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Preisträger John Lidfors mit den Mitfinalistinnen Julia Selina Blank (l.) und Franziska Kuba. Foto: Jana Evers
Preisträger John Lidfors mit den Mitfinalistinnen Julia Selina Blank (l.) und Franziska Kuba. Foto: Jana Evers
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Der menschliche Kontakt als essenzielle Verbindung

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In Berlin wurde zum vierten Mal der Chordirigentenpreis vergeben, mit John Lidfors als Sieger
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Mit ausufernden Bewegungen schwelgt die Dirigentin Franziska Kuba durch das „O Sacrum convivum“ des spanischen Renaissancekomponisten Francisco Guerrero und schichtet die sich immer wieder neu übereinander lagernden Stimmen zu einem dichten und vollen Klangbild. Bei ihr sind es vielleicht weniger absolut exakte Einsätze als ein schwebend-schwereloses Agieren, was den Sängerinnen und Sängern des RIAS Kammerchors diese wunderbaren, tief religiösen Chorklänge entlockt.

Im Finalkonzert des 4. Deutschen Chordirigentenpreises brachte die junge Chordirigentin die Zuhörenden mit ihrem intuitiven Dirigat auf ihre Seite und ergatterte den Publikumspreis. Neben Kuba waren es noch Julia Selina Blank und John Lidfors, die um die renommierte Auszeichnung antraten. Alle drei gehören zum Förderprogramm des Deutschen Musikrates, der im Rahmen des „Forums Dirigieren“ den Nachwuchs für die dirigentische Spitze gezielt fördern will. Die Stipendiat*innen haben hier die seltene Möglichkeit im Laufe von mehreren Jahren mit ausgewählten Rundfunk- oder Opernchören sowie Semi-Professionellen Gesangsensembles unter Anleitung renommierter Chordirigenten wie etwa Michael Gläser, Stefan Parkman, Hans Christoph Rademann, Peter Dijkstra und Jörg-Peter Weigle zu arbeiten. Den Förderbereich Chordirigieren des Forums Dirigieren (ehemals „Dirigentenforum“) gibt es übrigens erst seit 2008, zuvor förderte das Dirigentenforum nur junge Orchesterdirigenten, doch setzte sich schließlich die lobenswerte Einsicht durch, dass die Arbeit mit Vokalensembles ganz eigene Anforderungen mit sich bringt. „Hier kann man Leuten begegnen, die schon sehr viel Erfahrungen haben und Tipps und Hinweise geben können.  Aus diesen Perlenstücken kann man sich dann die Dinge zusammenbasteln, die für einen selbst gut funktionieren“, sagt Kuba. John Lidfors fügt ergänzend hinzu: „Ich bekomme Feedback über meine Arbeit und darüber, was sich über die Jahre eingeschliffen hat und was ich ändern muss, aber auch, was gut ist. Man weiß dann ungefähr wo man steht und wo man sich noch entwickeln muss.“ Der große und schlanke Nachwuchsdirigent agiert am Pult ganz anders als Kuba. Hochkonzentriert, mit festem Stand und gerader Haltung, dennoch immer entspannt und mit eher zurückgenommenen Dirigiergesten führt er den RIAS Kammerchor zu einer frischen Interpretation von Johann Ludwig Bachs doppelchöriger Motette „Das ist meine Freude“. Lidfors lässt den Sänger*innen viel Entfaltungsraum für die sprudelnden Koloraturen, setzt aber auch scharfe Akzente in den gleichzeitig erklingenden Gesangslinien bei „Das ist meine Freude“.

Allein der Vergleich von Kuba und Lidfors macht deutlich, wie unterschiedlich die künstlerischen Persönlichkeiten und Arbeitsweisen sind. Beim Dirigieren gibt es eben kein bestimmtes Rezept wie man etwas einstudiert, vermittelt und anzeigt. Beide betonen an dieser Stelle die Wichtigkeit der individuellen Entwicklung, die sie im Laufe des mehrjährigen Förderprogramms erlebten. „Ich habe gelernt, mich nicht so schnell verunsichern zu lassen, denn man entwickelt seine eigene Professionalität und Sprache“, betont Kuba. „Ich bin hierhergekommen“, meint Lidford noch kurz vor Beginn des Konzerts, „um mich als Musikerpersönlichkeit zu zeigen, das ist das was ich in der Hand habe, den Preis habe ich nicht in der Hand“.

