Musikwettbewerbe gibt es viele in Deutschland, aber nur einen, der auf die Nachfahren des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy zurückgeht. Die haben nämlich vor über 140 Jahren einen Teil ihres Vermögens dem preußischen Staat vermacht, auf dass dieser begabte junge Musiktalente fördere. Über Jahrzehnte wurden mit dem Geld Stipendien finanziert. Zwei Stipendiaten, die später Kariere machten, waren der Komponist Engelbert Humperdinck und der Pianist Wilhelm Kempff. Die Nationalsozialisten zerstörten dieses spezielle Förderprogramm, nach 1945 wurde es wieder aufgelegt. 1978 vereinigte man das Mendelssohn-Stipendium schließlich mit dem Bundeswettbewerb der deutschen Musikhochschulen. Damit entstand der „Felix Mendelssohn Bartholdy Hochschulwettbewerb“ in seiner heutigen Form. Ausgerichtet wird er alljährlich im Januar an der Universität der Künste Berlin, in diesem Jahr in den Disziplinen Violoncello und Orgel.
Es war sehr, sehr dicht getaktet“, sagt Teilnehmer Felix Brunnenkant, Student im Fach Violoncello an der Hochschule für Musik und Theater München, über die drei Wettbewerbstage in Berlin. „Für mich hatte das aber auch eigentlich was Positives: dass man eigentlich nie Zeit hatte, sich irgendwie groß in Frage zu stellen. Es ging einfach sofort weiter – und da muss man halt irgendwie mit dem Kopf durch die Wand!“ Die Anstrengung hat sich für Felix Brunnenkant allerdings gelohnt: Er erreichte unter den 38 angetretenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Ende den zweiten Platz.
Der Mendelssohn Hochschulwettbewerb hat ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland, betont dessen künstlerischer Leiter Sebastian Nordmann, zugleich Intendant des Konzerthauses Berlin: „Die 24 deutschen Musikhochschulen schicken ihre Kandidaten ins Rennen, und wir bewerten dann, wer der Sieger sein wird. Aber die Vorauswahl findet an den Hochschulen statt“, betont er. Diese Vorauswahl gilt quasi als die erste der drei Runden, die die Kandidatinnen und Kandidaten absolvieren müssen, sagt die Geschäftsführerin des Wettbewerbs Julia Hartmann. In der Regel wird sie in Form eines Vorspiels durchgeführt. „Darin sitzen dann in diesem Fall alle Cello-Lehrenden am Haus oder zumindest die, die verfügbar sind. Und dann gehe ich schon davon aus, dass von denen, die Interesse haben, mitzuwirken, dann auch der Beste geschickt wird.“ „Das habe ich bisher auch noch nicht erlebt, dass einer irgendwie abfällt“, betont Sebastian Nordmann, der die Jurys in den beiden Disziplinen Violoncello und Orgel zusammengestellt hat.
Das Repertoire ist etwa zur Hälfte vorgegeben, denn der Namenspatron des Wettbewerbs Felix Mendelssohn Bartholdy hat für beide Instrumente Werke komponiert, die heute zum Standard gehören. Für die Orgel sind das zuallererst die sechs großen Sonaten. „Ich kenne keinen Orgelkomponisten, dessen Werke im Prinzip auf allen Orgeln gut klingen“, stellt der Vorsitzende der Orgel-Jury, der Essener Domorganist Sebastian Küchler-Blessing fest. Für seine Kollegin im Fach Cello, die Cellistin Tanja Tetzlaff, sind die beiden Sonaten Mendelssohns für Cello und Klavier der entscheidende Prüfstein für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Besonders die D-Dur-Sonate“, betont sie, ist wirklich ein Repertoirestück eigentlich für jeden Cellisten. Und man kann da einfach wunderbar eine Mischung zeigen aus Virtuosität, aber ganz, ganz viel Musikalität ist da gefragt!“
Das Niveau der Cellistinnen und Cellisten war diesmal außerordentlich hoch, betont Tanja Tetzlaff und sieht die Ursache dafür in der Corona-Pandemie und den mit ihr verbundenen Einschränkungen. „Es war einfach Zeit da, aber es hat sich auch unheimlich viel aufgestaut an künstlerischem Ausdruckswillen! Ich merke das auch bei meinen Studierenden: Alle wollen weitermachen und wollen wieder auf die Bühnen. Es wird uns bei Vielen sehr schwer fallen, sie nicht weiterzulassen!“
Das Bewertungssystem der beiden Jurys ist klassisch: 25 Punkte werden vergeben, bei Pattsituationen tauschen sich die Mitglieder untereinander aus. Wichtig ist Tanja Tetzlaff, dass technisches Können auf dem Instrument nicht Selbstzweck ist. Sie wünscht sich, dass die Leute „Geschichten erzählen können“, dass sie ihr eigenes Inneres in die Musik reinpacken können. Das geht allerdings nur, wenn man die technischen Mittel auch hat“, meint die Vorsitzende der Cellojury. Sie hat auch den Kompositionsauftrag für das Pflichtstück erteilt, das alle Kandidatinnen und Kandidaten vor der Jury zu spielen hatten. Bei der Auftragsvergabe war es Tanja Tetzlaff weniger wichtig, dass die 38 Teilnehmer*innen vor riesig hohe technische Anforderungen gestellt werden, vielmehr ginge es in dem Stück darum, eine stimmungsvolle Atmosphäre zu kreieren.
