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Angekommen in der Arcisstraße: Lydia Grün. Foto: Adrienne Meister

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„Wir haben viel vor …“

Untertitel
Lydia Grün, die neue Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München
Vorspann / Teaser

Prof. Lydia Grün wurde am 12. Juli vor einem Jahr vom Hochschulrat zur ersten Präsidentin in der Geschichte der Hochschule für Musik und Theater gewählt. Am 1. Oktober 2022 trat sie Ihren Dienst an. Lydia Grün lehrte zuletzt als Professorin Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Detmold und war dort auch stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte. Von 2017 bis 2021 wirkte sie als Expertin im Rat für Kulturelle Bildung. Als Geschäftsführerin des Netzwerk Junge Ohren e.V. engagierte sie sich von 2013 bis 2019 für die Bedeutung von Musik in einer vielfältigen Gesellschaft. Zuvor war sie von 2008 bis 2012 als Referentin für Musik und stellvertretende Referatsleiterin im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und zudem seit 2011 als Geschäftsführerin von Musikland Niedersachsen tätig. Jetzt traf sich nmz-Chefredakteur Andreas Kolb mit ihr in den Hochschulräumlichkeiten an der Münchener Arcisstraße zu einem Gespräch über ihre aktuellen Vorhaben.

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neue musikzeitung: Was ist seit Ihrem Amtsantritt passiert?

Lydia Grün: Der Start war voller Vorfreude und geprägt von einer großen gegenseitigen Neugier. Im Wintersemester habe ich mich darauf konzentriert, unser Haus zu entdecken und habe beinahe jeden Abend ein Konzert an unseren verschiedenen Standorten gehört, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie unser Haus klingt und was unsere Studierenden machen, denn die HMTM ist der größte Konzertveranstalter in München. Außerdem bin ich in eine Reihe von Perspektivgesprächen mit allen elf Instituten der Hochschule gestartet und es gab natürlich eine Unmenge an Antrittsbesuchen. Das erste Jahr stand unter der Überschrift „Entdecken“.

nmz: Was sind Ihre wichtigen Vorhaben in nächster Zeit?

Grün: Die Umsetzung unseres neuen Hochschulvertrags. In den letzten Monaten haben wir gemeinsam mit allen staatlichen Hochschulen in Bayern – und zum ersten Mal auf Augenhöhe mit Universitäten, Universitätskliniken und Hochschulen für angewandte Wissenschaften – eine Rahmenvereinbarung mit dem Freistaat verhandelt. Gleichzeitig ging es um unseren individuellen Hochschulvertrag, mit dem wir die Rahmenvereinbarung konkret ausgestalten können. Dieser Hochschulvertrag, den wir jetzt im September unterzeichnen konnten, beziffert unsere Innovationsmittel.

nmz: Sie bekommen neue Mittel?

Grün: Ja, wir bekommen fast 1,3 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich, bereits ab diesem Jahr bis Ende 2027. Das ist für uns ein richtig großer Schritt nach vorn, und wir haben uns dafür gemeinsam mit den Instituten unserer Hochschule eine umfassende Strategie überlegt: Um unsere Studierenden noch besser zu fördern, werden wir vorhandene Potenziale ausbauen und Innovation stärken. Der Hochschulvertrag bespielt zehn Handlungsfelder, die in der übergreifenden Rahmenvereinbarung geregelt sind: von Studium, Lehre, Weiterbildung bis Nachhaltigkeit, Klimaschutz und so weiter. Wir setzen das nun in zehn Leitprojekte und weitere Programme um, die allen Studierenden zugutekommen werden.

Leitprojekte gegründet

nmz: Nennen Sie uns ein Beispiel?

Grün: Gern auch zwei: Wir werden zum Beispiel ein neues Zentrum für Kunst und Gesundheit gründen. Es gibt einen hohen Bedarf der jungen Generation, Werkzeuge an die Hand zu bekommen, um mit körperlichen und mentalen Herausforderungen im Studium und später im Beruf professionell umzugehen. Das wollen wir unter ein Dach fassen, damit alle Studierenden einen Ort haben, wo sie mit diesen Fragen hingehen können. Wir werden aber auch ein Produktionsteam für innovative Konzertformate gründen. Dieses Team besteht aus Personen, die eine Konzertdesign-Expertise haben, angefangen bei Veranstaltungstechnik über Management bis zur Musikvermittlung.

nmz: Wie stark orientiert sich eine Musikhochschule an konkreten Berufsbildern?

Grün: Durch die künstlerische und auch pädagogische Praxis sind wir eine anwendungsorientierte Hochschule. Für unsere Studierenden ist es sehr wichtig, dass sie schon während ihres Studiums Kontakt zur Berufspraxis haben. Diese Schnittstellen zwischen dem künstlerischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Studium und den verschiedenen Berufsfeldern wollen wir ausbauen.  Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Schule: Für unsere Studierenden sind Berührungspunkte mit der schulischen Praxis in unterschiedlichen Schulformen sehr wichtig. Oder wenn wir über die Jugendakademie, unsere Hochbegabtenförderung, sprechen, dann ist die gelingende Vernetzung mit Schulen ein ganz zentrales Feld.

nmz: Dann können wir also ab jetzt auf viel Neues gespannt sein? 