Julia Selina Blank, die dritte Stipendiatin des Programms, die es bis ins Finalkonzert geschafft hat, erzeugte mit ihrer dirigentischen Persönlichkeit und Erfahrung in der Generalprobe und im Konzert eine recht entspannte Atmosphäre, sodass sie, um ein Beispiel zu geben, die sublimen aber intrikaten Klänge von Jonathan Harveys „Agnus Dei“ zusammen mit dem RIAS Kammerchor sehr schön modellieren und auskosteten konnte.

Der erste Preis wurde am Ende des Finalkonzerts schließlich dem ruhig und souverän agierenden John Lidfors übergeben. Er kann sich jetzt auch darüber freuen, in der kommenden Saison Einstudierungen bei einigen Rundfunkchören, die Partner des „Forum Dirigieren“ sind, zu übernehmen. Das Kriterium für die Preisvergabe – dies wird ausdrücklich betont – ist allerdings nicht allein die dirigentische Leistung beim Finalkonzert. An drei der fünf Probentagen wurden die Dirigent*innen von einer prominenten Jury unter dem Vorsitz von Justin Doyle, Chefdirigent und künstlerischer Leiter des RIAS Kammerchors, beobachtet, außerdem wird die gesamte künstlerische Entwicklung im Rahmen des Programms bewertet. „Ein Ensemble“, so fasst es Lidford zusammen, „will wissen, wer dieser Mensch da vorne ist. Natürlich geht es darum, schöne Musik zu machen, aber wenn da kein menschlicher Kontakt da ist, fehlt eine essenzielle Verbindung in der Musik.“

Das Finalkonzert und die Generalprobe hat auch vor Augen und Ohren geführt wie berechtigt und notwendig das gesamte Programm einer chordirigentischen Förderung ist. Auf der Nachwuchs-Spitzenebene besteht selbst am Ende eines solchen mehrjährigen Programms noch relativ viel künstlerisches Ausbaupotential. So ist etwa die Erarbeitung von Werken unterschiedlichster Epochen allzu ähnlich und damit leider auch das musikalische Ergebnis. Da klingt dann Renaissancemusik des erwähnten Komponisten fast so wie ein Stück aus Schumanns romantischen „Vier Doppelchören op. 141“. Die raffiniert gesetzten Motetten von Johann Ludwig und Johann Christoph Bach, die auch eine rhetorische Qualität haben, könnten nicht selten mehr Textverständlichkeit gebrauchen, was zugleich zu einem intensiveren musikalischen Ausdruck führen würde. Und nicht selten wünscht man sich in der musikalischen Gestaltung ein bisschen mehr Fantasie und Lebendigkeit anstelle einer vielleicht doch etwas zu sehr durchbuchstabierten Interpretation. Ganz in diesem Sinne hört man unter den Finalist*innen das schönen Eingeständnis: „Es ist noch ein weiter Weg, den ich zu beschreiten habe“.

Das „Forum Dirigieren“ bietet den Nachwuchsdirigent*innen einmalige Chancen und Möglichkeiten und daraus kann sich viel ergeben. In der Jury saß auch Manuel Pujol, der als ehemaliger Stipendiat 2014 den 1. Deutschen Chordirigentenpreis gewann und seit 2018 Chordirektor an der Staatsoper in Stuttgart ist. Und Yuval Weinberg, ebenfalls Stipendiat des „Forum Dirigieren“, der aber beim Finalkonzert 2018 keinen Preis erhielt, ist seit 2020 Chefdirigent des SWR Vokalensembles. „Ob ich diesen Preis jetzt gewinne oder nicht“, so die erfrischende Einsicht von Franziska Kuba, „in zwei Jahren habe ich es vergessen. Ich muss sowieso immer so gut arbeiten wie ich kann, ob mit oder ohne Preis.“

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