Ende des vergangenen Jahres durfte Imke Hagedorn, Absolventin der Hochschule für Musik und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, den Bayerischen Kulturpreis für ihre Zulassungsarbeit im Studiengang Gymnasiallehramt Musik entgegennehmen. Unter dem Titel „Visionen von schulischem Musikunterricht aus der Perspektive von Lehramtsstudierenden“ hatte sie sich mit der Frage beschäftigt, was zukünftige Musiklehrer*innen sich von einem guten schulischen Musikunterricht erwarten. Juan Martin Koch hat sie dazu befragt.
Visionen, Realitäten, Perspektiven
neue musikzeitung: Hatten Sie guten Musikunterricht in der Schule?
Imke Hagedorn: Ja, das würde ich schon sagen. Natürlich hatte dieser auch seine Höhen und Tiefen, aber ich hatte schon ein paar Lehrkräfte, die es geschafft haben, alle mit ins Boot zu holen und für das Fach und dessen Inhalte zu begeistern. Gerade drei dieser Lehrkräfte haben mich auch sehr stark dazu inspiriert, später selbst Schulmusik zu studieren.
nmz: Was hat Sie darüber hinaus motiviert, Schulmusik zu studieren?
Hagedorn: Meine Begeisterung für das eigene Musizieren, das Musik hören, das Bewegen zu Musik, die Vermittlung von Musik… Musik hatte in meinem Leben einen sehr großen Stellenwert. Mich interessiert fast alles, was damit einhergeht, es ist nicht allein die Expertise an einem Instrument oder ein musikalischer Teilbereich, die mich anspornen. Außerdem hatte ich schon während der Schulzeit – und insbesondere in den Jahren danach, als meine Entscheidung feststand – über Nachhilfestunden, Anleiten von Gruppen und Chören, selbst gegebenen Instrumentalunterricht und absolvierte Praktika mehr und mehr das Gefühl, dass mich die Arbeit mit Menschen sehr erfüllt und dies etwas ist, was unbedingt Teil meines späteren Berufslebens sein sollte.
nmz: In Ihrem zweiten Semester an der Hochschule für Musik Würzburg bekamen Sie und Ihre Mitstudierenden von Professor Gerhard Sammer die Aufgabe, eine DinA4-Seite zu Ihrer „Vision von schulischem Musikunterricht“ zu verfassen. Was ging Ihnen da spontan durch den Kopf und welchen Denkprozess hat diese Aufgabe langfristig bei Ihnen ausgelöst?
Hagedorn: Puh, das ist ja auch schon ein paar Jährchen her… Ich weiß noch, dass ich spontan sehr begeistert von dieser Aufgabe war. Und das bin ich nach wie vor, denn ich halte es für sehr wichtig, von Zeit zu Zeit die große Utopie, das Ideal, die Vision des eigenen Tuns zu hinterfragen und sich zu überlegen, was einem für seinen zukünftigen Unterricht wirklich wichtig ist. Wenn ich zurückdenke, weiß ich, dass ich ein starkes Gefühl von Ganzheitlichkeit hatte, die ich vermitteln wollte. Langfristig haben diese Aufgabe sowie Gespräche darüber immer wieder Denkprozesse, Fragestellungen und Reflexionen über das eigene Tun in Bewegung gebracht. Denn was einem an schulischem Musikunterricht wichtig ist und ihn zu gutem Musikunterricht macht, hängt, glaube ich, häufig auch von der Rolle ab, die man im Gefüge einnimmt. In den Gesprächen hatte ich oft das Gefühl, meine eigenen Ideen im Bezug auf Perspektivübernahmen noch einmal überdenken und gegebenenfalls anpassen zu können. Sehr spannend fand ich in jedem Fall auch die Frage nach der Vision: Was ist eine Vision von gutem schulischen Musikunterricht, inwieweit unterscheidet sich diese von der Realität und darf und soll sie das nicht vielleicht auch?
nmz: Sie haben sich dann entschieden zu diesem Thema Ihre Zulassungsarbeit zu schreiben. Wie sind Sie dabei methodisch vorgegangen?
