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Yury Favorin: Hoffen und Bangen vor dem Wettbewerb. Foto: Carolyn Cruz/Cliburn Foundation
Yury Favorin: Hoffen und Bangen vor dem Wettbewerb. Foto: Carolyn Cruz/Cliburn Foundation
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Rassepudel auf Herrchensuche

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Zum 15. Mal ging der Klavierwettbewerb „Van Cliburn International Piano Competition“ in Texas zu Ende
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Es ist paradox. Rund 750 Klavierwettbewerbe sind weltweit installiert. Jedes Mal winkt die Weltkarriere. Diese Rechnung geht nicht auf, und dennoch scheut kein Pianist den Marathon. Auch bei der fünfzehnten Ausgabe der „Van Cliburn International Piano Competition“ im texanischen Fort Worth funktioniert das Lockmittel des Ruhmes.

In der Endrunde, 6 sind übrig, dürfen sich bei der Party die restlichen 24 Teilnehmer nicht entspannen. Die Visitenkarten zählen zum höchsten Gut, die Musikmanagern, Labelleitern oder Agenten vor Ort in die Hand gedrückt werden. Bei den ganz großen Wettbewerben – Tschaikowsky in Moskau, Leeds oder Queen Elizabeth in Brüssel, die Namen generierten wie Sokolov, Trifonov, Ashkenazy, Perahia oder Giltburg – kristallisiert sich ein Teilnehmerkondensat heraus. Diese Liste der Wiederholungstäter ist das größte Geschenk! Sie gibt einen Überblick über die jungen Pianisten unserer Epoche, denn sie alle rotieren im Wettbewerbskalender.

So lässt sich ein angeregtes, teils angestrengtes, Treiben beobachten, bei dem die Rassepudel, mit texanischem Fingerfood in der Hand, nach ihrem Herrchen suchen. Dabei brauche es gerade das nicht, tuschelt es hinter den Kulissen. Wenn ein Pianist heute überleben will, braucht er Kanten, vielleicht gerade kein glatt gebürstetes Fell. Vielleicht sogar Mut zu zwicken.

Van Cliburn, selbst prominenter Pianist, nachdem er als Amerikaner im Kalten Krieg 1958 in Moskau den Tschaikowsky-Wettbewerb gewann und mit staatstragendem Tamtam geehrt wurde, gründete kurz darauf die eigene Auswahlstube. Bis heute hat sich einiges verändert. Dreihundert haben Videokonzerte eingereicht, die Hälfte wurde gecastet in Städten wie Seoul, Hannover oder New York. Dreißig wurden nach Fort Worth geflogen, um vier Runden zu durchlaufen. Mit schwindender Zahl. Bis einer gewinnt. Yekwon Sunwoo, diesjährig erkoren und mit einem Marketingpaket, 50.000 US-Dollar und internationalen Auftritten beschenkt, ist 28. Er hatte bis zu seinem Sieg vier Soloabende, ein Klavierkonzert von Wolfgang Amadé Mozart, ein Klavierquintett und ein Orchesterkonzert seiner Wahl zu spielen. Sunwoo konnte vor allem mit dem Brentano String Quartet zeigen, warum er gewinnen sollte. Antonín Dvoráks Klavierquintett in A-Dur lädt durch die nicht enden wollenden Wiederholungen zur Ödnis ein. Sunwoo dekliniert die riesenhaften Melodielinien durch, die Klänge irisieren mehr und mehr, als kontere er damit das ewig Gleiche. In Sergei Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 umgarnte er mit seinem Hang zum Spektakel. Die Tastengirlanden wurden zum Kinnladenöffner. Sunwoo unterstreicht mit Artistik den Effekt.
Das Wertungssystem der neun Juroren basiert auf einem Ja-Nein-Prinzip. Lediglich eine „Vielleicht“-Stimme hat jeder noch. Das klingt fair. Entweder jemand überzeugt komplett oder nicht. Aber – bei maximaler Spaltung, dem puren musikalischen Diskurs, fällt der Kandidat durch. Immer gewinnt der Konsens.

