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Virtuos unaufdringliche Eleganz: Junhong Kuang (2. Preis) nach dem Preisträgerkonzert im Münchner Gasteig Foto: Daniel Delang/ARD Musikwettbewerb
Virtuos unaufdringliche Eleganz: Junhong Kuang (2. Preis) nach dem Preisträgerkonzert im Münchner Gasteig Foto: Daniel Delang/ARD Musikwettbewerb
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Wieder kein Erster Preis für Gitarristen

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Der ARD-Wettbewerb bleibt seinen Traditionen treu
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Vierundzwanzig Jahre ist es her, dass die Gitarre zuletzt im Internationalen Musikwettbewerb der ARD berücksichtigt worden ist. Damals gab es keinen Ersten, dafür zwei Zweite Preise: Joaquín Clerch (Kuba) erhielt einen davon, Pablo Márquez (Argentinien) den anderen.

Auch in diesem Jahr haben sich die Juroren nicht für die Vergabe eines Preises der Top-Kategorie entscheiden können. Wieder gab es keinen Ersten, allerdings zwei Zweite Preise und die gingen an Junhong Kuang (China) und Davide Giovanni Tomasi (Italien/Schweiz), einen Dritten Preis erhielt der Australier Andrey Lebedev. Und überhaupt: In bisher fünf Austragungen des Wettbewerbs, an denen die Gitarre beteiligt war, ist nur einmal ein Erster Preis vergeben worden – das war 1989 und der Preisträger war Luis Orlandini aus Chile. Gleichzeitig haben sich renommierte Kollegen mit Zweiten Preisen zufriedenstellen müssen. Unter ihnen waren Sharon Isbin, die später auf die erste Professur für Gitarre an der Juilliard School of Music in New York berufen wurde, Stefano Grondona, heute Professor an der Hochschule von Vicenza und Timo Korhonen, Professor in Helsinki.

Nicht nur Gitarristen sind in diesem Jahr als höchstens zweitklassig bewertet worden, auch bei Geigern und Oboisten gab es keine Ersten Preise. Nur unter den Pianisten konnte der Südkoreaner JeungBeum Sohn einen Top-Preis für sich sichern (siehe unten).

Podiumsreife vorausgesetzt

Der „Internationale Musikwettbewerb der ARD“ versteht sich nicht als Fördermaßnahme oder Karrieresprungbrett und schon gar nicht als eine Art Stipendium. Die Kandidaten, die sich hier bewerben, sind Musiker und keine Musikstudenten – so jedenfalls war es geplant. In der Ausschreibung des Wettbewerbs von 1989 hieß es: „Bei diesem internationalen Musikwettbewerb handelt es sich um eine Auslese unter jungen Musikern, bei denen Podiumsreife vorausgesetzt wird. Die Anforderungen sind daher hoch und die Preise nur für außergewöhnliche Leistungen gedacht.“ Um das angestrebte hohe Niveau zu erreichen und zu halten, wurden die Anforderungen so hoch angesetzt, dass schon 1982, beim zweiten ARD-Wettbewerb mit Gitarre, gemutmaßt wurde „dass auch in diesem Jahr kein Erster Preis (im Fach Gitarre) vergeben werde, da keiner der Teilnehmer sich auf alle Pflichtstücke vorbereiten könne“ (Gitarre & Laute IV/1982/6, S. 331).

Als die Gitarre 1976 in den ARD-Musikwettbewerb aufgenommen wurde, gab es bereits verschiedene internationale Wettbewerbe für dieses Instrument – die meisten davon waren allerdings reine Gitarrenwettbewerbe. Keiner von ihnen stellt so hohe Anforderungen, beispielsweise an das Pflichtprogramm, wie der ARD-Wettbewerb, die ausgelobten Preisgelder werden auch vergeben. In diesem Jahr ist in München erneut die Klage vernehmbar gewesen, dass beim ARD-Wettbewerb ansehnliche Preisgelder in Aussicht gestellt, sie aber nur zu selten vergeben werden. Diese Befürchtung soll auch talentierte Musiker von einer Teilnahme abgehalten haben.

Und doch! Es waren 640 Musikerinnen und Musiker aus 53 Ländern, die sich für den Wettbewerb in vier Kategorien (Klavier, Violine, Oboe und Gitarre) eingeschrieben haben. 198 von ihnen sind, nachdem eine erste Auswahl anonym über Tonaufnahmen vorgenommen worden ist, nach München eingeladen worden. 44 der Zulassungen gingen an Gitarristen.