Grün: Wir stärken bewusst, was es an unserer Hochschule bereits gibt, bauen das aus und ergänzen weitere wichtige Bausteine, damit unsere Studierenden den Herausforderungen ihrer Zukunft gut vorbereitet begegnen können. Und ja, wir werden auch viel Neues anschieben: Durch den Hochschulvertrag gründen wir zum Beispiel einen sogenannten Instituts-Entwicklungsfonds: Wir stellen viermal 50.000 Euro zur Verfügung. Institute, die das möchten, können diese Mittel zum Beispiel einsetzen, um ihr Curriculum zu überarbeiten oder um neu über künstlerische Lehre nachzudenken. Weitere Beispiele: Wir bauen unser Career Center aus. Da wir mehr Personal und auch mehr Mittel haben werden, können wir hier instituts-, also berufsfeldspezifische Angebote machen. Wir gründen eine Werkstatt der innovativen Lehre. Wir werden im Musikwissenschaftlichen Institut ein Graduiertenkolleg für den wissenschaftlichen Nachwuchs gründen zum Thema audiovisuelle Narrative. Also, was passiert an ästhetisch-künstlerischer Praxis bei TikTok, auf YouTube, bei Streamingdiensten et cetera. Wir gründen auch einen bescheidenen, aber „eigenen“ Forschungsfonds, der kleine Anschubfinanzierungen für Kollegen und Kolleginnen in unserem Haus ermöglicht, die eine Forschungsreise machen oder eine neue Publikation oder eine Befragung beauftragen wollen. Und wir werden unsere internationalen Studierenden noch stärker beim Studienstart unterstützen. Alle Projekte haben das Ziel, Wandel und Innovation zu stärken und möglich zu machen, mit allen Kolleginnen und Kollegen und Studierenden, im ganzen Haus. Wir haben viel vor …

nmz: Welchen Stellenwert hat die Musikpädagogik im Vergleich zu den künstlerischen Fächern?

Grün: Wenn wir keine fundierte musikpädagogische Ausbildung und damit auch keine Lehrkräfte in den unterschiedlichsten Feldern haben, dann sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Dann haben wir erstens keinen Nachwuchs für unsere künstlerischen Professionen und vor allen Dingen auch hinterher kein Publikum. Deshalb werden wir unsere Jugendakademie zu einer „Young Academy“ weiterentwickeln. Wir wollen auch für pädagogische Berufe frühzeitig Jugendliche abholen. Die Young Academy soll in Zukunft nicht nur Hochbegabte in Instrument und Stimme fördern, sondern auch versuchen, die Passion vieler junger Menschen fürs gemeinsame Musizieren und Musikunterrichten zu wecken und wachzuhalten.

An vielen Instituten in unserem Haus durchlaufen wir gerade einen Generationenwechsel, auch in unserem Institut für Schulmusik. Den gilt es, mit Sorgfalt zu begleiten. Ich bin sehr froh, dass wir gerade Dr. Gabriele Puffer als Professorin für Musikpädagogik berufen konnten. Sie wird jetzt zum Oktober Teil unseres Hauses werden.

Bildung hat erste Priorität

nmz: Ein Kilometer Luftlinie entfernt von hier ist das Hochhaus des Bayerischen Rundfunks, vor dem heute – am Tag unseres Gesprächs – eine Demonstration von den Künstlern und Mitarbeitern gegen die geplante Programmreform und die Kürzungen beim ARD-Musikwettbewerb stattfindet: Was sind die gemeinsamen Interessen von BR und HMTM?

Grün: Da gibt es eine enge und gute Zusammenarbeit. Das ist eine Beziehung, in der ein klarer Meinungsaustausch zur Zukunft der Kulturbranche immer möglich ist. Gerade mit Blick auf die Einsparungen beim ARD-Musikwettbewerb sind wir gefordert, sehr deutlich klar zu machen, was für eine Bedeutung dieser Wettbewerb hat. Er ist für junge Musiker*innen eine der wichtigsten Schnittstelle im Übergang in eine professionelle Karriere. Ich zitiere eine Kollegin: „Der ARD-Musikwettbewerb ist wie Wimbledon für die Klassikszene.“ Das ist ein absoluter Booster und Vernetzungsort.

Also die Kernfrage der jetzigen Diskussion ist für mich tatsächlich: Welchen Bildungsauftrag hat der Rundfunk? Mein Votum ist klar: Bildung muss die erste Priorität haben! Zudem ist der Rundfunk natürlich selbst ein wichtiger Kulturveranstalter und Kulturträger. Die Rundfunkorchester muss ich nicht extra erwähnen. Sie sind ein Zielort vieler unserer Absolventinnen und Absolventen.

nmz: Welche Rolle spielt Internationalität für die HMTM?