Hagedorn: Im Gespräch mit Herrn Professor Sammer ergab sich die Idee, die Visionen einzelner ehemaliger Studierender, die in großer Zahl schriftlich vorlagen, zu analysieren, zu kategorisieren und dieselben Personen in Leitfadeninterviews zu ihren heutigen Visionen zu befragen. Damit konnte ich bereits in den Interviews auf die jeweiligen Entwicklungen der jeweiligen Visionen eingehen. Außerdem war es möglich, die interviewten Personen nach der Rolle des Studiums an der Musikhochschule für die Entwicklung der eigenen Vision von schulischem Musikunterricht sowie nach möglichen Vorschlägen und Empfehlungen an die Hochschule zu befragen, mit dem Fokus darauf, wie diese die Entwicklung der Visionen von schulischem Musikunterricht bei Studierenden noch besser fördern könnte. Als Ausgangspunkt dienten die schriftlichen Statements aller Studierenden, die an der Musikhochschule Würzburg gymnasiales Lehramt im Fach Musik studiert und ihr erstes Staatsexamen im Herbst 2021 oder Frühjahr 2022 absolviert hatten. Auf der Basis einer Analyse dieser ausformulierten „Visionen“ wurde für die zweite Phase der Studie, also die Interviews mit ausgewählten Personen aus dieser Gruppe, ein Leitfaden entwickelt.
nmz: Gab es starke Unterschiede im Meinungsbild der Befragten und gab es Einschätzungen, die Sie überrascht haben?
Hagedorn: Es gab große Schnittmengen, aber auch Punkte, die variiert haben, jedoch nicht grundsätzlich, sondern im Sinne verschiedener Schwerpunktsetzungen. Jede Vision von schulischem Musikunterricht ist individuell und damit verschieden, drastische Unterschiede gab es aber nicht. Überrascht hat mich insbesondere der Sachverhalt, dass sich die jeweiligen Visionen von schulischem Musikunterricht im Laufe des Schulmusikstudiums kaum gewandelt hatten. Zwar gab es zum Teil geringfügige Veränderungen sowie meist eine leichte Öffnung und Erweiterung der Perspektive auf Musikunterricht, allerdings fiel bei allen Befragten eine große Ähnlichkeit zwischen der zu Studienbeginn formulierten Vision und der aktuellen Position auf.
nmz: Wie würden Sie die Ergebnisse Ihrer Studie zusammenfassen?
Hagedorn: In der Analyse der Visionen zu Beginn des Schulmusikstudiums haben sich fünf Kategorien herausgebildet, wobei insbesondere allen Befragten ein hoher Praxisgehalt im schulischen Musikunterricht sowie fast allen ein Einbeziehen der Schüler*innen, ihrer Motivation und ihrer Interessensgebiete in die Unterrichtsplanung wichtig war. In der Analyse und Auswertung der Befragungen zeigte sich, dass ein großer und vielfältig angelegter Praxisanteil nach wie vor bei allen interviewten Personen einen hohen Stellenwert in der aktuellen Vision von schulischem Musikunterricht hatte. Zudem wurden kollektiv Anforderungen an die allgemeine Unterrichtsgestaltung gestellt, wobei insbesondere die Relevanz von Methodenvielfalt hervorgehoben wurde. Als besonders maßgebliche Einflussfaktoren auf die „Visionsentstehung und -entwicklung“ sind die von den interviewten Personen selbst erlebte Schulzeit sowie die in schulischen Praktika gesammelten Erfahrungen aus der Lehrer*innenperspektive zu nennen. Als Verbesserungsvorschläge für das Schulmusikstudium wurden insbesondere Forderungen nach einem noch stärkeren Bezug zur späteren beruflichen Realität und zahlreicheren wie vielfältigeren Möglichkeiten zum Sammeln von Praxiserfahrungen in der Schule artikuliert.
nmz: Was ist für Sie guter Unterricht?
