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Géza Anda 1966 mit Ehefrau Hortense Anda-Bührle. Foto: Géza Anda-Stiftung
Géza Anda 1966 mit Ehefrau Hortense Anda-Bührle. Foto: Géza Anda-Stiftung
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Von der Schlüssigkeit eines Wettbewerbskonzepts

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Ein Pianist und sein Erbe: 100 Jahre Géza Anda und 42 Jahre Concours Géza Anda
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Während Europa und Tokio in den Vorbereitungen für die Fußball-EM und Olympia vertieft waren, fand diesen Sommer in Zürich ein ganz anderer Wettbewerb von Weltklasse statt. Der „Concours Géza Anda“ ist mindestens ebenso außergewöhnlich wie sein Namensgeber, der schweizerisch-ungarische Pianist Géza Anda, dessen Geburtstag sich am 19. November 2021 zum 100. Mal jährt. Dabei macht der renommierte Wettbewerb einiges anders als andere Institutionen: Im Geis­te Andas ist das Ziel nicht das Produzieren von Klassik-Shootingstars, die nach einem raketenhaften Karrierestart ebenso schnell zu Boden stürzen. Denn beim Concours Géza Anda steht der Künstler und dessen nachhaltige Förderung im Mittelpunkt.

Géza Anda ist heute vor allem für sein Engagement für seinen ungarischen Landsmann Béla Bartók und die Einspielung sämtlicher Klavierkonzerte Mozarts bekannt. In der viel gerühmten Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und der Camerata Academica des Mozarteum Salzburg übernahm Anda als einer der ersten Pianisten seiner Zeit die Orchesterleitung vom Klavier aus. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Perspektivwechsel einen anderen Blick auf die Partitur ermöglicht, wird doch so der kammermusikalische Musiziergeist hervorgekehrt. Anda steht für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Notentext, gleichzeitig für eine große Interpretationslust. Sein zurückhaltender Stil stieß nicht immer auf uneingeschränkte Gegenliebe: Joachim Kaiser monierte 1972 eben dieses fehlende Pathos und Engagement, ohne das „Musik zu schön, und darum in Wahrheit nicht schön genug“ klänge (insgesamt war der Großkritiker aber ganz zufrieden mit Andas Interpretationen).

Anda, selbst ein Schüler von Ernst von Dohnányi, war zeitlebens ein begehrter Lehrer. 1959 übernahm er die Luzerner, 1969 dann die Zürcher Meisterkurse. Bei seinen Schülern war ihm individuelle Vorstellungskraft und die Entwicklung eines eigenen Charakters besonders wichtig. Nach seinem Krebstod 1976 rief Witwe Hortense Anda-Bührle, Tochter des Rüstungsunternehmers Emil Georg Bührle, die Géza Anda Foundation und einen Wettbewerb hoher künstlerischer Qualität mit einem besonderen Unterstützungsprogramm ins Leben. Die Idee entsprang einer Be­ob­achtung, nämlich dass junge Talente Konzerte brauchen, um Bühnenerfahrung zu sammeln, ohne die sie aber nicht gebucht werden.

Trotz der ungewöhnlich hohen Anforderungen ist der Concours Géza Anda kein Wettkampf der Tasten-Roboter, kein Iron Man der Klaviermusik. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass man woanders bereits gute Netzwerke haben muss, um zu gewinnen. Hier geht es aber rein um die Musik. Man wird auch während des Wettbewerbs sehr gut unterstützt“, sagt Anton Gerzenberg. Der deutsch-russische Pianist konnte in der fünfzehnten Ausgabe des Wettbewerbs den Ersten Preis und damit 40.000 Schweizer Franken erringen. Während er über den Zürcher Wettbewerb spricht, umspielt noch immer ein warmes Lächeln seine Lippen: „Die Atmosphäre ist einmalig: familiär, freundschaftlich.“ Letzteres mag daran liegen, dass die Teilnehmer während der Finalrunden in Gastfamilien untergebracht werden. „Wir wollen auf die Teilnehmer keinen Druck ausüben“, bestätigt auch der Leiter der Géza Anda Foundation Markus Wyler, „es geht nicht darum, ein Examen zu bestehen, sondern darum, Kunst zu machen. Wir suchen künstlerische Persönlichkeiten.“

 Wehe dem, der denkt, der Concours Géza Anda wäre eine Wohlfühloase. Er verlangt den Wettstreitern neben makelloser Technik und enormer Ausdauer auch intellektuelle Flexibilität ab. Gerzenberg erarbeitete sich für den Wettbewerb ganze vier Stunden Repertoire, von Bachs e-Moll-Partita über Bartóks Klaviersonate bis Liszts Totentanz. Doch was in der jeweiligen Runde gespielt werden sollte, erfuhr der Schüler Pierre-Laurent Aimards erst kurz vorher. Die letzten zwei Finalrunden schließlich werden mit Orchester bestritten – in Erinnerung an Anda werden ein Mozart-Konzert und ein weiteres großes Klavierkonzert gefordert. Gerzenberg gesteht: „Mehrere Konzerte vorzubereiten ist natürlich eine große Belastung, aber auch eine gute Vorbereitung auf den Beruf als Konzertpianist.“

Bedürfnisse der Preisträger

Der eigentliche Preis des Concours Géza Anda sind am Ende nicht die insgesamt 60.000 Schweizer Franken, sondern die langfristige und individuelle Begleitung der Karriere nach dem Wettbewerb. Ganz im Sinne Géza Andas, der stets nach Auftrittsmöglichkeiten für seine Schüler suchte, macht die Stiftung klassische Agenturarbeit und sorgt für reichlich Konzerte. Dabei geht Markus Wyler individuell auf die Bedürfnisse der Preisträger ein, um deren Persönlichkeit alle Möglichkeiten zu geben, sich zu entfalten. Gerzenberg stimmt zu: „Ich zum Beispiel engagiere mich neben der klassischen Karriere auch für Neue Musik. Also wird geschaut, wie auch das gefördert werden kann.“

Projekte zum Jubiläum

Die Vielfalt der in 42 Jahren Preisgekrönten beweist die Schlüssigkeit dieses Konzepts: Von Konstanze Eickhorst (1988), eine der ersten Klavierprofessorinnen der BRD, Chopin-Experte Pietro de Maria (1994), dem „Philosophen am Klavier“ Filippo Gamba (2000) bis zum Virtuosen Alexei Volodin (2003) und Varvara Nepomnyashchaya (Künstlername Varvara, 2012) – sie alle haben ihren eigenen Weg gefunden, sind zu sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten herangereift. Viele sind auch heute noch, viele Jahre nach ihrem Preis, eng mit der Stiftung verbunden, mit der Witwe Hortense Anda-Bührle bis zu ihrem Tod 2014 sogar freundschaftlich.

Anlässlich des 100. Geburtstags veranstaltet die Géza-Anda-Stiftung mit Partnern Konzerte in Zürich und Budapest. Veröffentlichungen in CD- und Buchform bei der Deutschen Grammophon beziehungsweise im Wolke-Verlag sind ebenfalls geplant. In der Vorbereitung ist bereits auch der nächste Wettbewerb, der 2024 zum sechzehnten Mal stattfinden wird (Bewerbungen ab Ende 2023).

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