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Haruma Sato probt das 2. Cellokonzert von Schostakowitsch und erringt später den 1. Preis. Alle Fotos: Daniel Delang
Haruma Sato probt das 2. Cellokonzert von Schostakowitsch und erringt später den 1. Preis. Alle Fotos: Daniel Delang
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Vierzehn Tage im Wettbewerb um die Gunst der Jury

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Schlagzeuger, Cellisten, Klarinettisten und Fagottisten trugen den 68. ARD-Musikwettbewerb aus
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Die Sommer-Festspiele sind vorbei, doch die Herbstsaison hat noch nicht begonnen, da bricht alljährlich Anfang September für 14 Tage der ARD-Musikwettbewerb über München herein und versammelt in voll besetzten Sälen schon zu den ersten Runden jede Menge interessierter Musikliebhaber, die mucksmäuschenstill sein können. Wieder war es ebenso anstrengend wie aufregend, alle Semifinali, die manchmal sechs und mehr Stunden dauern, und alle Finali zu erleben; dazu kursorisch zweite Durchgänge und drei Preisträgerkonzerte, die sich manchmal wie Pflicht oder Kür und Schaulaufen bei den Eiskunstläufern verhalten. Mancher spielt und singt beim Konzert gelöster als unter Wettbewerbsbedingungen, manchem fehlt nun der Fokus und die Konzentration auf das bestmögliche Spiel und eine mögliche Auszeichnung, die im Falle der Erstplatzierung 10.000 Euro bedeutet oder 7.500 Euro (Zweiter Platz) sowie 5.000 Euro (Dritter Platz).

Der 68. Internationale Musikwettbewerb der ARD wurde in den Fächern Schlagzeug, Cello, Klarinette und Fagott ausgetragen und konnte erneut mit Rekorden aufweisen; so waren es im Fach Fagott 171 Bewerbungen! Ein gutes Drittel wurde angenommen, 55 traten schließlich an. Manchmal war man im 2. Durchgang von Talenten überrascht, die es nicht ins Semifinale schafften, aber es gab auch Kandidaten, bei deren Leistung in der dritten Runde klar war, dass es kein Finale geben würde, und dritte Preisträger, deren Abstand zu den Zweitplatzierten so groß war, dass manch Hörer im Publikum ihm keinen Preis gegeben hätte. Aber da die Jury alle vier Durchgänge am Ende in ihre Entscheidung einbezieht, ist so manches Urteil für das Publikum nicht ganz nachvollziehbar. Das führt jedes Jahr in den Pausen zu angeregten Diskussionen und obwohl die Ergebnisse der Finalrunden meist unmittelbar nach Bekanntgabe im Saal via www.ard-musikwettbewerb.de abrufbar sind, wo auch einige zweite Runden, alle Semifinali und Finali live übertragen werden (später on demand abrufbar), harren doch oft viele aus, um den Juryvorsitzenden im jeweiligen Fach live zu erleben. Hat er so viel Humor wie der US-amerikanische Schlagzeuger Robert van Sice, dann weht ein Hauch Academy Award durch den Herkulessaal der Residenz, bekam doch auch er einen verschlossenen Umschlag mit dem Namen des Publikums-Preisträgers in die Hand, den er dann geheimnisvoll öffnen durfte.

Im Fach Schlagzeug war das zu Recht Kai Strobel, der auch den ers­ten Preis gewann, denn während der Drittplazierte, der 23-jährige Chinese Weiqi Bai in „Indoafrica“, „Eurasia“ und „The Americans“ von Avner Dormans Konzert für Schlagzeug und Orchester „Frozen in Time“ solide, aber wenig um Zusammenhänge oder gar außermusikalische Bezüge bemüht war, hörte man beim 27-jährigen Deutschen Kai Strobel wunderbar tänzerische lateinamerikanische Rhythmen, aber auch differenzierte Marimbaphon-Klänge und im Mittelsatz viel Ätherisches. Zu Beginn spielte der Franzose Aurélien Gignoux ein andere Fähigkeiten erforderndes Werk: „Focs d’arifici“ von Ferran Cruixent ist ebenfalls Programmmusik, schreibt doch der Komponist als Spielanweisung „Wie ein grotesk fetter Soldat mit Größenwahn“ für den ersten Satz („Fanfarra de fusta“) und als Beschreibung für „Correfocs - Feuerläufer“: „Traditionelle nächtliche Feier in Katalanien mit Feuerwerk und unkontrolliert herumspringenden Männern, die als Teufel verkleidet sind.“ Welch Einladung an den 22-Jährigen Gignoux, so richtig draufloszuspielen, was der mit viel Facettenreichtum im Trommeln an verschiedensten Instrumenten auch tat. Dafür bekam er den 2. Preis sowie für seine farbige, präzise Darbietung von Younghi Pagh Paans „Klangsäulen“ den Preis für die beste Interpretation des zeitgenössischen Auftragswerkes. 

