und Grünen Tanzgeschichten“ erfunden. In gelber und grüner Kleidung betraten die Kinder die Bühne, die Didgeridoos in der Hand als Hilfs- und Spielmittel in der Bewegung. Musikalische Dichte und Dynamik gestalteten die Kinder durch die Bewegung: Langsam schleichen einige auf die Bühne, einzelne werden mutiger im Gang, andere schlagen ein Rad, sie finden sich im Kreis zusammen, kreiseln um sich selbst. Die Didgeridoos tauchen auf, im stetigen Weitergeben der Instrumente wird ein Kreis gebildet, eine Polonaise wird angedeutet, einige halten sich fest, werden still, bleiben stehen, stützen sich auf das Instrument, wandeln sich zu einer Schlange, die sich verknäuelt, entfalten sich wieder, lösen sich auf, einzeln, zu zweit verlassen die Kinder laufend die Bühne, einer bleibt zurück, schnappt zuletzt sein Didgeridoo und schließt das Stück.
Der Vortrag von Ralph Paland erläuterte die Frage, inwieweit die Komponisten Farbe mit in ihre Komposition einbinden. Welche Farbe ist welcher Klang? Welchen Klang ordnet der Komponist einer bestimmten Farbe zu. Letztlich, und dies wurde durch den Vortrag deutlich, sind synästhetische Vorstellungen der Komponisten individuell, der Hörer einer bestimmten Musik kann andere „Farben sehen“ oder „empfinden“ als die, die der Komponist für sich selbst empfunden oder sich vorgestellt hat.

Beim Konzert am 19. Oktober erklangen folgende Werke: Sun Ra, „Pleiades“ (1990); Liza Lim, „Songs found in a dream“ (2005), das Stück bildete den unmittelbaren Bezug zum Workshop der Musikfabrik; Olga Neuwirth, „… miramondo multiplo“ (2007); Sun Ra, „outer nothingness (1965). Dabei wurde deutlich, dass der pädagogische Zugang zu neuen ungewohnten Stücken andere Wege finden muss, als es die Ausführung künstlerischer Ideen durch die Künstler vermuten lässt. Das Tanzen zu Neuer Musik durch Kinder ist ein anderer Weg zu Neuem als die professionelle Realisation des Musikwerkes durch die dafür ausgebildeten Künstler. Reduktion scheint hier im Widerspruch zu stehen zum Anspruch des Kunstwerks. Aber es müssen jene unkonventionellen Wege zwischen Reduktion und Professionalität gesucht und auch gefunden werden, um das Neue zu vermitteln. Und das ist offensichtlich ein stetiges Experiment.

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