Die südkoreanische Komponistin Younghi Pagh-Paan erzählt in ihrem Werk mit dem Titel „Der Wind weht, wo er will“ eine Geschichte in Noten: Sie verbindet die Folklore ihres Heimatlandes mit dem Duktus der Avantgarde. Der „Windhauch“ könnte für den Heiligen Geist in der christlichen Tradition stehen. Es war interessant, wie unterschiedlich diese Luft-Musik von den Kandidatinnen und Kandidaten zum Schwingen gebracht wurde.
Auch im Fach Orgel war ein neu komponiertes Pflichtstück vorgegeben. Es stammte vom ungarischen Komponisten Zsigmond Szathmáry und war ebenfalls auf die Möglichkeiten der Teilnehmenden zugeschnitten. Inspiriert wurde er durch den von seinem ungarischen Landsmann Ernö Rubik entwickelten – in Deutschland so genannten – Zauberwürfel. Man konnte sich bei diesen Klängen sehr gut vorstellen, wie aus dem bunten Würfel mit seinen 54 Farbquadraten durch stundenlanges Drehen sich allmählich sechs gleichfarbige Flächen herausbilden.
Begeistert war Zsigmond Szathmáry beim Orgel-Finale in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche besonders von der Teilnehmerin Sunkyung Noh. Sie, betont er, habe sein Stück am besten verstanden. Die Südkoreanerin, die im letzten Jahr bereits den Dietrich-Buxtehude-Orgelwettbewerb in Lübeck gewonnen hat, gewann nun auch beim Mendelssohn-Hochschulwettbewerb den ersten Preis. Sunkyung Noh studiert an der Leipziger Musikhochschule, ebenso wie der zweite Orgel-Preisträger Johannes Krahl, der aus dem sächsischen Bautzen stammt. Auch er war schon mehrfach bei Wettbewerben erfolgreich. Für den Wettbewerb hatte er sich für je eine Transkription der „Paulus“-Ouvertüre und der „Hebriden“-Ouvertüre von Mendelssohn entschieden. Den dritten Preis erhielt die Japanerin Risa Toho, die in Freiburg studiert. Dass sowohl der erste als auch der zweite Preis im Fach-Orgel beim Berliner Mendelssohn Hochschulwettbewerb nach Leipzig gingen, zeigt, wie gut die Orgel-Ausbildung dort aufgestellt ist. Professor Martin Schmeding, bei dem sowohl Sunkyung Noh als auch Johannes Krahl studieren, saß zwar in der Jury, durfte für beide aber selbstverständlich keine Punkte vergeben.
Der erste Preis im Fach Cello ging ebenfalls nach Leipzig, an Konstanze Pietschmann, die sogar aus dieser Stadt stammt. Sie studiert bei Peter Bruns, dem sie, wie sie betont, enorm viel zu verdanken hat. Den zweiten Preis erhielt der in München studierende Felix Brunnenkant, als Drittplatzierter wurde der Japaner Keisuke Morita, Student in Saarbrücken, ausgezeichnet.
Sowohl für Konstanze Pietschmann als auch für Organistin Sunkyung Noh bringt der erste Preis in nächster Zeit eine Reihe von Konzertverpflichtungen mit sich. Zusätzlich erhalten beide ein Preisgeld in Höhe von 6000 Euro. Für Konstanze Pietschmann steht schon fest, wofür sie einen Teil der Summe ausgeben wird: für ein ordentliches Rennrad.