Grün: Unser Kern ist die künstlerische Ausbildung. Da sind wir eindeutig ein internationales Haus und wollen es auch sein. Unser Anspruch ist, in der Champions League mitzuspielen, und da spielt die Nationalität keine Rolle, sondern das individuelle künstlerische Vermögen, das Talent, das Potenzial. Zusammen mit den beiden Hochschulen in Nürnberg und Würzburg sichern wir gleichzeitig die soziale und pädagogische Grundstruktur in Bayern durch die Ausbildung und Qualifizierung von Chorleiter*innen, Musikerzieher*innen, Lehrkräften, Kulturmanager*innen oder Kulturjournalist*innen. Da hat die HMTM große Anziehungskraft, regional wie international.

Distanz und Nähe

nmz: In einer Pressemitteilung vom März 2023 kündigen Sie eine Vollerhebung zum Thema „Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt und Diskriminierung“ im Sommersemester 2023 an. Hat die HMTM da aus bekannten Gründen ein Imageproblem?

Grün: Vielleicht. Aber es geht hier nicht um Imagefragen. Wir wollen bei diesem zentralen Thema wissen, wo wir stehen. Deshalb haben wir ein externes Forschungsinstitut mit einer Studie beauftragt. Themen wie respektvoller Umgang, die Balance zwischen Nähe und Distanz sind nicht mit einer Vollerhebung oder der Gründung eines Beratungsnetzwerks gelöst. Das muss Teil der Hochschul-DNA sein. Alle Studierenden, Lehrenden und Mitglieder der Verwaltung waren daher eingeladen, an der Erhebung im vergangenen Sommersemester teilzunehmen. Die Ergebnisse erwarten wir im Wintersemester. Sie werden uns die nächsten Schritte aufzeigen.

nmz: Was ist zum Thema Lehrbeauftragte zu sagen?

Grün: Auch da heißt es, der stete Tropfen höhlt den Stein. Die Hochschulleitung ist hier auf eine sehr aktive Vertretung der Lehrbeauftragten angewiesen und das hat jetzt auch Früchte getragen: Wir werden eine einmalige Erhöhung der Vergütung dank einer entsprechend finanziellen Zuwendung des Ministeriums umsetzen können. Aber wir verfolgen weiter zwei Ziele: Das eine ist, wie können wir die einmalige Zahlung als Tariferhöhung verstetigen? Das andere Ziel ist, die Arbeitsverhältnisse von Lehrbeauftragten durch Festanstellungen zu ersetzen. Aber es gilt hier natürlich der Grundsatz der Teilhabegerechtigkeit. Das heißt, wenn Stellen zur Verfügung stehen, dann werden sie immer über eine Ausschreibung und ein entsprechendes Besetzungsverfahren nach den entsprechenden Qualitätskriterien besetzt. Das ist ein ständiger Wandlungsprozess, der Zeit braucht.

nmz: Im März 2017 hieß es in einer Pressemitteilung der Hochschule: Die Münchner Hochschule für Musik und Theater und das Moskauer Tschaikowski-Konservatorium wollen ab sofort noch enger zusammenarbeiten. Wie ist die Lage nach zwei Kriegsjahren?

Grün: Das war damals vor sechs Jahren der Beginn einer Kooperation mit dem Tschaikowski-Konservatorium in Moskau. Meines Wissens gab es Projekte im Bereich Neue Musik und in der historischen Aufführungspraxis. Diese wurden bereits unter Corona nicht fortgesetzt und dann ganz eingestellt. Auf der institutionellen Ebene ist mir kein Berührungspunkt bekannt, an dem wir mit russischen Institutionen kooperieren. Dagegen haben wir – genauer mein Vorgänger, Prof. Bernd Redmann – umgekehrt reagiert. Gemeinsam mit vielen Kolleg*innen am Haus und dem International Office hat Bernd Redmann das sogenannte „Gaststudium Plus“ aufgelegt: Wir waren und sind Zufluchtsort für Menschen, die aus der Ukraine kommen und hier ihr Studium aufnehmen oder fortsetzen möchten. An eine besondere Begegnung kann ich mich direkt nach meinem Amtsantritt im Oktober 2022 noch sehr gut erinnern: In der Immatrikulationsfeier habe ich das Thema Menschenrechte betont. Danach kam ein Student aus Russland auf mich zu und hat an uns appelliert: „Vergessen Sie nicht diejenigen in Russland, die als Künstler verfolgt sind, die sich nach Freiheit und Demokratie sehnen. Wir müssen jetzt schon darüber nachdenken, was nach dem Krieg ist.“ Auch das ist uns eine Verpflichtung.

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