Die Jury war international besetzt: Eduardo Fernández war ihr Vorsitzender, Dale Kavanagh, Łukaz Kuropaczewski, Carlo Marchione, Pablo Márquez, Jürgen Ruck und David Tanenbaum die Mitglieder. Wie immer ist nicht jeder Zuhörer mit jeder Entscheidung einverstanden oder zufrieden gewesen – auch nicht mit der Entscheidung, dass es wieder keinen Ersten Preis gegeben hat. Aber die Jury hat die richtige Wahl getroffen – die Semifinalisten und schließlich Finalisten waren sich musikalisch sehr ähnlich. Der eine Kandidat war technisch eloquenter und betonte das auch, der andere eher klangverliebt. Eine junge Gitarristin hätte man gerne im Finale noch einmal gesehen und gehört, Kanahi Yamashita, die Tochter des vor vielen Jahren ebenso bewunderten wie umstrittenen Kazuhito Yamashita. Wie weit seine Tochter, die von ihm Unterricht bekommen hat, seine künstlerische und spieltechnische Genialität geerbt hat, hätte man gerne herausgefunden.

Jedenfalls wurde das Semifinale von Kanahi Yamashita, Andrey Lebedev (Australien), Yang Hao (China), Davide Giovanni Tomasi (Italien/Schweiz), Gian Marco Ciampa (Italien) und Junhong Kuang (China) bestritten. Sie spielten zusammen mit dem exzellent aufgelegten Novus String Quartet und zur Auswahl standen zwei Werke. Das erste war, wie kann es anders sein, das Quintetto von Mario Castelnuovo-Tedesco, das man eigentlich viel zu selten hört, an diesem Abend aber fünfmal in Folge. Andrey Lebedev war der Einzige, der das alternative „Concertino da camera“ von Eugène Bozza ausgewählt hatte. Das wäre, wegen der Abwechslung an diesem Konzertabend, zu begrüßen gewesen, wenn nicht das Quintett von Castelnuovo-Tedesco ein so viel besseres Werk für diese Besetzung wäre. Vielleicht hätte das Quintett „Triptico“ von Roberto Sierra eine attraktive Alternative sein können?

Repertoire-Hit aus Aranjuez

Alle sechs Semifinalisten spielten dann noch die Auftragskomposition des diesjährigen ARD-Wettbewerbs, das Solostück „Interfret“ für Gitarre solo von Vito Žuraj. Die Komposition schöpft aus, was die Gitarre an Klängen bereithält. An Klängen und an Überraschungen. Es dauert acht Minuten, die den sechs Interpreten und Wettbewerbsteilnehmern wenig Möglichkeit gaben, sich gegenseitig zu profilieren. Wer sich an diesem Abend für das Finale qualifizierte, tat das mit Kammermusik.

Und schließlich das Finale im Prinzregententheater. Es spielte das junge, frische, wohldisponierte Münchner Rundfunkorchester unter seinem Dirigenten David Reiland. Drei Solisten, die hier naturgemäß schon im Semifinale erwähnt worden sind, waren zu begleiten: Tomasi, Lebedev und Junhong Kuang. Sie hatten die Wahl zwischen vier Konzerten: den „Trois Graphiques“ von Maurice Ohana, dem „Concierto del Sur“ von Manuel Maria Ponce, dem „Concierto de Aranjuez“ von Joaquín Rodrigo und dem Konzert für Gitarre und Orchester von Heitor Villa-Lobos. Alle drei Finalisten entschieden sich für Rodrigo. „Erwartungsgemäß“ würde an dieser Stelle jeder Zuhörer mit Wettbewerbs- und Juryerfahrung sagen: Fast immer wählen junge Gitarristen diesen Repertoire-Hit. Das Publikum entscheidet zwar nicht darüber, ob ein Solist einen Wettbewerb gewinnt oder nicht, aber es beeinflusst die Stimmung im Konzertsaal. Außerdem haben viele Gitarristen dieses Konzert schon einmal einstudiert und haben es drauf.

Davide Giovanni Tomasi war der Erste, der es an diesem Abend vortrug. Unter den drei Finalisten war er „der Italiener“, der Belcanto-Gitarrist. Andrey Lebedev wirkte eher um spanisches Flair bemüht, ohne es wirklich verinnerlicht zu haben und schließlich: Der Chinese Junhong Kuang brillierte mit kristallklar perlenden Läufen und Umspielungen, mit virtuos unaufdringlicher Eleganz „aus dem Ärmel“. Er nahm das Publikum für sich ein, aber offenbar nicht die Juroren: Davide Gio­vanni Tomasi und er bekamen je einen Zweiten Preis, Andrey Lebedev den Dritten.

Aber es gab mehr zu verteilen. Junhong Kuang erhielt den Publikumspreis und den ifp-Musikpreis; Andrey Lebedev den für die beste Interpretation der Auftragskomposition. Wann Oswald Beaujean und Meret Forster, die künstlerischen Leiter des ARD-Wettbewerbs, die Gitarre wieder berücksichtigen wollen, haben sie nicht verraten …

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