Hagedorn: Den einen guten Unterricht gibt es aus meiner Sicht nicht, viel hängt zum Beispiel von der Lehrperson und den jeweiligen Schüler*innen ab. In vielen Teilen kann ich mich aber den Aussagen der Personen aus meiner Stichprobe anschließen: In gutem Musikunterricht gibt es einen hohen Praxisanteil, alle Beteiligten fühlen sich wertgeschätzt und ernst genommen, der Unterricht geht auf Interessensgebiete der Schüler*innen ein, führt diese aber auch weiter. Ergibt darüber hinaus Ausblicke in bislang für die Schüler*innen noch unbekannte Musiken, lässt ästhetisches Wahrnehmen und die Möglichkeit entstehen, sich zu Musik zu verhalten oder zu bewegen und versucht eine transkulturelle Sicht auf Musiken, Kulturen und Gesellschaft zu vermitteln. Entstehen sollte eine Begeisterung für Musik und ein reflektiertes und dynamisches Verhältnis zu ihr, das auch den schulischen Musikunterricht überdauert. Die Lehrkraft hat meiner Meinung nach in gutem Musikunterricht selbst eine große Begeisterung für das Fach und sehr breit gestreute musikalische Interessen und versucht beides auf die Schüler*innen überspringen zu lassen. Weitere Aspekte, die guter Musikunterricht bisweilen beinhalten sollte, sind für mich Projekte inner- und außerhalb des Unterrichts, klassenübergreifende Ideen und Kooperationen sowie Gedanken von (Musik-)Unterricht als Mittel der Demokratiebildung. Ansonsten ist die eigene Vision von gutem schulischen Musikunterricht im Grunde ja sehr dynamisch. Ich glaube momentan bin ich zudem etwas beeinflusst durch die in der Zulassungsarbeit durchgeführte Studie, weil ich mich dabei so viel mit den Aussagen anderer beschäftigt habe. Ich freue mich aber, dadurch bereichert worden zu sein und meine Vision immer weiter auszufeilen, bearbeiten und konkretisieren zu können.
nmz: Und inwiefern kann das Hochschulstudium dazu beitragen, dass ein solcher guter Unterricht gelingt?
Hagedorn: Hier haben die Befragten einige Verbesserungsvorschläge gemacht: Vor allem wurden ein größerer Bezug zur Berufsrealität sowie zahlreichere Angebote für praktische Erfahrungen innerhalb der Schule gefordert. Hierbei wurde beispielsweise die Idee eines Methodikseminars formuliert, welches konkrete Tipps zum praktischen Agieren innerhalb des Unterrichts, zur Planung von Unterricht, zum Umgang mit problematischen Situationen innerhalb des Klassenverbundes wie Mobbing, eine Orientierung am Lehrplan sowie weitere, vermehrt didaktische Thematiken geben könnte. Auch eine stärkere Einbindung von Lehrkräften in die musikpädagogischen Seminare sowie deren Umstrukturierung mittels größerer Praxisanteile wurden vorgeschlagen. Genannt wurden außerdem eine Ausweitung der Praktika sowie eine Verzahnung von Referendariat und Studium in Anlehnung an den geforderten erhöhten Praxisbezug des Studiums.
nmz: Sie gehen nun ins Referendariat. Worauf freuen Sie sich, auf was schauen Sie mit Respekt voraus?
Hagedorn: Ich freue mich darauf, meine Vision von schulischem Musikunterricht nun mit der Unterrichtsrealität abzugleichen und im Zuge dessen auch anpassen zu können – ein Realitätscheck meiner utopischen Vision sozusagen. Ich bin gespannt, was dies hervorruft, gleichzeitig habe ich natürlich auch davor Respekt. Außerdem freue ich mich, weiterhin viel lernen zu können – in den verschiedensten Bereichen – und darauf, Sachen auszuprobieren, zu experimentieren, mich also auf dem Weg weiterzuentwickeln, guten (Musik-)Unterricht geben zu können. Ich fürchte mich etwas vor der Belastung. Man hat schon so viele Gruselgeschichten gehört, und ich habe ein wenig Sorge, dass einem das die Freude und Leichtigkeit nimmt, die Lust Dinge auszuprobieren. Dass einem Erwartungen und Bewertungsdruck die Freiheiten nehmen, zu experimentieren und sich auszuprobieren und dann das Lernen ein eher extern angestoßener Prozess wird und kein Weiterkommen von sich heraus. Auch habe ich Respekt vor den eigenen Erwartungen an mich selbst. Ich glaube es ist wichtig, sich einzugestehen, dass man im Referendariat selbst noch lernt und es nicht immer gelingen wird, den Musikunterricht zu halten, den man sich wünschen würde.
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