Der erste Eindruck – Überraschung der Fülle. Der große Saal der Musikschule Konservatorium Zürich ist an diesem zweiten Vorspieltag bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl der Zürichsee bei sommerlichen Temperaturen von über 30 Grad zu einem Sprung in die Fluten lockt, haben sich circa 300 Musikfreunde eingefunden, um den zweiten Durchgang des alle drei Jahre stattfindenden Klavierwettbewerbs aufmerksam zu verfolgen.
Der nach dem ungarischen Pianisten Géza Anda benannte und von Hortense Anda-Bührle 1979 drei Jahre nach dessen Tod ins Leben gerufene Wettbewerb muss in diesem Jahr erstmals ohne seine im vergangenen Jahr verstorbene Gründerin auskommen, ohne ihre starke Persönlichkeit und Präsenz, wie es Gratian Anda, Sohn von Géza Anda und Hortense Anda-Bührle ausdrückt. Wer war Géza Anda? Ein großer Pianist des 20. Jahrhunderts, der 1976 im Alter von nur 55 Jahren verstorben ist und dem größten Teil des heutigen Publikums nicht mehr bekannt sein dürfte.
Umso wichtiger ist die Aufgabe, die Erinnerung an Anda wachzuhalten. Und so verbindet dieser Wettbewerb, der von der Géza Anda Stiftung durchgeführt wird, zweierlei, die Förderung junger Talente und die Bewahrung des musikalischen Erbes seines Namensgebers. Erfreulicherweise ist soeben bei audite die CD „Géza Anda – The Telefunken Recordings“ mit Aufnahmen aus den Jahren 1950 und 1951 erschienen, die unverfälscht die analytische Meisterschaft Andas und dessen luzides Spiel widerspiegelt. Neben den Symphonischen Etüden von Schumann finden sich darauf Werke von Bach und Mozart, deren Wiedergabe den Pianisten auf der Höhe unserer Zeit zeigen; da ist nichts angestaubt Altmodisches zu hören – nach über 60 Jahren bleibt die Interpretation dieses Ausnahmepianisten ein Ereignis.
Ein Grund mehr, nach dem Eigentlichen dieses Wettbewerbs zu fragen. Klavierwettbewerbe zählen in der Musiklandschaft seit Jahrzehnten zu den Konstanten des Konzertbetriebs. In jeder Vita der großen und weniger großen Künstler sind sie verzeichnet, diese musikalischen Wegmarken. Ob Chopin-, Tschaikowsky-, Reine Elisabethwettbewerb, die Gewinnerinnen und Gewinner vermelden stolz ihre Erfolge. Doch was bedeuten diese Siege für die Laufbahn der Künstler tatsächlich? Dass erfolgreiche Pianisten Wettbewerbe gewinnen, heißt noch lange nicht, dass alle Preisträger erfolgreich werden. Beispiele für hochdekorierte Niederlagen gibt es genug.
Was muss also hinzukommen, dass aus einem Preisträger ein künstlerisch erfolgreicher Pianist wird. Dies ist in der Zeit des musikalischen Überangebots eine der zentralen Fragen, und damit haben sich auch die Verantwortlichen des Géza Anda Klavierwettbewerbs auseinandergesetzt. Alja Batthyány-Végh, Mitglied des Stiftungsrates, drückt es so aus: „Wir verleihen nicht nur drei Preise mit Dotationen von 60.000 CHF sowie weitere Sonderpreise, sondern kümmern uns auch um unsere Preisträger, indem wir ihnen zahlreiche Konzertauftritte vermitteln und ein kostenloses Konzertmanagement für drei Jahre anbieten.
In diesem Jahr wurden von der Jury unter der Leitung von Jesús López-Cobos 45 Pianisten zur ersten Runde eingeladen; 27 nahmen an den Vorspielen teil und 14 schafften es in die zweite Runde. Einzige Teilnahmebeschränkung: Die Teilnehmer müssen nach dem 6. Juni 1983 geboren, dürfen also nicht älter als 32 Jahre sein. Dieses egalitäre Prinzip legt Wert auf die künstlerischen Qualitäten der Musiker. Und so fanden sich bei der „Mozart-Runde“, in der die Kandidaten mit dem Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Theodor Guschelbauer Mozart-Konzerte spielten, neben fünf Endzwanzigern auch der 19-jährige Franzose Jean-Paul Gasparian.
Dieser Klavierwettbewerb, so Alexei Volodin, Preisträger von 2003 und Mitglied der Jury, ist enorm anspruchsvoll und fordert eine ausgereifte Künstlerpersönlichkeit. Und so nimmt es nicht wunder, dass die Preise an die Erfahreneren unter den Kandidaten gingen. Platz 1 belegte der 1986 in den USA geborene Andrew Tyson, der auch den Mozart-Preis des Musikkollegium Winterthur erhielt. Ihm folgten der russische Pianist Aleksandr Shaikin (Jahrgang 1987) und der Brasilianer Ronaldo Rolim (Jahrgang 1986).