Der Eurovision Song Contest 2023 ist durch. Deutschland wurde wieder einmal Letzter, wie bereits 1964, 1965, 1974, 1995, 2005, 2015, 2016 und 2022. Die Boulevard-Presse vergoss Krokodilstränen, Stimmen aus der Kulturpolitik forderten gar die Aussetzung der deutschen Beteiligung. Unterm Strich also Unterhaltung der besten Sorte.
Die halbe Million Euro, die die ARD beigesteuert hatte, hat sich gelohnt. Schließlich ist das Format für die ARD auch nicht teurer als zirka zwei Jahresgehälter einer ARD-Intendant*in. Und was den Kulturauftrag angeht: Immerhin hat der ESC die Musikgeschichte um zwei unvergängliche Hits bereichert, „Ein bisschen Frieden“ von Nicole (1982) sowie „Satellite“ von Lena (2010). Das Wertungssystem des ESC wurde in den vergangenen 15 Jahren neunmal neu geschrieben. Dennoch gilt fast immer die Regel: „Am Ende verliert Deutschland“ – in der Umkehrung der berühmten Länderspielregel des britischen Fussballers Gary Lineker: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen“.
Wie ist es aber bei den seriösen Wettbewerben, also den Klavier-, Geigen- und Gesangswettbewerben, ohne die keine Musikerkarriere denkbar scheint? Kein Friedrich Gulda vorstellbar ohne Internationalen Genfer Musikwettbewerb, kein Menahem Pressler ohne den Debussy-Piano-Wettbewerb, kein Alfred Brendel ohne Busoni-Wettbewerb in Bozen. Und keine Anne-Sophie Mutter ohne Jugend musiziert? Hier bewegt man sich im Spitzensportbereich – nur mit dem kleinen Unterschied, dass Stoppuhr und Maßband nicht zielführend sind. Hier geht es um künstlerische Leistung, um feinste Nuancen. Wie will man die messen? Wie juriert man fair? An diesen Fragen scheiden sich die Geister seit es Musikwettbewerbe gibt.
Ein Text in der nmz Mai 2023 fand großen Widerhall: „Musikwettbewerbe unter Legitimationsdruck“ von Nora Sophie Kienast. Die Autorin hatte im Rahmen ihrer Doktorarbeit herausgefunden: In den Jurys wirken suggestive Faktoren, überall hat man es mit Beziehungsgeflechten zu tun. Die von ihr befragten Jury-Mitglieder konnten entweder von eigenem oder beobachtetem Fehlverhalten berichten. Es wird geschachert, gedroht und geklüngelt.
Wir hakten bei Verantwortlichen einiger renommierter Wettbewerbe nach. Die lesenswerten Antworten machen deutlich, dass die Probleme bekannt sind und man sich als seriöser Wettbewerb permanent mit diesen Fragen auseinandersetzen muss, will man annähernd fair jurieren. Mehr zur hohen Kunst der Preisfindung im Magazin.
- Das Lied von der hohen Kunst der Preisfindung
Nora Sophie Kienasts Untersuchung zu „Musikwettbewerben und ihren Jurys“ findet Beachtung - Wesentliche Punkte angesprochen
Gregor Willmes über zwei Wettbewerbe von Bechstein Stiftung und C. Bechstein Pianoforte AG