So könnte es auch Rachel Cheung getroffen haben. Sie ist umwerfend! Sie zwickt, spielt so, wie sie es will, verpatzt auch mal eine Sonate, aber macht immer Musik. Sie kann mehr als Noten. Es soll bei ihr hitzig zwischen den Juroren zugegangen sein. So erzählt man es sich. Denn es ist nicht transparent, nicht einmal die Ausgeschiedenen erhalten Feedback. Das liegt vor allem daran, dass „man ein ernstzunehmender Wettbewerb ist“, so Jaques Marquis, Präsident und CEO: „Künstler, die bei uns teilnehmen, brauchen kein Feedback mehr. Das erhalten sie bei anderen.“

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Jeder Wettbewerb muss in den eigenen Augen der Beste sein, mindes-tens als solcher wahrgenommen werden. Aber der Teich, aus dem gefischt wird, ist mit den identischen Fischen befüllt. Und: Was hat das Publikum von alldem? Sehr viel.

Sehr viel Gutes. Viel Bedenkliches. Sitzt man in der Bass Hall, dem gesponserten Konzerthaus der gleichnamigen Familie, lernt man viel über die Tücken einer riesenhaften Veranstaltungshalle für zarte Besetzungen. Es klingt, als wären die Musiker in Frottehandtücher gepackt. Technisch sind alle brillant, musikalisch überzeugen wenige, gerade die Kluft zwischen solistischem Können und musikpartnerschaftlichen Qualitäten lassen tief hören. Oder was ein mittelmäßiges Dirigat – unpräzise, schleppend, zäh – das Nicholas McGegan bei den Mozart’schen Klavierkonzerten verantwortet, vergleichsweise mit dem Fort Worth Symphony Orches­tra anstellt, wenn man daneben einer intelligenten Schlagarbeit lauscht. Als säßen dort andere Musiker, so umsichtig, so feinfühlig, so lyrisch wird auf einmal musiziert. Und Mozart war ein doppelter Segen!

Wann hört man zwölf unterschiedliche Interpretationen in so kurzer Zeit? Da gibt es Sprödes, Freches, Zurückgenommenes oder Überbordendes. Der Vergleich fordert die Zuhörer. Es bedarf Hirnschmalz und Muße. Nur will das nicht ankommen, denn es mangelt an Vermittlung. Freilich nicht für die Kleinen und Kleinsten. Mehr als 250 Education-Veranstaltungen, nur keine einzige Einführung vor den Konzerten für die Ausgewachsenen. Im Programmheft stehen allerlei Informationen über die Teilnehmer, die Jury, die Bedeutung der Cowboy Hall – aber wenig über Musik.

Dabei braucht es hier Diskussion über die Sache selbst. Der Konflikt ist kaum auszuhalten. Bei Wettbewerben, die mit künstlerischem Können streiten, ist der Einsatz hoch: Für die Musiker ist es die Karriere, für das Publikum die Kunst. Sie bieten der Superlative die Bühne, feuern mit hohen Gewinnen an. Zugleich wird ein großes Fass geöffnet: Geht es um Kampf oder ums Miteinander?

Die kostenfreien Morgensymposien funktionieren nach dem Prinzip, morgens zu predigen, um abends zu sündigen. Die Themen – Kulturvermittlung oder kulturelle Diplomatie – sind zeitgemäß und inspirierend. Bejaht wird mehr Partizipation, mehr Repertoire fernab des Eurozentrismus, mehr Zeitgenössisches für die Zukunft der Klassik. Das wird abends live negiert. Ein winziges Stückchen zeitgenössische Musik, die Toccata auf „L’homme armé“ von Marc-Andre Hamelin, zeitgleich Juror, ist von allen Teilnehmern zu hören: Die Sechzehntelketten wirbeln über die Klaviatur, in die der Renaissanceschlager allenthalben episodenhaft und solitär-monströs poltert. Leider das einzig moderne Werk.

Somit: Es bleibt ein Kampf. Das Publikum lässt sich still beschallen, Prokofiew gerade noch so im Kanon akzeptierend, fiebert es mit, als säße es beim Pferderennen. In der Pause wird hitzig gestritten, wer denn jetzt besser als der Andere ist. Hier geht es nur noch um die Pianisten. Dabei geht es doch eigentlich um viel, viel mehr.

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