Selten ist Hören so spannend und aufschlussreich wie in den ersten beiden Septemberwochen beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München. Posaune, Klavierduo, Flöte und Gesang waren die turnusgemäß wechselnden Fächer in einem der bedeutendsten und vielfältigsten Wettbewerbe für junge Musiker weltweit, der dieses Jahr zum 64. Mal stattfand.
In jedem der vier Fächer war das Niveau diesmal besonders hoch und wer etwa das beliebte Fach Gesang verfolgte – das alle drei Jahre und damit häufiger im Wettbewerb vertreten ist als jedes andere – der konnte sich schon in der ersten Runde über erstaunliche Talente freuen. Fast alle Semifinalisten hätten es verdient gehabt ins Finale einzuziehen, aber die prominent besetzte Jury unter Vorsitz von Robert Holl mit Helen Donath, Konrad Jarnot, Thomas Moser, Gabriele Schnaut, Anja Silja und Stephen Varcoe musste eine Entscheidung treffen, ließ zwei bemerkenswerte Männer – den Bassisten Sebastian Pilgrim und den Counter Siman Chung – sowie die großartige lyrische Sopranistin Siobhan Stagg nicht ins Finale und vergab am Ende den ersten Preis Emalie Savoy, der Sopranistin mit dem unbedingtesten Ausdruckswillen. Sie ließ Agathes Szene aus dem „Freischütz“ und die Juwelenarie („Faust“) zu existentiellen Äußerungen gerinnen. Belohnt wurde das perfekteste Singen und die perfekteste Stimme mit einem zweiten Platz: Sooyeon Lee für ein ungemein differenziertes „Caro nome“ der Gilda. Die Jury bedachte die großartige französische Mezzosopranistin Marion Lebegue, die mit tragischen Frauengestalten von Purcell, Massenet und Britten enorme stilistische Vielfalt bewies, leider nur mit einem dritten Platz und mit dem Preis für die beste Interpretation des Auftragswerks, das manchen Semifinalisten vor unüberbrückbare Probleme stellte. Denn Chaya Czernowin hat mit „Adiantum Capillus-Veneris – Frauenhaarfarn (I) für Stimme und Atem“ eine „Studie zur Fragilität“ komponiert, deren komponiertes Hauchen und Krächzen mit nur geringem Anteil Singen eine Zumutung im besten Sinne war.
Über sieben Stunden hatte das Semifinale im Fach Klavierduo gedauert und am Ende stand keineswegs ein Favorit fest. Aber dann spielten drei Duos im Finale Mozarts Es-Dur-Konzert KV 365 so unterschiedlich und Alina Shalamova und Nikolay Shalamov so herausragend und musikantisch brillant, dass erster Preis, Publikumspreis und die Auszeichnung für die beste Interpretation des Auftragswerks nur an die beiden gehen konnte. Ferran Cruixent hatte mit „Binary“ eine pianistisch brillante Studie voller origineller Chromatik über Gefahr und Faszination „der Medien in unserer mechanisierten und computergesteuerten Gesellschaft“ (so der Komponist im Vorwort zur Partitur) geschrieben; also ein Stück (auch) über den binären Code und mittlerweile allgegenwärtige Klingeltöne.
Das Duo Ani und Nia Sulkhanishvili sowie das Duo ShinPark teilten sich den zweiten Platz, obwohl Letztere die Zwillingsschwestern aus Georgien an Lebendigkeit und Phrasierungskunst weit in den Schatten stellten. Sogar das Duo Lok Ping & Lok Ting Chau, zwei Hongkong-Chinesinnen, bekam einen dritten Preis. Und da erwies sich einmal mehr, dass am Ende für die Bewertung alle Runden mitzählen. Denn im Semifinale hatten die beiden in Barbers „Souvenirs“ und bei Liszts „Concerto pathétique“ ungleich mehr fasziniert als nun mit eher hölzernem Mozart.