In einem Fall konnte man bei den Cellisten im Vergleich zwischen Finale und Preisträgerkonzert erhebliche Unterschiede feststellen: Ein akustisch besserer Raum, ein anderes Orchester, ein neuer Dirigent – und sogar das nicht gerade exzellente, etwas stumpf klingende Instrument ist fast vergessen: Sihao He mühte sich beim Finale im Herkulessaal immer wieder, seinem Cello im Schumann-Konzert Fülle, Farben und eine musikalische Gestaltung abzugewinnen, bekam dafür den dritten Preis, zumal der 26-jährige Chinese im Semifinale hervorragend Haydns D-Dur-Konzert gespielt hatte. Nun beschloss er das erste Preisträgerkonzert im Prinzregententheater mit dem Rundfunkorchester unter Leitung von Valentin Uryupin mit demselben Konzert: Freier, präziser, sogar sonorer klang nun vieles. Friedrich Thiele, der Zweitplatzierte und auch derjenige der „Like Ella“, die Auftragskomposition von Martin Smolka, am besten spielte und den Publikumspreis erhielt, war im Finale mit dem Schumann-Konzert überragend, denn beim 23-jährigen Deutschen gab es kaum eine Phrase, die er nicht sinnstiftend spielen konnte, sein schönes, klangvolles Vibrato stets intelligent nutzend. Aber seine Leistung wurde von Haruma Sato getoppt, der den ersten Preis bekam: Der zierliche 21-jährige Japaner wagte sich an Dmitrij Schostakowitschs zweites Cellokonzert und ließ eine überragende, reife Leis­tung hören, die den vielen Facetten des unermüdlich neu ansetzenden und oftmals hinter massiven Orchesterballungen verschwindenden Soloinstruments in jeder Hinsicht gerecht wurde.

In den Semifinali der Holzbläser – einmal Fagott, das andere Mal Klarinette – stand je sechsmal das jeweilige Konzert von Wolfgang Amadé Mozart auf dem Programm. Zumindest was das herrliche späte Klarinettenkonzert angeht, wurde man nicht müde, es derart oft hintereinander zu hören, denn jeder spielte mit anderen Nuancen und einmal mehr konnte man die Unterschiede zwischen gutem, sehr gutem und herausragendem Spiel wahrnehmen. Im Semifinale waren Joë Christophe (der hier die beste Interpretation des Auftragswerks von Mark Simpson bot) und Han Kim mit dem Mozart-Konzert Favoriten, beim Finale spielten sie wieder ein und dasselbe Werk und es traten ebenfalls nur feine Unterschiede zu Tage. Das Klarinettenkonzert von Elliott Carter ist ein ebenso konzentriertes wie höchst anspruchsvolles Meisterwerk, das kaum 20 Minuten dauert und ein exquisit, bis auf die Streicher solistisch besetztes Kammerorchester von 27 Musikern (darunter drei Schlagzeuger) mit einer Solo-Klarinette entweder konfrontiert, raffiniert verschmilzt oder sich ihr unterordnet. Der Solist steht bei den kontrastierenden und ineinander übergehenden Sätzen an verschiedenen Positionen: Zu Beginn beim „Scherzando“ links hinten bei Harfe, Klavier und Marimbaphon, später neben den Holzbläsern für „Deciso“, bei „Tranquillo“ rechts vor dem gedämpften Blech, zum „Largo“ hinter den Streichern, für „Giocoso“ mit dem Blech zusammen und zum abschließenden „Agitato“ vorne in der Mitte endlich dominierend! Joë Christophe, der Erstplatzierte, machte seine Sache hervorragend, erlaubte sich auch fahlere oder grellere Töne, während Han Kim, der zusätzlich zum zweiten Preis den Publikumspreis errang, noch in den exponiertesten Lagen traumhaft weich spielte, vielleicht auch eine Spur flexibler und konziser als Joë Christophe; im Preisträgerkonzert erlaubte auch Han sich keckere, spitzere Töne, spielte aber wieder äußerst souverän.

Im Semifinale wie im Finale Fagott lagen die beiden zweiten Preisträger ebenfalls nahe beieinander. Sowohl Mozart wie das wunderbar melodiöse Auftragswerk von Milica Djordevic und Johann Nepomuk Hummels um 1805 entstandenes „Grand Concerto“ für Fagott und Orchester F-Dur WoO 23 musizierten beide auf hohem Niveau. Der 22-jährige Italiener Andrea Cellacchi spielte perfekt, auch was Artikulation und Phrasierung anging, blieb dabei freilich ein wenig puristisch. Der 25-jährige Deutsche Mathis Kaspar Stier bot die differenziertere, feinere Gestaltung, zumal im abschließenden Variationen-Rondo. Er nahm sich nicht nur hier für die Ausformung von Motiven und die Variation von thematischen Gestalten mehr Zeit, formte auch weicher im Klan.

Der ARD-Musikwettbewerb 2020 wird in den Fächern Klavier, Flöte, Posaune und Streichquartett ausgetragen.
 

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