Bei den Posaunen gab es am Ende ebenfalls einen klaren Sieger, doch auch hier stand im Semifinale, in dem sechsmal (!) das B-Dur-Konzert von Johann Gabriel Albrechtsberger zu hören war, noch keineswegs ein Favorit fest, obwohl dem 27-jährigen Franzosen Jonathan Reith beides hervorragend gelang: der Klassizismus des Albrechtsberger-Konzerts, bei dem vor allem der feine Ausdruck im langsamen Satz bestach, und das Auftragswerk von Christian Muthspiel „Is My Shoe Still Blue?“, dessen technische Hürden er mühelos meisterte, ihm eine Fülle Nuancen entlockte und auch dem immer wieder einkomponierten Blues-Charakter gerecht wurde. Im Finale war er mit dem bezaubernden „Concertino“ von Ferdinand David ebenfalls ein Anwärter auf den ersten Platz, den ihm dann aber doch der erst 22-jährige Brite Michael Buchanan streitig machte mit einer ungemein erfrischenden Leichtigkeit in der Tonerzeugung und mit subtiler Phrasierung. Während Reith auf den zweiten Platz kam, musste sich sein Landsmann Guilhem Kusnierek mit einem dritten begnügen.
Wie schon im Finale Posaune oder bei den Klavierduos gab es im letzten Durchgang der Flöten den direkten Vergleich mit ein und demselben Stück: Carl Reineckes Flötenkonzert in D-Dur op. 283. Alle drei Finalisten präsentierten sich mit diesem aparten, oft sehr elegisch-melancholischen spätestromantischen Stück.
Der Jüngste unter ihnen, der 23-jährige Eduardo Beimer aus Spanien, war schon im Semifinale mit einem lebendig und differenziert gespieltem A-Dur-Konzert von C. Ph. E. Bach aufgefallen und einer ebenso spannenden wie präzisen, notengetreuen Darbietung des fein flirrenden zweisätzigen Auftragswerks von Salvatore Sciarrino mit dem Titel „L‘Autostrada prima di Babilonia“. Im Finale war er leider etwas nervös und schaffte so nur einen dritten Preis. Sein Landsmann Francisco López Martín errang den Publikumspreis und die Auszeichnung für die beste Interpretation des Auftragswerks, hätte eigentlich aber auch einen ersten und nicht nur den zweiten Preis verdient, denn der 29-Jährige musizierte als Einziger wirklich bei jeder Phrase in symbiotischer Einheit oder im wachen Dialog mit dem Orchester und nicht mehr oder minder für sich. Dazu konnte er großräumig gestalten und besaß einen flexiblen, schönen, facettenreichen Ton. Sébastian Jacot bekam den Preis des Münchener Kammerorchesters für das beste Musizieren mit Bach im Semifinale. Diese, sowie erste und zweite Runde haben wohl nicht zuletzt den Ausschlag dafür gegeben, dass der 28-jährige Schweizer den ersten Preis erringen konnte. Allerdings war seine zart-schwebende, ausdrucksvolle Deutung des Largo con sordini in h-oll, das einem Trauermarsch nicht unähnlich war, tatsächlich herausragend.
Am Tag des letzten Preisträgerkonzerts zauberte der BR dann noch einen neuen künstlerischen Leiter aus dem Hut, nachdem Axel Linstädt nicht gleichzeitig Rundfunkrat sein und weiterhin an der Spitze des ARD-Musikwettbewerbs stehen durfte: Martin Ullrich Beim Empfang nach der Preisverleihung in der Allerheiligen Hofkirche konnte man den Präsidenten der Hochschule für Musik Nürnberg und Vorsitzenden der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen als sympathischen, wachen, eloquenten Mann erleben, von dem sicher neue Impulse für diesen weltweit ausstrahlenden Musikwettbewerb ausgehen, der dank seiner 21 Fächer auch enorm vielfältig ist. Ulrich ist bestens vernetzt, was junge Musiker angeht und auch dank seines Forschungsschwerpunkts Interdisziplinäre Musikforschung wohl der rechte Mann.